Thema: Zukunftssicherung deutscher philatelistischer Vereine
Cantus Am: 07.05.2018 04:05:19 Gelesen: 10105# 17@  
Mich erreichte in den letzten Tagen ein Rücklauf einer meiner Kilowarenrundsendungen und etwa die Hälfte aller Teilnehmer hatte nichts für die eigene Sammlung gefunden und also auch nichts entnommen. Das aber nicht etwa deshalb, weil da z.B. nur drei Sorten einer Freimarke enthalten waren, denn es gab durchaus allerlei verschiedenes Briefmarkenmaterial, sondern mit Sicherheit schlicht und einfach deshalb, weil alle Teilnehmer bereits alles hatten, was da enthalten war, und zwar sowohl Briefmarken als auch verwertbare Poststempel. Und schon sind wir mitten in der Problematik aller Ortsvereine.

Wenn man bisher alleine vor sich hin gesammelt hat, was sollte einen da in einen Ortsverein hineintreiben? Mit Sicherheit werde ich nicht in einen Ortsverein gehen, um regelmäßig an gemütlichen Treffen bei Bier oder Wein teilnehmen zu können, dafür reichen Kneipe oder Gasthaus. Wenn ich in einen philatelistischen Verein gehe, möchte ich mich zu meinem Sammelgebiet austauschen und nach Möglichkeit auch neues Material für meine Sammlung bekommen können, üblicherweise im Wege des Tausches. Und genau da liegt das Problem.

Bei verschiedenen Teilnahmen an vereinsinternen Tauschtreffen habe ich festgestellt, dass nach relativ kurzer Zeit alle von den Anderen alles bekommen hatten, was zum Tausch oder Verkauf zur Verfügung stand, und schon blieb nur noch der Erfahrungsaustausch und die Bierrunde. Und auch der Erfahrungsaustausch wird mit der Zeit langweilig, weil fast alle dasselbe sammeln. Was bleibt, ist das gemeinsame Bier. Und dafür soll ich Vereinsbeiträge an einen Ortsverein zahlen? Was könnte der mir schon langfristig bieten? Und weshalb sollte ich einen wesentlichen Teil meiner Lebenszeit dafür hergeben, um (m)einen Ortsverein zu fördern?

Früher, als schon jeder Zweite in der Schule Briefmarken sammelte und viele auch nach der Schule damit weitermachten, machte so ein Ortsverein Sinn, denn der Mitgliederbestand war ausreichend groß, um ein abwechslungsreiches Vereinsleben zu garantieren, und Mitglieder, die starben, hinterließen keine Lücken, denn junge neue Mitglieder füllten schnell die entstandenen Lücken wieder auf. Heute ist das aber anders.

Ich sehe daher in Ortsvereinen keine Zukunft, sehr wohl aber in überregionalen oder sogar internationalen philatelistischen Vereinigungen, also in entsprechenden Vereinen oder ARGEn. In drei derartigen Organisationen bin ich seit Jahrzehnten Mitglied und habe es nicht bereut.

Junge Sammler gewinnt man mit Sicherheit nicht vorrangig dadurch, dass sie sich an ihrem Wohnort an einen Ortsverein anschließen, auch wenn vielleicht erste Kontakte mit der Philatelie so geschehen. denn die heutige Jugend ist durch den fast ausschließlichen Gebrauch von Handy und Internet dort unterwegs und nicht mehr in ihrem Wohnbezirk. Wer also die Jugend gewinnen oder zumindest für die Philatelie interessieren möchte, muss seine Aktionen ins Internet verlagern. Eines unserer Mitglieder, Wesi aus Stuttgart, hat mir berichtet, dass es bei Facebook Briefnarkengruppen gibt, bei denen viele Jugendliche eifrig miteinander tauschen, und zwar mit Tauschpartnern in aller Welt. Leider sind die meisten oft schon sehr alten Sammler in den Ortsvereinen nicht dazu bereit oder intellektuell überhaupt nicht dazu in der Lage, sich diesem veränderten Sammelverhalten anzupassen und so wie ihr oder auch ich wesentliche Teile ihres Sammelns eng mit Computer und Internet zu verknüpfen.

Durch deren Tod werden nach und nach die meisten Ortsvereine mangels ausreichender Mitgliederzahl aussterben. Wenn die organisierte Philatelie überhaupt in Deutschland eine Zukunft hat, dann mit Sicherheit nicht im Fortbestand von Ortsvereinen.

Viele Grüße
Ingo
 
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