Thema: Württemberg 70 Kr Marke: Die Suche nach der Wahrheit / Peter Feuser vs. BPP
Richard Am: 25.04.2022 15:04:07 Gelesen: 2352# 3@  
Verkäufe der Restbestände der 70 Kreuzer-Marken.

Aufgrund vieler Anfragen von Sammlern und Händlern wurden die Restbestände der Marke zum Nennwert von 2 Mark zunächst ab ca. 1876 am Postamt Stuttgart I an vermutlich zwei Schaltern (dabei am Schalter für Chargé- bzw. Recobriefe) und anschließend ab ca. 1880 an einem speziell eingerichteten „Sammlerschalter“ am Postamt Stuttgart IV verkauft. An diesem Sammlerschalter wurde keine normale Post abgefertigt.

Hierzu heißt es in der Stellungnahme der Prüfer:

„Im Postamt I gab es keine Sammlerschalter. Diese entspringen der Phantasie des Verfassers, um später seine Theorien über angebliche Gefälligkeitsabstempelungen zu rechtfertigen. Den Sammlerschalter im Postamt IV soll es laut Handbuch von Köhler/Sieger (1940) gegeben haben.

Eine amtliche Verlautbarung zu Sammlerschaltern oder zu der Genehmigung von Gefälligkeitsabstempelungen gibt es nicht. Alle Aussagen hierzu seitens Peter Feuser, auch zu den Jahreszahlen, sind reine Spekulation und u.E. nicht haltbar.“


Niemand hat behauptet, dass es im Postamt I „Sammlerschalter“ gegeben hätte. Die 70 Kreuzer-Marken wurden an Schaltern mit regulärem Postbetrieb mitverkauft, im Gegensatz zum erst ab ca. 1880 eingerichteten Sammlerschalter im Postamt IV.

Sowohl der Verkauf von 70 Kreuzer-Marken im Postamt I als auch am Sammlerschalter im Postamt IV muss als Realität angesehen werden. Das belegen die große Anzahl eindeutiger Nachstempelungen mit Briefpoststempeln dieser Postämter im Zusammenhang mit den Restbestandsverkäufen der 70 Kreuzer ab ca. 1876. Meine Aussagen werden durch zahlreiche weitere beweiskräftige Indizien unterfüttert. Das Fehlen amtlicher Verlautbarungen zu den Sammlerschaltern erlaubt keine berechtigten Zweifel an meinen Aussagen. Alle Akten zu den Umständen der Restbestandsverkäufe der 70 Kreuzer wurden vernichtet und man ist auf Spekulationen angewiesen.



Nachgestempelte Marken mit unmöglichen Daten, Verwendungsorten oder Stempelfarben, Stempelfälschungen (Gemälde)



Nachgestempelte 70 Kreuzer-Marken mit dem Einkreisstempel des Postamtes Stuttgart I



Selbst nach unermüdlicher Suche ist es mir nicht gelungen, eine Briefpost-Frankatur der Ziffernausgabe (ca. 1869–1876) zu finden, auf die die Voraussetzungen für eine Verwendung der 70 Kreuzer-Marke ab 1873 zutreffen könnten. Derartige Frankaturen müsste es aber nach Ansicht der Kreuzerzeitprüfer vielfach geben.

Zur Demonstration sehen Sie oben einen päckchenartigen bayerischen Chargébrief der 6. Gewichtsstufe vom 26.9.1871 mit Gerichtsakten nach Texas/USA mit noch teilweiser vorhandener Frankatur, die vollständig 66 Kreuzer Franco und 7 Kreuzer Einschreibegebühr erfordert hätte, also 73 Kreuzer (vgl. DBZ 4/2022, S. 24). Die Portostufen der süddeutschen Gebiete ins Ausland waren weitgehend gleich. Noch schwerere Briefe sollten mit der Fahrpost befördert werden. Es bestand auch die Möglichkeit der Bar- oder Teilbarfrankatur (vgl. Los 1874A der 96. Feuser-Auktion vom 7.5.2022).

