Thema: Fälschungen erkennen: Deutsches Reich Zensurbriefe mit Falschstempeln
Richard Am: 14.06.2019 09:04:11 Gelesen: 4824# 1@  
Schelmenstreich oder Betrug ?

Von Fredy Brauchli, Mitglied der Kommission zum Schutz der Philatelie

Fälschungen in der Philatelie trifft man mehrheitlich bei hochpreisigen und oft auch seltenen Objekten an. Dass dies nicht immer zutrifft, soll am Beispiel eines Zensurbriefes des Dritten Reichs gezeigt werden. Wer die technischen Möglichkeiten kennt, kann sich mit einer Fälschung vielleicht ein paar Franken verdienen. Aber lohnt sich das?

Ein Vereinskamerad, der sich in der Tat Fachmann auf dem Gebiet der Zensurmerkmale des Zweiten Weltkriegs nennen darf, ist im Zuge seiner Sammlertätigkeit auf eine unglaubliche Fälschung gestossen. Er konnte zu Beginn gar nicht fassen, dass es so etwas überhaupt gibt. Also holte er sich eine Zweitmeinung von einem weiteren Koryphäen auf diesem Fachgebiet ein. Beide waren sich einig; es handelt sich wohl um die dreiste Machenschaft eines «Filoutelisten». Über die Art und Weise der Herstellung war man sich nicht ganz einig, weshalb mir der Fall vorgelegt wurde mit der Frage, wie ich mir die Herstellung erkläre.

Am Ausgangspunkt der Diskussion stand ein Brief aus Italien, entwertet am 4.10.1939, adressiert an eine Dame, wohnhaft bei einem Herrn Hofrat Weiss in Wien:



Zur Erinnerung: Österreich hatte eineinhalb Jahre früher bereits den «Anschluss» ans Deutsche Reich vollzogen und Italien galt als verbündeter Staat. Nun trägt der Brief sowohl auf der Vorder- als auf der Rückseite einen schwarzen Stempel «Geprüft Oberkommando der Wehrmacht». Der Brief weist absolut keine Öffnungsspuren auf. Wie sollte der Inhalt des Briefes also von der deutschen Zensur geprüft worden sein, zumal zu jener Zeit (Oktober 1939) weder in München noch in Frankfurt Briefe aus Italien zensiert wurden?

Briefe von und nach den Staaten Italien, Spanien und Portugal wurden später in der Tat von der Zensur erfasst und deren Tätigkeit mit einem Verschlusszettel auf der Briefrückseite deutlich gekennzeichnet. Diese Verschlusszettel existieren in verschiedenen, leicht abweichenden Formen, was ihren Druck betrifft. Bei der Zensur von Post von oder nach den drei genannten Staaten wurde jeweils ein beige-brauner Verschlusszettel verwendet:



Dieser trug exakt den gleichen Aufdruck wie der lose angebrachte Stempel auf unserem Brief. Ein Handstempel mit der identischen Gestaltung existierte damals jedoch nicht.

Somit stellten sich einige Fragen: Stimmt der Stempel in Grösse und Ausmass mit dem Aufdruck auf den Verschlusszetteln überein? Wie kommt jemand zu einem deckungsgleichen Handstempel? Oder handelt es sich gar um einen Computer-Druck anhand eines vorherigen Scans?

Stand und Grösse der beiden Elemente des falschen Stempels entsprechen dem Druck auf den echten Verschlusszetteln. Also wurden der vorder- und rückseitig auf dem Brief angebrachte Stempelabschlag auf Gleichheit in den Details überprüft. Denn wären diese Abdrücke mit einem Computerdrucker hergestellt worden, so würden sie auch in den Einzelheiten absolut übereinstimmen (beispielsweise Fehlstellen an gleicher Position). Das Ergebnis war eindeutig: Es handelt sich nicht um Computer-Drucke. Auch fielen bei 25-facher Vergrösserung keine Rasterpunkte auf, die über den Weg eines Scans wohl entstanden wären. Damit verblieb nur die Variante, dass es sich um zwei effektive Stempelabdrucke handeln muss. Aber wie kam jemand zu einem solchen Handstempel?



Es ist bekannt, dass in spezialisierten Stempel-Läden praktisch alle gewünschten Stempel anhand einer sauberen Vorlage, beispielsweise eines Scans, bestellt werden können. Doch – dem Internet sei Dank – präsentierte sich noch eine weitere, einfachere Erklärung: Für Militaria-Sammler oder -Fälscher (!) werden von dubiosen Anbietern für wenig Geld teils absolut originalgetreue Stempel-Replikate in grosser Auswahl angeboten. So beispielsweise die zwei abgebildeten Stempel aus dem Dritten Reich (Abbildung 3a und 3b). Damit lassen sich Originalität vortäuschende Belege herstellen. Ein Anbieter gibt auf seiner Website sogar noch Tipps in englischer Sprache, wofür man diese Stempel gebrauchen kann:



Die Verwendung zur Herstellung von gefälschten Zensurmerkmalen fällt in seinem Sinne wohl unter «andere Dokumente». Jedenfalls dürften sie nicht nur in der Philatelie zu Fälschungen oder Nachahmungen gebraucht werden.

Solchermassen verfälschte Briefe kosten kein Vermögen. Im Gegenteil, sie sind für ein paar € auf Internet-Handelsplattformen erhältlich. Womit wir wieder beim Titel des Beitrags angelangt sind: Schelmenstreich oder Betrug? Aus Sammler-Sicht ist die Antwort wohl klar: Betrug, allenfalls sogar Urkundenfälschung.


Mit freundlicher Genehmigung des Autors Fredy Brauchli von der Kommission zum Schutz der Philatelie und Hans Schwarz, Chefredakteur der SBZ Schweizer Briefmarken Zeitung. Erstveröffentlichung im Oktober 2018.
 
Quelle: www.philaseiten.de
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