Thema: (?) (2894) Altdeutschland Bayern: Schöne Belege
bayern klassisch Am: 16.05.2022 12:26:33 Gelesen: 308297# 2441@  
Liebe Freunde,

wäre der Inhalt nicht so ernst, wäre es "Der Lustige Beleg", aber so lustig ist er auch wieder nicht.

Der Stadtmagistrat von Neu-Ulm schrieb an das württembergische Schultheißenamt in Eschach am 7.2.1873 einen Brief, dessen Inhalt ich hier zum besten geben möchte und der tiefe Einblicke in die Verwaltung und Struktur der damaligen Zeit aufweist, fast genau von 150 Jahren.





Der "lustige" Teil ist vorne unten links zu lesen: "P.S. oder R.S. ENo. 256 (Porto jenseits)". Also war es eine Regierungs-Sache, gab es keine Porto, auch nicht jenseits (also für den Empfänger); war es eine Partei-Sache, wäre von Neu-Ulm bei der Aufgabe 7 Kreuzer Porto zu vermerken gewesen, die aber nirgendwo stehen. Also eine kleine Contravention, dazu aus Neu-Ulm und im Inhalt geht es um Armensachen, womit der Brief 3 Mini-Sammlungen von mir thematisch tangiert.

Inhalt von Neu-Ulm:

Erkrankung der ledigen Arbeiterin Maria Wiedemann von Holzhausen k. w. Oberamts Gaildorf betreffend

Unter abschriftlicher Mittheilung eines ärztlichen Gutachtens vom 6. dieses Monats ersucht man um möglichst umgehende Äußerung darüber, welche Vorkehrungen zur Unterbringung der Maria Wiedmann von Holzhausen jenseits getroffen werden wollen, wobei bemerkt wird, daß die Gemeinde Neu-Ulm nach Art. 11 Abs. III des Gesetzes über die öffentliche Armen- und Krankenpflege zur Verpflegung von Hilfsbedürftiger Geisteskranker nicht verpflichtet ist und Räumlichkeiten für Unterbringung von Geisteskranken im hiesigen Krankenhause nicht vorhanden sind, weßhalb nach Umfluß von 3 Tagenan die genannte Kranke auf Kosten ihrer Heimatsgemeinde dorthin verbracht werden müßte. Bürgermeister. Schuster.

Abschrift: Der prakt. Arzt Dr. Beck dahier an den Stadtmagistrat Neu-Ulm

Erkrankung der led. Arbeiterin Maria Wiedemann von Holzhausen betreffend

Obenbenannte Person befindet sich zur Zeit an religiösem Wahnsinn und Tobsucht leidend im Krankenhause dahier, da das hiesige Spital weder über Räumlichkeiten zur Unterbringung solcher Kranken noch über Wachpersonal für solche Kranke verfügen kann und solche Kranke für die übrigen Krankenn nur lästig und aufregend sind, so möchte ich am löblichen Stadtmagistrat das Ersuchen stellen, die Heimathgemeinde der Wiedemann deren Erkrankung mit dem Beifügen in Kenntniß zu setzen, daß, nachdem die Kranke im Krankenhause auf die Dauer nicht verpflegt werden kann, deren Verbringung in eine Irresnheilanstalt auf Kosten der Heimathsgemeide zu geschehen habe.

Hochachtungstvollst Dr. Beck.

Daraufhin ordnete die Heimatgemeinde die sofortige Rückführung der Wiedemann an, wofür alle 7 Gemeinderatsmitglieder zu unterschreiben hatten. Heißt das heute "Blockchain"?

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
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