Thema: Postagenturen: Der verzweifelte Kampf gegen die Post
Richard Am: 25.11.2008 11:18:13 Gelesen: 21753# 5@  
Die Post bedrängt ihre privaten Verkaufsstellen

Von Birger Nicolai

Die Welt (23.11.08) - Betreiber von Post-Agenturen verdienen mit ihrem Geschäft nicht viel Geld. Mit neuen Verträgen sorgt die Post dafür, dass es bei etlichen noch weniger wird.

Ängstliche Typen sollten den Job nicht machen. Vergangene Woche wurde im bayerischen Utting mitten am Vormittag eine Postagentur überfallen. Ein maskierter Mann drohte mit einer Waffe, verlangte Bares und verschwand später mit mehreren Tausend Euro in einer Plastiktüte. Besonders dreist war ein Räuber in Taunusstein: Er kam im schwarzen Kostüm mit weißem Skelettaufdruck in einen Postladen, zückte eine Pistole und konnte mit 20 000 Euro türmen. Den Ladenbesitzer sperrte er in der Toilette ein. Das war an Halloween.

Wer für die Post arbeitet, muss mit Raubüberfällen rechnen. Jetzt kommt es etlichen Agenturbetreibern aber so vor, als sei die Post selbst der Räuber. Unter dem Titel "7.0 Vertriebskooperationsvertrag" stellt der Bonner Konzern gerade die Agenturverträge von bundesweit 7000 Verkaufsstellen um. Kernpunkt dabei: Es gibt fortan viel mehr variable und deutlich weniger pauschale Bezahlung.

Dadurch trägt in Zukunft jeder Betreiber selbst das Risiko, wie das Geschäft gerade läuft. Aus den eigenen Filialen aber weiß die Post längst, dass der Verkauf von Briefmarken, Paketen oder anderen Postangeboten seit Jahren rückläufig ist. Angebote über das Internet oder den Packautomaten sind weitaus erfolgreicher, und sie werden diesen Trend verschärfen. Genau deswegen gibt die Post jedes Jahr einige Hundert Eigenbetriebe auf und an Agenturpartner ab.

Die Post behauptet zwar, die neuen Verträge seien für die Mehrheit der Agenturbetreiber neutral oder sogar besser. "Wir erwarten, dass sich 90 Prozent der Agenturen besser stellen", sagt Post-Sprecher Dirk Klasen. Daran mögen die Ladenbesitzer vor Ort aber nicht glauben. Ihr Lobbyverband erwartet, dass mindestens jede fünfte Agentur hohe Einbußen hinnehmen muss. Einzelne Geschäftsinhaber sehen das noch viel düsterer. "Umgekehrt wird es sein: 90 Prozent der Geschäfte werden weniger Geld bekommen und vielleicht zehn Prozent mehr", ärgert sich ein Agenturbetreiber aus Rheinland-Pfalz über die neuen Konditionen. Ebenso wie seine Kollegen möchte er den Namen nicht öffentlich preisgeben. Sie fürchten Repressalien der Post. (Der Redaktion sind alle erwähnten Agenturbetreiber bekannt.)

Dabei ist die Post auf ein gutes Verhältnis zu den Agenturpartnern angewiesen. Ohne sie kann der Konzern mit hohem Staatsanteil den Gesetzesauftrag, 12 000 Verkaufsstellen in Deutschland vorzuhalten, gar nicht erfüllen. Der Ärger aber kann schnell zum Flächenbrand werden und die Politik auf den Plan rufen. Als die Post das letzte Mal die sogenannten Partnerschaftsverträge änderte und die Bezahlung im Durchschnitt um rund ein Fünftel kürzte, gab es laute Proteste aus der Öffentlichkeit.

"Die Post hat sich jetzt wieder das Gröbste bis zum Schluss aufgespart. In diesen Tagen sind ganz die kleinen oder ganz großen Agenturen mit der Vertragsumstellung dran. Und die werden die größten Nachteile haben", sagt Torsten Modery, Chef des Postagenturnehmerverbandes. Zwar bietet die Post auch einen sogenannten Fallschirm-Vertrag an, mit dem sich die Agenturbesitzer für ein halbes Jahr die alten Zahlungen sichern können. Kündigt der Ladenbesitzer später aber doch den Vertrag, muss er das Geld zurückzahlen.

