Thema: Belege aus der eigenen Familiengeschichte
volkimal Am: 04.08.2015 16:34:02 Gelesen: 285716# 117@  
Hallo zusammen,

nach einem Monat Pause möchte ich mit der Geschichte von Urgroßvater Oswald Hentschel weitermachen. Nachdem Urgroßvater aus Spanien zurück nach Deutschland gekommen ist, ist er viel im Land herumgekommen. Mehrmals hatte er beruflich in Köslin in Westpommern zu tun. Heute liegt die Stadt in Polen und hat den Namen Koszalin. Diese Postkarte schickte Urgroßvater 1905 aus Köslin an seine Tochter:



Im Buch „Hans Grade – Ein Leben in stürmischen Zeiten“ von Karl-Dieter Seifert habe ich gelesen, wie Urgroßvater den späteren Flugpionier Hans Grade in Köslin (Pommern) kennenlernte:

Im Spätherbst 1902 baut Hans wieder in der Werkstatt von Meister Dobenzig an seinem Motorzweirad. Ein Kunde des Meisters sieht es und zeigt Interesse. Der Ingenieur Oswald Hentschel aus Magdeburg weilt des öfteren beruflich in Köslin. »Wer baut denn das? « fragt er Dobenzig. »Meinen Sie, dass es etwas taugt? « Der alte Meister nickt. »Der Motor läuft großartig. Den hat der junge Mann allein gebaut. « »Wie heißt er, wie kann ich ihn erreichen?« fragt Hentschel höchst interessiert. »Hans Grade. Er müsste eigentlich bald hier sein. «

»Ein Ingenieurstudent, der hier in Köslin zu Hause ist«, antwortet der. Hentschel ist erstaunt. Einen Zweitakter, noch dazu in einem solchen Fahrzeug, hat er hier nicht erwartet. Außer dem Motor von Söhnlein kennt er keinen mit Kompression. Und der ist als stationärer Antrieb gedacht. Dieser Fahrzeugmotor ist eine eigenwillige Konstruktion, die auf einen ideenreichen Konstrukteur schließen lässt.




Nachdem Hans Grade in die Werkstatt gekommen ist, stellt sich Urgroßvater vor und beobachtet ihn anschließend bei der Arbeit. Urgroßvater verabredet sich mit Hans Grade am nächsten Abend im Ratskeller. Nach einem langen Gespräch bietet er Hans Grade an, dass er ihm nach dem Studium eine Stelle verschafft, die seinen Neigungen und Interesse entspricht. Voraussetzung ist, dass das Motorzweirad am Ende des Studiums seine Kinderkrankheiten abgestreift hat. Über die Zeit nach dem Abschluss des Studiums schreibt Karl-Dieter Seifert:

Kurz nach der Heimkehr erhält der junge Ingenieur in Köslin erneut eine Einladung von Hentschel, mit dem er die ganze Zeit über in Verbindung steht. Dieses Mal geht Hans im Ratskeller sofort in das Kleine Zimmer, in dem er neben dem Direktor einen zweiten Herrn vorfindet, einen in der Stadt bekannten Rechtsanwalt.

»Ich nehme an, Herr Grade, Sie haben keine Einwände, wenn wir heute Abend gleich einen Vertrag vorbereiten«, begründet Hentschel dessen Anwesenheit. »Ich biete Ihnen eine leitende Stelle in einer kleinen Kösliner Motorenwerkstatt. « Dann entwickelt er sein Projekt. Hentschel ist mit Meister Dobenzig übereingekommen, die Werkstatt zu kaufen. Er will das notwendige Anfangskapital zur Verfügung stellen, notwendige Maschinen anschaffen und die Zahl der Mitarbeiter vergrößern. Gebaut werden sollen Einzylinder-Zweitaktmotoren vor allem für eine stationäre Verwendung. Der Direktor bietet dem jungen Ingenieur als Gegenleistung für dessen Motorenkonstruktionen eine Beteiligung an der Werkstatt an, dazu ein entsprechendes Gehalt.


Hans schlägt Urgroßvater vor, auch Motorradmotoren zu fertigen. Der stimmt zu. Im Jahre 1905 wird ein Grade-Motorzweirad auf der Automobil-Ausstellung gezeigt. Die Burckhardtia Motorradbau AG in Magdeburg entschließt sie sich, den Zweitakter Grades als Standardantrieb ihrer leichten Motorräder zu wählen.

Viele Grüße
Volkmar
 
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