Thema: (?) (284) Deutsches Reich: Portobestimmung von Belegen
philast Am: 28.12.2018 20:42:44 Gelesen: 80295# 98@  
Hallo,

anbei ein eingeschriebener Eilbrief vom 18.12.1918 (Samstag) gelaufen von Hamburg 4 nach Barau (Bavorov in Böhmen) zugestellt wahrscheinlich am 22.12.1915.



Als Absender ist Walav Masl Sarrosany und als Empfänger der Kaplan Frantisek Damorazek in Bavorov genannt. Über den Absender war nichts direkt im Internet zu finden, über den Empfänger war zu lesen, dass er Kaplan von Bavorov war und eine größere Abhandlung über die die nahe Bavorov gelegene Helfenburg geschrieben hat. Der Brief ist freigemacht mit 1,05 Mk. Wenn man die üblichen Porti/Gebühren der Reichspost ansetzt kommt man in keiner Weise auf diesen Betrag (0,55 Mk 1. Gewichtsstufe, Einschreiben, Eilbote oder 0,65 Mk 2. Gewichtsstufe).

Ebenso exotischere Gebühren wie Spätgebühr (weitere 0,20 Mk) führen hier nicht zu einem der Frankatur entsprechenden Porto, das Postamt Hamburg 4 hatte auch Samstag bis 20 Uhr Betrieb (Quelle Adressbuch Hamburg). Auch nach einer philatelistischen Überfrankierung sieht der Brief nicht aus.

Ich bin zu folgender Erklärung für die Franktur gekommen und würde gerne die Experten im Forum bitten zu prüfen, ob diese Erklärung stichhaltig und belegbar ist, denn wenn die Beschreibung zutreffend ist, dann findet man so ein Stück Postgeschichte wahrlich nicht jeden Tag.

Die Erklärung führt über den Postvertrag zwischen Deutschland und der Österreich-Ungarischen Monarchie von 1872 (Wechselverkehr).

Der Vertrag ist hier einsehbar: https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht?PPN=PPN746857020&PHYSID=PHYS_1119&DMDID=DMDLOG_0014

In Artikel 18 (Seite 8) ist folgendes bezüglich Expressbestellungen bestimmt:



Hier wurde für Expressbriefpostsendungen nach dem Landbestellbezirke vereinbart, dass die Expressbestellgebühr in der Regel vom Adressaten (Empfänger) zu erheben ist, nach der Höhe des am Zielorte gültigen Gebührensatzes. Diese Bestimmung lese ich so, dass der Absender in Deutschland durchaus die Land Expressgebühr für Österreich frankieren durfte (also vorauszahlen), die zu diesem Zeitpunkt (Quelle Ferchenbauer / Michel Österreich Spezial 2016) 100 Heller betragen hat, für eine Express Zustellung bis zu 7,5km außerhalb des Ortsbereichs (ab 1.1.1900), außerdem wurde diese vorausgezahlte Expressgebühr an die österreichische Postverwaltung im Rahmen des Wechselverkehrs vergütet und führte die Dienstleistung aus.

Der Umrechnungskurs der Krone zur deutschen Reichswährung hat laut Amtsblatt Nr. 160 vom 30.11.1915 für 100 Kronen = 71 Mk (Postanweisungen) betragen, im Abschnitt Berichtigungen des Briefposttarifs wurde ein Umrechnungskurs von 100 Kronen = 72 Mk festgesetzt. Mit diesem Umrechnungskurs wurde die Eilbestellung der Österreichischen Postverwaltung vergütet im Rahmen des Wechselverkehrs, denn diese Gebühr verblieb ja vollständig bei der Empfängerpost.

Dann ergibt sich folgende Zusammensetzung der Briefgebühr:
1. Gewichtsstufe bis 20g : 0,10 Mk
Einschreiben : 0,20 Mk
Eilbote Landbestellung Österreich: 0,75 Mk krumme Pfennigbeträge waren auf den nächsten durch 5 teilbaren Pfennigbetrag aufzurunden daher statt 0,72 Mk gemäß Wechselkurs, 0,75 Mk)
Summe : 1,05 Mk
und dann wäre der Brief portogerecht freigemacht.

Stellt sich noch die Frage, ob das denn auch wirklich eine Landbestellung ist.
Für eine Landbestellung spricht der Vermerk Posta Bavorov (Zustellung durch die Post in Bavorov).

Dagegen spricht, dass in Bavorov ein Postamt war (siehe Ankunftsstempel) und auch eine Kirche existiert und der Kaplan des Ortes wahrscheinlich auch nahe der Kirche gewohnt haben dürfte, also eine Landbestellung nicht unbedingt erforderlich wäre. Andererseits bringt das Amt des Kaplans auch mit sich, dass er nicht nur im Ort und in der Kirche gearbeitet hat sondern auch in den umliegenden Dörfern seinen seelsorgerischen Dienst zu verrichten hatte, gerade zu Kriegszeiten und Weihnachten, und somit häufiger unterwegs war. Der Absender wollte wahrscheinlich eine sofortige persönliche Zustellung des Briefes erreichen, egal wo der Kaplan sich gerade aufgehalten hat und hat dies auch mit einer hohen Gebühr in Kauf genommen.

Zahlreiche Abbildungen und Erläuterungen zu Expressbriefen in den Landbereich siehe Handbuch von Ferchenbauer Band 2 Seite 399 - 415.

Ist diese Betrachtung plausibel/korrekt?

Mit freundlichen Grüssen
philast
 
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