Die Details lassen nichts Gutes ahnen. Die Post hat die Grundvergütung für einzelne Agenturen von 800 Euro auf symbolische zehn Euro verringert. Das muss der Betreiber nun durch umsatzbezogene Einnahmen ausgleichen. Etliche Agenturen haben ausgerechnet, dass sie mindestens 20 Prozent weniger einnehmen werden. "Mir fehlen 100 Euro im Monat", sagt einer. Ein Jahr nach seinem Start sei dies ein herber Rückschlag.

Viele Agenturen sind Teil von Lotto-Läden, DVD-Verleihgeschäften, Copyshops oder Tankstellen. Rund 8000 solche Verkaufsstellen hat die Post, manchmal betreibt ein Partner mehrere davon. Im Durchschnitt bekommen die Ladenbesitzer in Westdeutschland 1500 Euro von der Post - das sind rund 300 Euro weniger als noch vor sechs Jahren. In Ostdeutschland liegt die durchschnittliche Einnahme bei etwa 1000 Euro. "Davon können Sie Ihren Mitarbeitern nicht den von der Post für Briefträger durchgesetzten Mindestlohn zahlen", klagt ein Agenturbetreiber. Der beträgt im Osten neun Euro.

Generell ist das Verhältnis zwischen Konzernen und Verkaufsstellen sensibel. "Es darf dabei nicht zu einem Lopez-Effekt kommen. Das Knebeln von Personen im Vertrieb ist sehr riskant", sagt Elmar Bröker, Chef einer Hamburger Unternehmensberatung, die sich auf derartige Organisationsformen spezialisiert hat. Die Post versuche, ein sterbendes Geschäft an andere weiterzureichen. Für die Agenturbetreiber werde das Überleben nun noch schwieriger.

Die Post zieht die Daumenschrauben nicht nur beim Geld weiter an. In Zukunft müssen viele Agenturbetreiber sicherstellen, dass sie genauso lange geöffnet haben wie der umliegende Einzelhandel. Haben Penny oder Lidl bis 22 Uhr offen, gilt das auch für die Agentur nebenan im Lotto-Laden. Das wird für den Betreiber teuer - es sei denn, er selbst steht hinter dem Post-Tresen und rechnet seine Arbeitszeit nicht.

Und dann fehlt oft auch noch die Ware. "Was nützt es mir, wenn ich in Zukunft je Paketmarke mehr Geld von der Post bekomme, ich aber gar nicht ausreichend Vorrat im Laden habe?", beschwert sich ein nordrhein-westfälischer Agenturbetreiber. Zuletzt musste er einen lukrativen Kunden fortschicken, der 100 Paketmarken kaufen wollte. Beschafft hat sich der Käufer die Marken dann über das Internetangebot der Post. Dieser Vertriebsweg kommt den Konzern günstiger als die Agentur. Auch das Bargeld für die Postbank-Schalter ist in den Agenturen oftmals knapp. "Das Geld, das mir die Post im Monat zur Verfügung stellt, reicht meist nur bis zur dritten Woche. Danach muss ich Kunden wegschicken und Ausreden benutzen", klagt ein Agenturnehmer aus Nordwestdeutschland.

"Ich wusste, dass ich mit einem Haifisch verhandele, der mir die Ohren abbeißen will. Aber dass er so radikal ist, habe ich nicht geahnt", sagt ein anderer Betreiber. Er hat, wie viele Kollegen, eine fünfstellige Summe für die Post investiert. Vier Mitarbeiter braucht er im Tagesbetrieb. Jetzt will er Druck machen: "Wir schließen uns zusammen. Wenn die Post in meiner Region einen von uns verliert, dann sind es gleich 50 Agenturen."

Einige unterschreiben den neuen Vertrag nur, weil sie ohnehin im nächsten Jahr aufgeben werden. "Was die Post seit der letzten Umstellung zahlt, war schon eine Frechheit. Das deckt nicht meine Betriebskosten", sagt eine Ladenbesitzerin. Sie hat die Nase voll. Für ein "besseres Hartz IV" will sie ihr Geschäft nicht weiterführen.

(Quelle: http://www.welt.de/wams_print/article2767809/Die-Post-bedraengt-ihre-privaten-Verkaufsstellen.html)
 
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