Thema: (?) (1180) Rohrpostbelege
cartaphilos Am: 03.07.2010 13:42:40 Gelesen: 1373528# 545@  
Guten Morgen,

irgendwie bringt mich die Frage der Behandlung unzustellbarer oder mit Schwierigkeiten zustellbarer Sendungen immer tiefer in meine Belegekisten, und schon kommt ein Telegramm nach Berlin vom 25. September 1899 mit massiven Rohrpostmerkmalen zum Vorschein:



Es geht an eine Hochzeitsgesellschaft oder wenigstens an eine der an der Eheschließung beteiligten Personen. Die Freunde, Verwandten oder Bekannten aus Schochwitz, die auch telegraphisch gratulieren wollten, wußten wohl nur in etwa, wo die Feier stattfinden sollte (in Berlin üblicherweise in einer Gaststätte, einem Wirtshaus, einer Schenke oder eben ganz proletarisch in einer Kneipe) und adressierten voller Postvertrauen wohl an eine der Hauptpersonen der Hochzeitsgesellschaft in der Cottbuserstraße 41. Dabei ist es ganz bemerkenswert, daß der Ortsname in diesem Straßennamen korrekt mit "C" geschrieben ist, während entsprechende Berliner Straßennamen, wie der des Kottbuser Tores, der Kottbusser Straße und des Kottbusser Dammes bis heute falsch mit "K" geschrieben werden.

Das Telegramm kam im HTA (Haupttelegraphenamt) Berlin an und damit begannen die Probleme. Wohl gibt es eine Kottbusser Str. im Bezirk Kreuzberg (Bereich des PA SO 26) und schon ging das Telegramm - eingegangen beim HTA um 15.16 Uhr - per Rohrpost von HTA nach SO 26, wo es um 15.50 respektive 3.50 N ankam. Nur eien Frau Arnold in der Kosbusser Str. 41 konnte der Telegramm- und Eilzusteller nicht ermitteln. Ein anderer Straßenname mußte her: Kottbusser Damm - gleich die Verlängerung der Kottbusser Straße - oder gar Putbusser Straße im zwei Bezirke weiter nördlich im Bezirk Wedding gelegenen Gesundbrunnen.

Die Odyssee dieses Telegramms im Berliner Rohrpostnetz ist mustergültig durch die verschiedensten Minutenstempel dokumentiert. Die verschiedenen Zuleitungen des Telegramms per Rohrpost sind gemäß Rohrpostordnung Berlin oben links mit Rotstift als Wegevorschriften aufgeschrieben und ggf. auch wieder ungültig gemacht worden:

25.9.99, 3.50 N, Berlin SO 26
25.9.99, 5.10 N, Berlin S 59
25.9.99, 6.50 N, Berlin SO 26
25.9.99, 8.50 N, Berlin SO 26
25.9.99, 9.15 N, Berlin HTA
26.9.99, 7.15 - 8.45 V, Zustellversuch durch PA SO 26, dann wieder Rohrpost
26.9.99, 9.#5 V, Berlin W ?
26.9.99, 9.50 V, Berlin N 31

Danach verlaufen sich die Spuren des Weges im Nichts. Ob dieses Telegramm jemals seine Adressaten erreicht hat, ist zweifelhaft. Der letzte verzweifelte Zustellversuch führte dieses Telegramm nach intensiven Bemühungen um seine Zustellung im Grenzbereich zwischen Kreuzberg und Neukölln gar noch am nachfolgenden Tag nach Wedding, dies schon zu einer Zeit, als die Teilnehmer dieser Hochzeitsgesellschaft wohl irgendwo in Berlin noch ihren Rausch ausschliefen, das Brautpaar aber schon längst vollzogen hatte, was es in einer Hochzeitsnacht womöglich eben so zu tun gab.

Aber:

Der 25. September 1899 war ein Montag und wer heiratete schon an einem Montag? Also war dies nur ein nachträgliches Glückwunschtelegramm und die Brautleute waren schon woanders hin verzogen? ;-) Oder hatten wenigstens noch schöne Erinnerungen an ihre Hochzeit, die sie am 23. September 1899 auf dem Standesamt, und am 24. September 1899 wohl in der Kirche und zwischendurch und anschließen in der Gaststätte oder wo auch immer vebracht hatten.

einen schönen Tag noch, pneumatische Grüße und ein spannendes Fußballspiel heute nachmittag.

telosgraphein007
 
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