Thema: Tschechoslowakei Luftpost 1919 bis 1938
Detlev0405 Am: 08.10.2018 14:15:52 Gelesen: 168817# 94@  
Der heutige Beleg wird uns zeigen, das es bei der Bestimmung der Flugrouten nicht nur Kenntnis über die jeweiligen Flugpläne und Fluglinien benötigt, sondern auch Kenntnisse über historische Gegebenheiten der jeweiligen Region. Diese Analyse ist in bewährter Zusammenarbeit mit Wolfgang (saintex) entstanden und hat ein weiteres Mal gezeigt, das sein Spezialwissen unverzichtbar ist. Aus diesem Grund habe ich auch die Darstellung des Beleges in einer anderen Form gewählt, als These und Antithese. So kann jeder die Gedankengänge zu dem Beleg nachvollziehen.



Der Reihe nach. Während in Deutschland Luftpostbelege mit Freistempel relativ oft vorkommen, ist das in der Tschechoslowakei eher eine seltene Form der Frankierung gewesen. Absender ist die Poldi Hütte in Kladno, ein Betrieb der Stahlindustrie. Zulieferer z.B. von Stahl für den Rennwagen Blitz von Benz oder der Harbour Bridge in Sydney. Der Adressat ist eine Firma in Kalkutta (Indien).

Der europäische Teil des Fluges bis Athen war bei der Untersuchung unumstritten. Es war nur schwer, das entsprechende Material zu finden, da es keine Beförderung von einer einzigen Luftpostlinie war. Die Verbindung ging über Wien – Prag ab 17.00 an Wien 18.30 Uhr am 01.06. Von Wien am 02.06. 13.10 ab und an Budapest 14.15 Uhr. Ab Budapest um 15.00 nach Belgrad an 16.05. Uhr. Ab Belgrad 16.20 (So = Samstag) an Sofia 19.30 Uhr. Dienstag (U = Dienstag) den 05.06., um 14.55 nach Saloniki an 16.10 Uhr und weiter nach Athen um 16.30 Uhr. Dort Ankunft um 18.30 Uhr. Nur diese Verbindung passt in den Zeitrahmen und korrespondiert auch mit den jeweiligen Wochentagen, an denen die einzelnen Strecken betrieben wurden und wäre ein Argument für beide Luftpoststempel.



Optimistisch habe ich dann auch versucht, die Strecke Athen – Kalkutta mit dem vorliegenden Material zu analysieren. So kam meine These zustande:

„Ich habe zuerst einmal die Tage enträtselt - 01.06.34 Prag ein Freitag , 06.06.34 Athen war ein Mittwoch, 10.06.34 Karachi ein Sonntag und der 13.06.34 in Kalkutta ein Mittwoch. Dann habe ich mir die Flugpläne angesehen - Athen flog die Air France am Mittwoch und auch die Ankunft in Karachi stimmt mit dem Air France Plan überein. Als ich dann auf Kalkutta gesehen habe, fand ich nur die KLM, die an diesem Tag dort eintraf. Und plötzlich verstand ich den Stempel auf der Vorderseite aus Karachi. Es ist kein Durchgangsstempel wie ich zuerst vermutet hatte, sondern ein Flugunterbrechungsstempel. Irgend etwas lief wohl schief mit der Air France Maschine, so das die Post mit der nächsten, einer KLM
Maschine, weiter geleitet wurde. Die KLM Maschine traf am Mittwoch in Kalkutta ein.“


Soweit so gut – oder eben nicht. Meine These berücksichtigt keine Flugverspätungen, geschweige denn die politischen Veränderungen in Indien seit Beginn der 30er Jahre.

So kommt Wolfgangs Gegenthese doch zu einem anderen Ergebnis:

„Aufgrund der Stempeldaten von Athen (6.6.1934) und Karachi (10.6.1934) kommt nach den in der aerophilatelistischen Literatur u.a. von Proud[1] und TSchroots[2] veröffentlichten Flugdaten nach meiner Meinung nur eine Beförderung Deines Luftpostbriefes auf der Fluglinie der KLM Amsterdam – Bandoeng in Betracht: mit Flug Nr. 186 ab Amsterdam am 7.6.1934 (Donnerstag), an Athen 8.6.1934 (Freitag), an Karachi 10.6.1934 (Sonntag). Dieser Flugablauf stimmt auch mit dem in der für die Monate Mai/Juni 1934 gültigen Luftpostliste veröffentlichten Flugplan für die Luftpostlinie Amsterdam – Bandoeng überein.
Richtig ist, dass aufgrund der in den zeitgenössischen Flugplänen der Air France angegebenen Abflug- und Ankunftszeiten zunächst auch eine Beförderung Deines Luftpostbriefes mit der Air France denkbar wäre. Diese Möglichkeit scheidet nach meiner Ansicht jedoch aus folgenden Gründen aus:
….
Entscheidend kommt aus meiner Sicht jedoch hinzu, dass der Air France Flug, der am 6.6.1934 in Marseille begonnen hatte, nach den Angaben bei Proud[3] abweichend vom Flugplan erst am 12.6.1934 (Dienstag) in Karachi angekommen war. Ein Grund für die zweitägige Verspätung wird bei Proud nicht angegeben. Treffen die Angaben bei Proud zu, kann Dein Luftpostbrief nicht mit der Air France befördert worden sein, da Dein Luftpostbrief ausweislich des Hinweisstempels bereits am 10.6.1934 und damit zwei Tage vor der Air France Maschine in Karachi eingetroffen war, was meine These der Beförderung durch die KLM erhärtet.
In Karachi wurde die für Brit. Indien, Burma und Ceylon bestimmte Luftpost ausgeladen und auf „gewöhnlichem Weg“ bis zum Bestimmungsort weiterbefördert. Wörtlich heißt es im Handbuch von TSchroots in einer Anmerkung zur Luftpostlinie Amsterdam-Bandoeng für das Jahr 1934[4]: De correspondentie vanuit Nederland voor geheel Brits Indie, Birma en Ceylon wordt in Karachi gelost en vandaar met de bestaande middelen van vervoer doorgezonden. Aus diesem Grund wurde in Karachi auch der Hinweisstempel CANCELLED auf dem tschechischen Luftpostaufkleber angebracht, zum Zeichen dafür, dass die Luftpostbeförderung in Karachi endete. Diese eigenartige Regelung der Luftpostbeförderung über das Territorium Brit. Indiens soll u.a. politische Gründe gehabt haben, insbesondere dem allmählich erstarkenden indischen Nationalgefühl und dem Wunsch nach Eigenstaatlichkeit widerstrebte die Gewährung von Verkehrsrechten an ausländische Luftverkehrsgesellschaften ohne Gegenseitigkeit. Auch die Gründung eigener indischer Fluggesellschaften, z.B. durch den Tata-Konzern, die Fluglinien innerhalb Indiens aufbauten, scheint eine Rolle gespielt zu haben. Vermutlich wird auch die britische Fluggesellschaft Imperial Airways Einfluss auf die indische Kolonialregierung genommen haben, um sich der niederländischen KLM als einem lästigen Mitbewerber zu erwehren.“

Erhärtet wurde diese Darstellung durch Wolfgangs ergänzende Information, die eine zeitgenössische Darstellung des Kampfes um die Lufthoheit in Indien dokumentiert.

„Bei Proud habe ich noch die in der Anlage beigefügte von Anfang Oktober 1933 datierende Bekanntmachung der Indischen Post gefunden. In Ziff. 4. enthält die Bekanntmachung die Klarstellung, dass Luftpost innerhalb Indiens nicht von der K.L.M. oder der Air Orient (Vorläufer der Air France) befördert wird und dass Luftpost aus Europa nach Bestimmungsorten in Indien und Burma in Karachi ausgeladen wird (… will be dropped at Karachi). Damit liegt auch eine zeitgenössische postalische indische Quelle vor, die bestätigt, dass die Luftpostbeförderung Deines Luftpostbriefes in Karachi endete.“




Dieses Dokument ist ein wichtiger Beweis für die Behauptung von Wolfgang, das es restriktive Maßnahmen seitens der indischen Regierung gab, um die eigene Luftfahrt zu fördern und zu schützen. Es wird bei einem späteren Beitrag in meinem Thread noch eine wichtige Rolle spielen und bewiesen werden mit einem Beleg. Somit ist dieser Beleg nicht nur beeindruckend durch die seltene Verwendung von Freistempeln im internationalen Luftpostverkehr der Tschechoslowakei, sondern auch eine Dokumentation zu den Anfängen der selbständigen Luftpost in Indien.

Quellen:

[1] Edward B. Proud, Intercontinental Airmails, Vol. 2 Asia and Australasia, Großbritannien 2009
[2] TSchroots, Luchtvaart en Luchtpost encyclopedie, Teil 1 (bis 1935), Amsterdam 1990
[3] Proud Vol. 2 Seite 804
[4] TSchroots Teil 1 Seite 627
[5] http://www.timetableimages.com/ttimages/cls/cls3405/cls345-4.jpg
 
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