Thema: (?) (2877) Altdeutschland Bayern: Schöne Belege
bayern klassisch Am: 01.04.2009 19:44:53 Gelesen: 1118655# 73@  
Hallo Peter,

dumm ist nur, wer auf Fragen keine Antwort geben kann. Also versuche ich mal, nicht dumm dazustehen.

In Bayern wurde die Chargégebühr erst ab dem 1.3.1874 in Marken verklebt. Vorher war das prinzipiell nicht möglich.

Ab dem 1.1.1861 - ich habe hier mal einen Brief in diesem Thread ab Bahnhof München nach Österreich gezeigt - waren auch Portochargébriefe zugelassen, bei denen der Empfänger sowohl das Porto als auch die Chargégebühr bezahlen musste.

Da mein Brief aus 1872 stammt, konnte also die Chargégebühr gar nicht frankiert werden.

Die Rekogebühr wurde, ob sie nun 4 Kr. bis 30.6.1850, 6 Kr. bis 31.12.1867 oder 7 Kr. ab 1.1.1868 betrug, kassiert und dafür der Postschein ausgestellt. Auf diesem war sie zu quittieren. Der Brief erhielt dieselbe Nummer wie der Postschein und wurde unter derselben Nummer im Rekomanual eingetragen, schließlich musste man ja wissen, wer wann an wen welchen Brief eingeliefert hatte.

War die Aufgabepost eine gewöhnliche Postexpedition, dann bekam der Postexpedtior die Chargégebühr unvermindert. Er musste aber dafür die Vordrucke auch kaufen bzw. bei der Materialverwaltung bestellen (100 Stück = 2 Kreuzer, wenn ich mich nicht irre).

War die Aufgabepost mit Beamten besetzt, dann bekam die Aufgabepost die Chargégebühr, nicht das Individuum. Diese floss in mehrere Kassen (Witwen- und Waisenkasse für Postbeamte usw.) und war somit mildtätigen Zwecken zugedacht.

Wollte ein Absender eingeschrieben versenden, musste er dies auf der Adress - Seite des Briefes kenntlich machen. Die Vermerke hierfür waren: Recommandirt, gegen Schein, gegen Postschein, Chargé oder später Einschreiben (ab 1874).

Gab ein Absender einen so bezeichneten Brief auf der Post ab, wollte dann aber doch nicht eingeschrieben versenden lassen (zu teuer), dann musste er den Vermerk streichen oder die Post einen entsprechenden Vermerk anbringen.

In dem Falle der Einschreibung war immer der Chargéstempel abzugschlagen.

Es gibt aber auch Briefe, bei denen man den Chargéstempel vergessen hatte (Stress). Um festzustellen, ob er dann chargiert worden war, oder nicht, sucht man die Rekonummer. Hat der Brief keine, war er auch nicht eingeschrieben. Hat er eine, war er eingeschrieben und der Stempel vergessen worden.

Zusatzleistungen waren neben dem bereits besprochenen Einschreiben auch die Versendung mit Expressen. Dieses ist ein hoch kompliziertes Kapitel, welches 99% der Bayernsammler überfordert (auch finanziell). Ich könnte hier mal einen eigenen Thread diesbezüglich aufmachen, wenn es gewünscht wird.

Diese Express - Beförderung war teils in bar, teils in Marken teils dem Empfänger zu überlassen bezahlbar gewesen. Eine Beurteilung wird nur der Experte vornehmen können, zumal sich die Vorschriften änderten und für private und dienstliche Express - Sendungen andere Regeln galten. Die Gebühren verblieben i. d. R. dem Expeditor der Abgabepost bzw. dem Expressboten für seinen Gang zum Empfänger.

Der Postlieferschein bzw. der Postrückschein, in Bayern Retour - Recepisse genannt, war ebenfalls kostenpflichtig, wurde aber in der Regel bar bezahlt. Teils kommt es bei spätern Kreuzerbriefen vor, dass diese Gebühr auf den Brief selbst geklebt wurde, teils auf den Rückschein. Alles ist sehr selten und ich habe nur ganz wenige Stücke dieser Art in meiner Sammlung (und gesehen).

Der Rückschein war aber der einzige Sonderdienst, der immer vom Absender getragen werden musste. Die Gebühr von 12 Kr. bis zum 30.6.1850, 6 Kr. bis zum 31.12.1867 bzw. 7 Kr. ab dem 1.1.1868 verblieb immer der Aufgabepost bzw. dem Expeditor der Aufgabepost.

Die Versendung mit poste - restante war ebenfalls kostenpflichtig bis zum 31.12.1867 und zwar mit 4 Kreuzern. Diese waren nicht frankierbar, sondern mussten vom Empfänger bei der Abholung bezahlt werden. Sie wurden aber nur ganz selten angeschrieben und verblieben auch der Abgabepost bzw. dem Expeditor der Abgabepostexpediton. Sie war ein Teil seines Gehaltes (das nannte man Emolument).

Diese Aufzählung bezieht sich auf innerbayerische und Postvereinsversendungen. Nach dem Ausland konnte dies abweichen.

So wurde vom 1.7.1858 bei Chargébriefen nach Frankreich bis zum 15.5.1872, die Chargégebühr für Bayern in bar entrichtet, die für Frankreich aber mit 6 Kr. in Marken verklebt. Bis dahin war in diesen Fällen die Gebühr für den Brief zu verdoppeln, so dass du dir vorstellen kannst, wie wenige Chargébriefe es zwischen diesen beiden Postgebieten gab und gibt.

Bei Sendungen nach Russland wurde im Falle der Einschreibung der russische Gebührenanteil verdoppelt, nicht aber der bayerische.

Bei Einschreiben bis 1854 über England nach den USA wurden 18 Kreuzer = 5 Silbergroschen in Marken oder bar bis zum britischen Ausschiffungshafen fällig, während die bayerische Chargégebühr von 6 Kr. wieder bar bezahlt wurde. Ab dem britischen Ausschiffungshafen war der Brief aber nicht mehr eingeschrieben, obwohl er so aufgegeben worden ist, weil niemand die Sicherheit für die einwandfreie Überfahrt garantieren wollte und konnte.

Das sind nur ein paar Beispiele von vielen, die dir zeigen sollen, dass diese Materie ungeheuer vielfältig und spannend ist.

Für weitere Fragen stehe ich gerne zu Diensten, so ich sie beantworten kann.

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
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