Thema: Literatur Neuerscheinung, Joachim Helbig, "Das Schwarze Kabinett"
Vernian Am: 19.04.2015 21:43:32 Gelesen: 3413# 4@  
Hallo,

ich hatte mir das Buch auch besorgt und nun endlich gelesen.

Vorweg sollte ich darauf aufmerksam machen, daß ich für die postalische (europäische) Frühgeschichte und Recherche der in diesem Roman ersichtlich hoch komplizierten postalischen Berechnungssysteme und Postwege nie ein besonderes Interesse aufgebracht habe und daher diesen Band mehr aus den Augen eines "normalen" als eines fachlich versierten Lesers gelesen habe und dementsprechend beurteile. Ich bin / war mir bewusst, daß dies ja nun explizit eine "postgeschichtlicher Kriminalroman" ist, und ich daher natürlich als "normaler" Leser einiges finden werde was nicht in einem klassischen Kriminalroman zu finden sein wird.

Der Schreibstil, Textfluss, Handlungs- und Spannungsverlauf dieses Kriminalromans ist positiv. Flüssig zu lesen, Spannungsbögen werden gekonnt aufrecht erhalten und fortgeführt, und vieles an den aufbereiteten historischen Fakten, sei es rein historisch oder postalisch, ist auch für einen Laien gut vermittelt und stört den Leseverlauf nicht. Auch andere Fakten beispielsweise zur Archäologie oder landeskundlicher Prägung sind interessant und durchaus passend eingebaut.

Anderseits erfährt der Roman durch oftmals zu ausführliche rein posthistorische Details, Darstellung von Porto-Berechnungsverfahren und Beschreibung verschiedenster Postwege und deren zu Grunde liegende Verträge sowie zahlreiche andere "Anreicherungen" dieser Art eine Streckung in die Länge von wenig Relevanz für den Handlungsverlauf.

Sie sind somit störend für den Spannungsverlauf, und machen den Kriminalroman daher für einen "normalen" Leser bei fortschreitendem Lesen zu schwer verdaulicher Kost. Sie lassen ihn suchen welche Teile er überspringen kann um auf die eigentliche Handlung zurück zu kommen bzw. stellen ihn vor die Frage, was davon im weiteren Handlungsverlauf denn von Relevanz sein wird und was nicht. Es ist dann schon fast enttäuschend das nur wenig davon letztlich für den eigentlichen Krimi von Relevanz ist, und man fühlt sich etwas "betrogen", wenn die Lektüre etlicher Seiten nachher keine "Wiederkehr" in der eigentlichen Handlung erfährt. Der Roman würde daher durch die Straffung mancher Teile auch für den "normalen" Leser deutlich gewinnen. Dies gilt teilweise auch für andere ausgiebig behandelte Teile, die nichts mit Postgeschichte zu tun haben, wie beispielsweise etwa manche Ausführlichkeit in Bezug auf Tirol.

Unbefriedigend fand ich vor allem den Schluß des Romans. Nach dem doch recht langen Mittelteil, gefüllt mit den überwiegend posthistorischen Elementen, steigt der Spannungsbogen nicht mehr so recht an, sondern wird eigentlich nur auf einem erreichten Spannungsniveau gehalten, welches zwar bis zum Schluß gehalten wird - dann aber durch ein recht schnelles und plötzliches sowie ziemlich unbefriedigendes Ende noch nicht einmal ein wirkliches Finale mit Auflösung erfährt, wie es für einen Kriminalroman eigentlich üblich ist, sondern schlagartig abbricht.

Man erfährt nicht eine wirkliche Auflösung, was das "Schwarze Kabinett" nun genau ist oder welche Zielsetzungen es hat, man erfährt nicht wirklich eindeutig was Heller denn nun so Brisantes aufgedeckt hat. Sicher, Heller fand sowohl die Lösung von Codierungsverfahren und damit lesbar zu machende brisante Dokumente und auch noch eben genau jene Dokumente, aber worin diese Brisanz nun im Detail liegt (und deren Folgen bis in die Gegenwart), die schon früh im Roman angedeutet wird (u.a. Bastard-Kind des Prinzen Ludwig aus einer Quasi-Vergewaltigung der Frau von Montgelas) und die Spannung des Romans mit begründet, wird offen gelassen.

Und auch "die Zeit danach" wird irgendwie offen gelassen. Heller wird zum Mitwirkenden des Schwarzen Kabinett? Für einen Krimi ein nicht wirklich befriedigendes Ende, wenn das Opfer plötzlich, letztlich sogar erzwungen, Teil der Täter-Organisation wird. Zumindest, wenn diese Täter-Organisation auch am Schluß genauso geheimnisvoll-undurchsichtig bleibt wie den ganzen Roman hindurch.

Es ist m.E. kein guter schriftstellerischer Ansatz, wenn genau die Elemente, die maßgeblich für den Spannungsverlauf und die Spannungsbögen des gesamten Romans verantwortlich sind, am Ende unaufgelöst bleiben und die Hauptperson sogar noch Teil des nebulösen Täters wird. Zwangsweise zwar, was in gewisser Weise ein nachvollziehbares Ende darstellt, aber keine Lösung all der Dinge darstellt, mit denen zuvor die Spannung aufrecht erhalten wurde.

Kurz: Gut zu lesen in weiten Teilen, für spezieller Interessierte vermutlich sogar durchgehend, aber für einen Kriminalroman mit einem unbefriedigenden Schlußteil, weshalb eine Empfehlung meinerseits nur eingeschränkt aussprechbar ist.

V.
 
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