Thema: Württemberg 70 Kr Marke: Die Suche nach der Wahrheit / Peter Feuser vs. BPP
Richard Am: 28.04.2022 09:07:46 Gelesen: 1802# 6@  
Nachstempelungen der 70 Kreuzer beim Postamt Stuttgart IV

Der Restbestandsverkauf der 70 Kreuzer-Marken im Stuttgarter Hauptpostamt behinderte dort den laufenden Betrieb in nicht unerheblichem Ausmaß. Dort herrschte tagsüber ständig Hochbetrieb mit starker Kundenfrequenz. Im erst am 15.12.1873 eröffneten Postamt Stuttgart IV (an der damaligen Ostperipherie Richtung Cannstatt in der Neckarstraße, in etwa in Höhe der heutigen Schwabengarage gelegen) drehten hingegen die Postbeamten am Briefpostschalter Däumchen. Das Postamt war wohl in erster Linie wegen des hohen Paketaufkommens eröffnet worden. Alleine die sich in unmittelbarer Nähe des Postamtes befindliche Schokoladenfabrik Starker & Pobuda sorgte werktäglich durch den massenhaften Versand von Kakaodosen für viel Verkehr.

Eröffnet wurde das Postamt IV aber im Zusammenhang mit dem Neubau des sehr großen Hallberger-Verlages (später DVA) im Jahre 1873. Die Postverwaltung entschloss sich wegen des enormen Paketaufkommens des Verlages von täglich wohl vielen hundert Stück (bei Neuerscheinungen von trivialer Belletristik wohl von über 1.000 Paketen) das am 15.12.1873 neu eröffnete Postamt direkt im Gebäudekomplex des Hallberger Verlages in der Neckarstraße 121 unterzubringen. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten: Die Postverwaltung konnte die Packkammern des Postamts I entscheidend entlasten, und die Pferdefuhrwerke des Verlages mussten nun nur noch mit ihren Express- und Stückgutsendungen zum nahegelegenen Güterbahnhof, während die Postpakete direkt an Ort und Stelle in die Fahrpostkutschen verbracht werden konnten.

Die Postverwaltung entschloss sich 1879 also, den Verkauf der 70 Kreuzer-Marken an einen speziellen „Sammlerschalter“ im Postamt IV zu verlagern. Wegen des immer noch vorhandenen Bedürfnisses der Interessenten nach gestempelten Exemplaren (mittlerweile waren wohl auch von den Paketkarten abgelöste Bedarfsstücke im Handel) wurden sowohl der bei der Briefpost eingesetzte Datumsbrückenstempel und der bei der Fahrpost benutzte Fächerstempel des Postamtes IV ausgesondert und ab da während der Verkaufszeit der 70 Kreuzer wohl ausschließlich am Sammlerschalter weiterverwendet. Auch die vorhandenen Stempelkissen mitsamt ihrer kräftiggrünen Farbe kamen weiter zum Einsatz. [14] Wegen des hohen Fahrpostaufkommens war offenbar ein zweiter Fächerstempel als Reserve vorhanden, der jetzt Paketkarten, Wertbriefe usw. in schwarz weiterstempelte.

Prüfer und die Verbandsprüfstelle sind der Meinung, dass eine Behinderung des laufenden Betriebes durch den Verkauf der Restbestände der württembergischen Freimarken im Postamt I nicht stattgefunden haben kann, weil statistisch in der Zeit von 1876 bis 1889 in den Postämtern I und IV täglich nicht einmal eine 70 Kreuzer-Marke verkauft wurde.

Es wird dabei übersehen, dass ja nicht nur die 70 Kreuzer, sondern auch alle Werte der Ziffernausgabe, Ganzsachen, im Postamt IV auch Telegrafenmarken usw. verkauft wurden. Die Bestände mussten täglich (möglicherweise sogar zweimal täglich bei Schaltereröffnung und Schalterschluss) inventarisiert, Verkäufe notiert, schriftliche Bestellungen erledigt werden, der Datumsbrückenstempel rück- und wieder auf das aktuelle Tagesdatum umdatiert werden usw. Die Eröffnung eines eigenen Sammlerschalters im Postamt IV ab ca. 1880 ist erwiesen und ein deutliches Indiz für den entsprechenden Aufwand auch im Postamt I.

[14] Winkler/Klinkhammer, S. 465, 466
 
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