Thema: (?) (1180) Rohrpostbelege
cartaphilos Am: 21.06.2010 08:49:23 Gelesen: 1374461# 535@  
Hallo Ludger [#532],

danke für Diskussion und Anregung, die mich noch einmal zu vertieftem Studium der Unterlagen und Nachdenken über die Verhältnisse veranlaßt haben.

Zum ersten Beleg ist es klar, daß nur die Ableitung über W 9 sinnvoll war, denn nur über dieses RPA konnte der Anschluß nach Steglitz erreicht werden. Mir scheint, daß die Zeit noch ausreichend gewesen sein dürfte, die Sendung vor Rohrpostschluß (22.02 Uhr für Steglitz) bis Steglitz durchzubekommen. Von W 9 bis Steglitz ist nach Rohrpostfahrplan folgende Fahrtzeit anzusetzen:

W 9 - 2 min. - W 35 - 2 min. - W 57 - 3 min. - Schöneberg 1 - 3 min. - Friedenau - 3 min - Steglitz

Es ergibt sich eine Gesamtfahrtdauer auf dieser automatisierten Schnellrohrpostlinie von 13 Minuten.

Da auf der Schnellrohrpostlinie HTA - Steglitz im 5-Minutentakt gefahren wurde, käme auf diese Weise selbst eine Rohrpostsendung, die mit dem Zug um 21.45 Uhr abgesendet würde, noch vier Minuten vor Rohrpostschluß in Steglitz an. Da die vorliegende Sendung um 21.30 in W 9 bearbeitet wurde, ist es sehr wahrscheinlich, daß sie noch einen der vier Rohrpostzüge (21.30, 21.35, 21.40, 21.45) oder gar den letzten Richtung Steglitz um 21.50 Uhr erreichte, der laut Rohrpostfahrplan um 22.02 Uhr dort ankam. Nach den technischen Daten und den Fahrplänen stand also einem rechtzeitigen Erreichen von Steglitz per Rohrpost nichts im Wege.

Wie es dann von dort aus weiterging, kann man nur erahnen: mit dem Krad, mit dem Auto, gar mit dem Postbeutel auf der Wannseebahn, einer Teillinie der Berliner S-Bahn (gab es diese Beförderungsart überhaupt vor dem Postschnelldienst von 1949?)

Beim zweiten Beleg stellt sich die Frage, wo sich die zuständige Eilzustellung befand, denn nicht jedes Postamt verfügte auch über eine Eilzustellung. Außerdem ist es fraglich, ob ein so großer Postkunde wie der Verlag der sogenannten DAF nicht Selbstabholer war, der mehrfach am Tag die eingehende Post abholte, und die Selbstabholung auch Eilsendungen betraf. Wir wissen nicht, wie im Jahre 1936 das Reglement zwischen der Reichspost und dem Verlag war. Aus eigener Beobachtung kann ich jedoch sagen, daß noch bis in den Beginn der 1990er Jahre hinein Selbstabholer aus den in dieser Region Berlins zahlreich angesiedelten Verlagen auch aus anderen, entfernteren Zustellbereichen ihre Post an den Paketschalter des Postamts O 17 (in der DDR dann 1017 Berlin) brachten, denn dies war der Schalter für Massenauflieferungen und ZKD-Sendungen, und von dort auch abholten. Warum dies so war, kann man einfach erklären: Die im Verlagswesen für das Hin- und Hersenden von Druckplatten und Korrekturfahnen so wichtigen Bahnhofssendungen wurden über O 17 eingeliefert und dort, so wie es laut Ordnung für die Bahnhofssendungen vorgesehen war, vom Empfänger auch abgeholt. Weshalb O 17 und kein anderes Amt? O 17 war das Bahnpostamt mit eigenem Postbahnhof direkt am Ostbahnhof gelegen, hier kam die kiloschwere Post für die Verlage per Bahn an.

Kann man aus den Verhältnissen von 1990 auf die von 1936 schließen? Ja und nein: Politisch war alles anders geworden, doch in den Verfahren der Post gibt es eine unglaubliche Beständigkeit: was sich einmal als funktional erwiesen hat, wird so schnell nicht geändert.

Es waren also - so ist mit einiger Berechtigung anzunehmen - regelmäßig Boten der Verlage in Richtung O 17 unterwegs, um dort Postgeschäfte zu erledigen. Ist das eine Erklärung für die Ableitung der Rohrpost-Eilboten-Sendung aus dem Olympischen Dorf nach 0 17 anstelle von SO 16? Denn wenn wir nicht den dargelegten Umstand oder eine Rohrpoststörung annehmen, dann hätte die Sendung über O 27 nach SO 16 abgeleitet werden müssen, wenn dies ein Zustellamt mit Eilzustellung gewesen wäre.

einen schönen Tag noch
wünscht
telosgraphein007
 
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