Der Brief zeigt die naturgemäß deutlichen Spuren der vielfachen Umladung auf dem wochenlangen Transport nach Amerika. Die allen Ernstes von den Kreuzerzeitprüfern vielfach in ihrer Gegendarstellung zu meinem Artikel vorgetragene Behauptung, dass sich praktisch alle mit Stuttgarter Briefpoststempeln entwerteten 70 Kreuzer-Marken mit ihrem weit überwiegendem Gefälligkeitscharakter auf überschweren Auslandsbriefen befunden haben müssen, ist aus der Luft gegriffen. Es ist unbegreiflich, dass nicht nur der BPP, sondern auch der Vorstand und der Fachbereich Kreuzerzeit der ArGe Württemberg diese völlig absurde Ansicht teilen.

Wäre ein Bedarf für die Verwendung der 70 Kreuzer bei der Briefpost vorhanden gewesen, dann müssten auch Exemplare mit zeitgerechten Briefpoststempeln aus 1873 und Januar 1874 der Postämter Heilbronn, Stuttgart II und Ulm existieren. Dies ist nicht der Fall.


Wegen des verstärkten Wunsches der Sammler- und Händlerschaft nach gestempelten Exemplaren erklärte sich die Postverwaltung beim Kauf der Marken zu nachträglichen Gefälligkeitsabstempelungen bereit. [4] Hierzu wurden beim Postamt Stuttgart I ein kleiner Einkreisstempel und ein kleiner Datumsbrückenstempel verwendet. Im Zusammenhang mit der Errichtung des Sammlerschalters (wohl Ende 1879/Anfang 1880) wurden die beiden beim Postamt IV bis dahin in Gebrauch befindlichen Stempel (ein großer Datumsbrückenstempel der Briefpost und ein Fächerstempel der Fahrpost) eigens für den Gebrauch beim Sammlerschalter ausgesondert. [5] Die Gefälligkeitsabstempelungen im Postamt IV werden durch Köhler-Sieger bestätigt. Alle Einzelheiten hierzu wird Karl Köhler durch die Befragung von Zeitzeugen erfahren haben. [6]

Die Prüferseite moniert, dass der obige Absatz frei erfunden und kein einziger Punkt belegbar ist oder anhand der überlieferten gestempelten Marken nachvollzogen werden kann. Diese Kritik ist nicht haltbar. Alle meine Aussagen werden durch deutliche und leicht nachvollziehbare Indizien unterlegt. Die ganz überwiegend in einheitlicher Gefälligkeitsstempelqualität mit den genannten Briefpoststempeln vorliegenden 70 Kreuzer können niemals bedarfs- und zeitgerecht bei der Briefpost verwendet worden sein. Briefpoststempel sind bei der Aufgabe von Paketkarten nicht möglich. Gefälligkeitsabstempelungen während der Kurszeit wegen des Verkaufverbotes der 70 Kreuzer ebenfalls nicht. An anderer Stelle wird im Einzelnen darauf eingegangen.

Die Prüferseite verfällt in ihrer Gegendarstellung regelmäßig in unsubstantiiertes Bestreiten, ohne für ihre Position eigene Beweise oder auch nur handfeste Indizien vorzutragen. Aussagen wie „Im Stuttgarter Postamt I wurde kein Stempel für Nachstempelungen benutzt“ sind schon deswegen irrelevant, weil eine Behauptung, dass etwas nicht existiert bzw. stattgefunden hat, töricht ist. Man kann nicht beweisen, dass es etwas nicht gibt, weil in diesen Fällen keinerlei Spuren hinterlassen werden. In unserem Fall gibt es im Gegenteil aber eine Vielzahl Parameter bzw. Anhaltspunkte, die eindeutig für den Verkauf der 70 Kreuzer-Marken an mindestens zwei Schaltern im Postamt I ab 1876 sprechen.

