Thema: Zukunftssicherung deutscher philatelistischer Vereine
Cantus Am: 07.05.2018 18:51:39 Gelesen: 9804# 25@  
@ Magdeburger [#18]

Hallo Ulf,

das, was ich verbreite, hat mit Klischee wenig zu tun, dafür aber viel mit Realität. Zunächst einmal ist unsere Wahrnehmung natürlich stark unterschiedlich. Du lebst in einer großen Stadt mit vielen Einwohnern, wo man auf relativ engem Raum sicherlich immer wieder einmal Menschen finden kann, die sich ganz allgemein für ein philatelistisches Thema interessieren könnten, vielleicht über eine Heimatsammlung, über Stempel oder andere Themen. Ich dagegen wohne in einer sehr ländlichen Gegend. Derzeit bewohnen ca. 67.000 Einwohner eine Fläche von ca. 1300 Quadratkilometern. In den letzten Jahren ist die Einwohnerzahl stark rückläufig, besonders junge Leute kehren der Region den Rücken. Die, die hier geboren sind und immer noch in den Dörfern leben, sind überwiegend recht einfach gestrickt und haben Berufe wie Bauer, Melker, Traktorfahrer, Entenzüchter, Maurer oder Dachdecker, um mal die besseren Berufe zu nennen. Natürlich gibt es hier auch ein paar Leute mit höherer Bildung, sie bilden aber bei weitem nicht die Mehrheit.

Im gesamten Landkreis Märkisch Oderland (das Oderbruch ist nur ein Teil davon) gibt es nur einen einzigen Briefmarkenhändler, ansässig in der Kreisstadt Seelow (5.000 Einwohner), der aber mangels ausreichender Sammlerschaft sein Geld nur noch nebenbei mit Briefmarken, im Hauptgeschäft aber mit Waffen jeder Art und Armeeklamotten verdient. Im gesamten Oderbruch gibt es einige Ansichtskarten-Heimatsammler, aber nur einen einzigen Sammler, der, so wie auch ich, frankierte Poststücke aus den Dörfern zusammenträgt. In Seelow gibt es einen Briefmarkensammlerverein mit geschätzt etwa zwanzig Mitgliedern, die sich alle schon seit Jahrzehnten kennen und nichts mehr haben, was sie miteinander tauschen könnten. Und dann gibt es da sogar noch etwa 5 Jungsammler, die aber nur an bestimmten Motiven ein Interesse haben.

Vereinzelt war es mir in der Vergangenheit gelungen, Kinder aus meinem Wohnumfeld für's Sammeln zu gewinnen, aber alle diese zunächst erfolgreichen Ansätze haben letztlich ins Nichts geführt. Entweder hat die Pubertät die Kinder vom Sammeln weggebracht oder die pausenlose Handynutzung oder sie sind an ihrer Schule von den Mitschülern wegen ihres Hobbys dermaßen gemobbt worden, dass sie aufgehört haben,, sich mit Briefmarken zu beschäftigen, nur um ihren Frieden zu haben. Unter allen diesen Voraussetzungenn sehe ich kein wie auch immer geartetes Potential, wie hier ein Ortsverein gefördert werden könnte.

Die Diskussion zu einzelnen philatelistischen Themen oder einfach nur der Erfahrungsaustausch ganz allgemeiner Art setzt voraus, dass da eine Gruppe von Sammlern zusammenkommt, die genau so etwas anstrebt. Auch wenn bei Vortägen unterschiedliche Themen angesprochen werden können, so sollte zwischen den potentiellen Zuhörern doch ein Consens dazu bestehen, woran mehr und woran weniger Interesse besteht.

Im allgemeinen ist es in den Ortsvereinen doch so, dass die meisten Sammler Themen wie Bund, Berlin, DDR oder Deutsches Reich sammeln, vielleicht auch noch ein paar Motivthemen, oft aber nur in dem Umfang, wie die Vordruckblätter der philatelistischen Fachverlage oder der jeweilige Länder- oder Motivkatalog das hergeben. Damit ein Ortsverein eine wirkliche Zukunft hat, sollte es aber eine größere Vielfalt an Themen geben und das Durchschnittsalter derer, die zu entsprechenden Fachvorträgen kommen, sollte nicht höher als 50 Jahre sein. Außerdem sollten alle, die an einem Fortbestehen ihres Ortsvereins interessiert sind, tatsächlich bereit sein, sich dort regelmäßig ehrenamtlich zu engagieren und auch die Bereitschaft und Fähigkeit, das alles mit dem Internet zu verbinden, sollte in der heutigen Zeit unbedingt vorhanden sein.

Bei uns sehe ich dafür in keiner Hinsicht irgendeine Chance, weshalb es in vielleicht 20 Jahren den Briefmarkensammlerverein Seelow nicht mhr geben wird. im Übrigen haben mir von allen Kommentaren, die in der letzten Zeit hier gepostet worden sind, der von Oliver am besten gefallen, denn er spricht mir aus dem Herzen und kann offensichtlich die Situation, der wir uns stellen müssen, am besten einschätzen.

Viele Grüße
Ingo
 
Quelle: www.philaseiten.de
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