Thema: Philatelie in der Presse
Richard Am: 16.11.2008 11:51:57 Gelesen: 1327900# 154@  
Prozess in Köln: Streit um zwei Euro Porto

Von Detlef Schmalenberg

Kölner Stadt-Anzeiger (14.11.08) - Der Streit drehte sich um eine Briefmarke und zwei Euro. Ein schweizer Arzt hatte die Portokosten für eine bei Ebay ersteigerte Briefmarke nicht zahlen wollen - und deshalb geklagt. Doch zum Prozess vor dem Kölner Amtsgericht erschien er nicht.

Es ist neun Uhr früh am Morgen und im holzgetäfelten Saal 128 des Amtsgericht fehlt einer der Prozessbeteiligten. „Wenn es nach den Regeln des gesunden Menschenverstandes geht, kommt er auch gar nicht“, sagt Rechtsanwalt Christian Paasche. „Wir warten eine Viertelstunde, zurückgenommen wurde jedenfalls nichts“, entgegnet der Richter, lächelt und schüttelt anschließend mit dem Kopf.

Eine Stimmung zwischen Belustigung und Unverständnis. Der Mann, der geklagt hat, der also verantwortlich dafür ist, dass es hier zur Verhandlung kommt, ist nicht erschienen. Sein Fernbleiben ist nicht das einzige Fragezeichen, das im Raum steht. „Wie konnte er überhaupt vor Gericht ziehen?“, sagt Anwalt Paasche.

Der Mann, der soviel Unverständnis auslöst, ist Kinderarzt und Schweizer und Briefmarkensammler. Und er hat geklagt. Wegen eines Streits um zwei Euro Porto hat er mehrseitige Anklageschriften zum Amtsgericht geschickt, allesamt eng beschrieben. Das irrwitzige Verfahren ist ein Musterbeispiel hemmungsloser Streitsucht, mit der die deutsche Justiz gelegentlich konfrontiert wird.

„Alle Beteiligten in der Sache Scheele bitte in den Saal“, mahnt der Richter ein zweites Mal über Lautsprecher. Der schweizer Sammler hat vom Kölner Briefmarken-Händler über die Internetplattform Ebay für 2,20 Euro einen so genannten „Ersttagsbrief“ ersteigert: eine Sondermarke zu den Passionsspielen in Oberammergau, erschienen am 17. Mai 1960, abgestempelt und aufgeklebt auf einem Umschlag.

Als Nebenkosten war im Angebot festgehalten worden, dass der Artikel für weitere drei Euro im Din-A5-Umschlag, verstärkt durch Kartonplatten und geschützt durch eine Versandtüte aus Pergamin versendet wird. Händler Scheele, schon seit dreieinhalb Jahrzehnten im Geschäft, macht das immer so, hat auf diese Weise schon zigtausende Marken verschickt. Nie hatte es Ärger oder gar Beschwerden gegeben.

Bis jetzt. Der Mediziner aus der Schweiz beschimpfte Scheele in E-Mails als Wucherer und „Portogeier“, forderte, der Kölner solle das ersteigerte Stück vom Umschlag schneiden und gefälligst in einem kleineren und damit auch im Porto preiswerteren Kuvert schicken. Als der verblüffte Geschäftsmann, der den Ersttagsbrief nicht zerschneiden wollte, freundlich anbot, den Handel doch einfach rückgängig zu machen, reichte der Schweizer seine Klage ein.

„Die hat er auch nicht zurückgenommen, nachdem wir ihm schriftlich mitgeteilt haben, dass es kaum eine Aussicht auf Erfolg gibt“, sagt der Richter. Die Viertelstunde Wartezeit am Donnerstagmorgen ist mittlerweile vergangen. Vielleicht habe der Mann die Sinnlosigkeit seines Tuns ja mittlerweile eingesehen und sei deshalb nicht gekommen, mutmaßt der Jurist. Die Klage weist er ab. Und wenn der Schweizer dagegen jetzt Einspruch einlegt? Dann würde die Angelegenheit im schriftlichen Verfahren erledigt, sagt der Kölner Jurist: „Wenn er mit uns diskutieren wollte, hätte er heute kommen müssen.“

(Quelle: http://www.ksta.de/html/artikel/1226655078406.shtml)



Jürgen Scheele präsentiert das Streitobjekt: eine Sonderbriefmarke zu den Passionsspielen in Oberammergau, aufgeklebt auf einen Ersttagsbrief. (Bild: Worring)
 
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