Nach Außerkurssetzung bis zum Ende der Verkaufszeit Mitte 1889 wurden Karl Köhler zufolge 2.850 Exemplare der 70 Kreuzer an Liebhaber verkauft. Ich schätze, dass mindestens 20 bis 30 % davon, also rund 600 bis 900 Exemplare, nachträglich mit Gefälligkeitsstempeln versehen wurden, wohl ganz überwiegend im Zusammenhang mit dem Kauf der Marken an den beiden genannten Stuttgarter Postämtern. Der größere Teil der nachgestempelten Exemplare dürfte sich noch im Handel und bei Sammlern befinden. Nachstempelungen anderer Orte kommen ebenfalls vor, beispielsweise von Ulm, Beimerstetten, Gmünd oder den anderen Stuttgarter Postämtern. Der Anteil der Nachstempelungen anderer Postämter als Stuttgart I und IV dürfte nur rund 10 % betragen. Diese werden in aller Regel von den zuständigen BPP-Verbandsprüfern nicht als zeitgerechte Entwertungen anerkannt.

Hierzu schreiben die Fachprüfer:

Wir schätzen, dass etwa 50 bis 100 Marken der am Sammlerschalter Postamt IV verkauften Marken mit Gefälligkeitsstempeln von verschiedenen württembergischen Orten versehen wurden. Nachweisbare Nachstempelungen von 70 Kr. kommen selten vor.

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Bereits in der Kreuzerzeit wurden regelmäßig verschlissene und repaturbedürftige Stempel zur Überholung an die vorgesetzten Oberpostämter oder an die Oberpostdirektion in Stuttgart gesandt. Bis zur Einführung der Wanderstempel übernahmen meist vorhandene Fahrpoststempel (oft frühere Briefpost-Zweizeiler) den kurzzeitigen Ersatz bis zur Rückkehr der reparierten Stempel. Im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Reparatur des grünen Datumsbrückenstempels des Postamtes IV wird diese hundertfach paktizierte Praxis von den Kreuzerzeitprüfern angezweifelt bzw. bestritten.

Nur zur Demonstration des Verfahrens hier zwei Seiten aus dem Einlieferungsbuch eines Selbstbuchers aus dem bayerischen Neuenmarkt. Vor dem 20.3.1898 lieferte der Briefpost K1 des Postamtes nur noch schlechte Abschläge und der Datumseinsatz war oft nicht mehr korrekt zu lesen. Am 21.3. wurde der Stempel dann zur Reparatur an die OPD Bamberg gesandt, die bis zum 25.4.1898 dauerte. Für die Zwischenzeit wurde dem Postamt der in Bayern übliche Wanderstempel zur Verfügung gestellt. Ab dem 16.4.1898 lieferte dann der K1 wieder ordentliche Abschläge. Das gleiche Verfahren wurde auch in Württemberg praktiziert.


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Mit dieser Aussage stellen die Prüfer fest, dass im Zusammenhang mit den Restbestandsverkäufen der 70 Kreuzer-Marken überhaupt keine Nachstempelungen stattgefunden haben (einige wenige 70 Kreuzer mit schwarzem DB STUTTGART IV dürften nach Abverkauf der Restbestände gestempelt worden sein). Das bedeutet: Praktisch alle nachträglich erfolgten Abstempelungen mit den Briefpoststempeln der Stuttgarter Postämter I und IV werden in Attesten und Befunden fälschlicherweise als zeitgerecht kategorisiert. Nur wegen dieser grotesken Fehleinschätzung kommen nachweisbare Nachstempelungen selten vor.“[&i] Die Aussage steht auch in krassem Widerspruch zu den Literatur- und Katalogaussagen. Im MICHEL heißt es beispielsweise: Nachträgliche Gefälligkeitsabstempelungen mit echten Poststempeln kommen nicht selten vor.“

Weiter heißt es in der Stellungnahme der Verbandsprüfstelle zu der von mir geschätzten Anzahl von ca. 600 bis 900 im Zusammenhang mit den Restbestandverkäufen nachgestempelten Exemplaren:

