Thema: Moderne Privatpost in Deutschland
Richard Am: 25.10.2009 20:07:35 Gelesen: 2544808# 222@  
Wenn der Briefträger mehr als einmal klingelt

Von Jolf Schneider

Freies Wort (20.10.09) - Die alternativen Postdienstleister wollen künftig enger zusammenarbeiten und so ein flächendeckendes Zustellnetz garantieren. Noch hapert es nämlich daran.

Das waren noch Zeiten als man nach dem Briefträger die Uhr stellen konnte. Da wusste man, dass die Post pünktlich zu einer bestimmten Zeit im Briefkasten liegt. Inzwischen wundern sich viele, dass sie gleich mehrmals täglich Briefe aus ihrem Postkasten fischen müssen. Und was da alles draufsteht auf den Stempeln: Citykurier, THPS, TZD, Mailcats oder Pin zieren die Briefe. Die gute alte Briefmarke oder einen Stempel der Deutschen Post findet man vor allem auf Sendungen von Behörden immer seltener.

Liberalisierung des Briefmarkts nennt sich das, was zu dieser Vielfalt der Namen bei den Zustellfirmen führt. Nach Strom, Telefon und Gas ist seit dem 1. Januar 2008 auch bei den Postdiensten das Monopol eines ehemaligen Staatskonzerns fallen. Die alternativen Anbieter versprechen niedrigere Preise, doch ihre Dienste sind bislang vor allem für Unternehmen oder Behörden interessant, die größere Mengen verschicken.

Noch sehr aufwendig

Für den Privatkunden ist der Aufwand, einen Brief, mit einem dieser Anbieter zu verschicken noch deutlich höher als der Gang zum gelben Briefkasten. Vor allem in ländlichen Regionen wie Südthüringen. Das räumt auch Eike Böttcher vom Verbraucherportal posttip.de aus Berlin ein. "Hier bei uns klappt das mittlerweile ganz gut, da kooperieren Firmen wie Pin mit Kiosken, die dann die Briefe annehmen. Aber im ländlichen Raum ist es für den Privatkunden noch recht kompliziert", sagt Böttcher.

Das Internet ist ja meistens eine gute Anlaufstelle, um sich auf solch neuen Märkten zurecht zu finden. Und tatsächlich gibt es mit posttip.de schon einen Anbieter, der die Leistungen der verschiedenen Postdienste vergleicht. Für einen Standardbrief von Suhl nach Zella-Mehlis schlägt der Tarifrechner dort die Berliner Pin AG als Zusteller vor. Sie ist immerhin einen Cent billiger als die Post. Doch wohin mit dem Brief? Laut Internet soll es Annahmestellen geben. Doch wo? Um das herauszufinden, muss sich der Kunde erst noch durch die Internet-Seite der Pin AG klicken. Die verrät zwar, dass das Unternehmen problemlos einen Standardbrief in Suhl oder Zella-Mehlis zustellen würde, doch bei der Suche nach der passenden Annahmestelle spuckt die Suchmaschine nur drei Filialen in Berlin aus. Da wäre für den Kunden vermutlich die Eigeninitiative günstiger: Den Brief einfach selbst in Zella-Mehlis vorbeibringen.

Böttcher räumt ein, dass es hier noch einige Kinderkrankheiten in der Suchmaschine gibt. "Theoretisch sind die Angaben richtig, doch sie stammen noch aus der Zeit, als der Springer-Verlag bei Pin eingestiegen war und sich viele regionale Gesellschaften unter diesem Dach gesammelt hatten." Dann kam der Post-Mindestlohn. 9,50 Euro in der Stunde soll ein Briefzusteller eigentlich verdienen. Springer stieg aus dem Postgeschäft aus und die ganzen Regionalgesellschaften verließen das Dach der Pin. "Für uns bedeutet das, dass wir nun in viel Kleinarbeit wieder die ganzen Regionalgesellschaften zuordnen müssen", sagt Böttcher.

Filialnetz fehlt

Der alternative Postmarkt steckt also noch voller Tücken. Das liegt daran, dass die neuen Unternehmen noch kein flächendeckendes Filialnetz haben. Ein Pfund, mit dem die Post trotz regelmäßiger Kritik an Schalterschließungen oder dem Abbau von Briefkästen nach wie wuchern kann. "Die Wege zu den Annahmestellen der alternativen Anbieter sind in der Regel noch deutlich weiter", weiß auch Böttcher.

Wer mit den alternativen Anbietern schicken will, der muss seine Gewohnheiten ändern. Das beginnt bei der Briefmarke. Die größeren Post-Konkurrenten bieten mittlerweile einen Service an, bei dem sich die Kunden ihre Marken im Internet selbst ausdrucken können. Die ersten Unternehmen hatten allerdings auch schon mit Fälschungen zu kämpfen.

Weiter geht die Umstellung der Gewohnheiten bei der Aufgabe des Briefes. In den bekannten gelben Kasten dürfen sie jedenfalls nicht. Der Erfurter Postdienstleister Mailcats hat in einigen Regionen mittlerweile eigene, blaue Briefkästen aufgestellt. Andere Anbieter werden diesem Beispiel folgen. Die Alternative bietet die Annahmestelle. Doch die ist - wie das Beispiel Suhl und Zella-Mehlis zeigt - gerade im ländlichen Raum nicht so einfach zu finden.

Und auch der Kostenvorteil ist schnell dahin, wenn ein Brief nicht im regionalen Gebiet eines Post-Konkurrenten zugestellt werden soll. Wird ein Brief von Suhl nach Rostock verschickt, dann müssen die meisten alternativen Anbieter die Sendung noch bei der gelben Post einspeisen und die lässt sich diesen Service natürlich bezahlen. Ausnahmen bilden einige bundesweite Kooperationen, bei denen sich regionale Dienstleister untereinander austauschen. Genau diese sollen nun ausgebaut werden.

Bleibt die Frage, ob man die Konkurrenz mit gutem Gewissen nutzen kann. Nicht umsonst wurde der Mindestlohn eingeführt. Doch das hat laut Andreas Wiedemann, bei der Gewerkschaft Verdi in Thüringen, Sachsen, und Sachsen-Anhalt für die Postdienste zuständig, nichts an der "miserablen Bezahlung" bei den meisten Anbietern geändert. Viele Unternehmen würden gar nicht mit fest angestellten Zustellern, sondern nur mit 400-Euro-Kräften arbeiten.

Arbeitsplätze gefährdet

Der Gewerkschafter befürchtet durch die alternativen Postdienste eine Abwärtsspirale zu noch mehr prekären Arbeitsverhältnissen, bei denen die Beschäftigten zusätzlich ergänzende Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen. Gerade bei Behörden hat Wiedemann kein Verständnis dafür, wenn sie auf die Konkurrenz zum ehemaligen Staatskonzern umsteigen. Da würden Arbeitsplätze bei der Post gefährdet. Arbeitslose Postboten würden schließlich Arbeitslosengeld beantragen und die Briefe dann von Zustellern gebracht, die so schlecht bezahlt würden, dass auch sie auf Leistungen vom Staat angewiesen seien. Genau von dem Staat, dessen Behörden mit dem Wechsel auf einen anderen Postanbieter ein paar Cent sparen wollten. "Eine Milchmädchenrechnung", findet Wiedemann.

(Quelle: http://www.freies-wort.de/nachrichten/thueringen/seite3thueringenfw/art2402,1051565)
 
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