„Bei einer überhaupt nur registrierten Menge von gut 1.000 Exemplaren der Mi. Nr. 42 legt dies nahe, dass nur 100 bis 400 Exemplare davon echt und zeitgerecht entwertet sein können, da die nachgestempelten Stücke den Hauptteil im heutigen Handel ausmachen sollen. Wenn der größte Teil davon, nämlich über (registrierte) 500 Werte, jedoch nicht einmal die inkriminierten Stuttgarter Stempel zeigen und weitere gut 400 Exemplare bei der Stuttgarter Fahrpost verwendet wurden, wird offensichtlich, dass Ihre Schätzungen erheblich (!) übertrieben sind.


Diese Aussagen sind unlogisch. Meine Schätzungen über die Anzahl der nachgestempelten Exemplare beziehen sich auf die ursprüngliche vorhandene Menge und dürften zutreffen. Verbraucht wurden nachweisbar 19.119 Exemplare der 70 Kreuzer. Wenn überhaupt, können davon nur ganz wenige Exemplare für die ursprünglich vorgesehene Verwendung auf Auslandsbriefen gebraucht worden sein. Abziehen muss man die geschätzt ca. 2.000 Exemplare für die Innendienst-Verrechnungen. Bleiben rund 17.000 Marken, die auf Paketkarten verbraucht wurden. Für die Verwendung auf anderen Fahrpostbelegen gibt es keine Anhaltspunkte.

Von den auf Inlandspaketkarten verwendeten Exemplaren dürfte ursprünglich ein bedeutender Teil erhalten geblieben sein. Die Marken der Paketkarten (auch von Telegrammformularen) wurden nicht nur ausgeschnitten, sondern auch abgewaschen, gebündelt bzw. eingetütet und anschließend verkauft. Nach meinen Informationen geschah dies in Strafanstalten, in unserem Fall wohl in Hohenasperg. Auch ein Teil der Auslandspaketkarten könnte auf diese Art behandelt worden sein.

Eine Nachfrage bei der Verbandsprüfstelle ergab, dass sich die genannte registrierte Anzahl von gut 1.000 gestempelter 70 Kreuzer-Marken nur auf die den Prüfern tatsächlich zur Prüfung vorgelegten Marken bezog. Diese bei einem Verbrauch von über 19.000 Exemplaren natürlich viel zu geringe Anzahl muss selbstverständlich hochgerechnet werden. Es ist unsinnig, sie als Grundlage für die weiteren Berechnungen der Verbandsprüfstelle heranzuziehen.

Die Kategorisierung als „echt und zeitgerecht verwendet“ in Befunden und Attesten ist also ein Unding, weil die nachträglich gestempelten und im Falle der Datumsbrückenstempel rückdatierten Exemplare der 70 Kreuzer nach den Normen des BPP als falsche Entwertungen angesehen werden müssen. Der Handelswert dieser Marken beläuft sich nur auf einen Bruchteil der bedarfs- und zeitgerecht verwendeten Exemplare oder sie müssen als nahezu wertlos angesehen werden. Frühere Literaturangaben, nach denen sich der Wert der nachgestempelten Exemplare etwa 10 % über dem Handelswert ungebrauchter 70 Kreuzer-Marken bewegen sollte, dürften nicht mehr zeitgemäß sein. Käufer dieser Marken laufen trotz der auf „zeitgerecht gebraucht“ lautenden Atteste Gefahr, einen erheblichen Vermögensverlust zu erleiden.


[4] Wegen der Aufbewahrungsfristen der Paketkarten und der Zeit, die für die Ablösung und den Vertrieb der von den Paketkarten abgelösten Marken gebraucht wurde, dürften vor 1878 keine bedarfsmäßig gebrauchten Exemplare der 70 Kreuzer in den Handel gelangt sein.

[5] Verwendungszeiten siehe Winkler/Klinkhammer, Postalische Stempel Württembergs 1875–1925, S. 465/466

[6] Köhler/Sieger, S. 117/118.
 
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