Thema: (?) (668) Postverhältnisse Bayern - Österreich
bayern klassisch Am: 20.07.2023 12:39:42 Gelesen: 34054# 635@  
Liebe Freunde,

heute darf ich einen ganz besonderen Brief vorstellen, der nicht nur äußerlich, sondern vor allem vom Inhalt her traumhaft daher kommt.





Aber zuerst zu den äußeren Umständen, die er machte.

Geschrieben in München am 10.6.1864 und zur Post gegeben am Folgetag wurde er mit 9 Kreuzern treffend frankiert als einfacher Brief unter 16,66 g über 20 Meilen nach Österreich, genauer gesagt nach dem wunderschönen Prag in Böhmen, wo er schon am 12.6.1864 ankam.

Die Adresse lautet: "München Bayern A Monsieur Le Baron Christian Kotz de Dobrz Chambellan actuel de sa Majesté Le Empereur d´Autriche, et Proprietaire de plusseurs terres à Prague, Böhmen, Altstadt Nro. 401 im eigenen Hause dem Theater gegenüber".

Doch da war er nicht mehr, sondern offenbar verreist nach Heiligenkreuz/Hostau. Die Nachsendung erfolgte kostenlos, entweder weil der Post in Prag schon ein Nachsendeantrag vorlag, oder der Empfänger in Österreich wegen seiner Funktion portofrei war.

In jedem Fall stempelte die Post in Prag, wie dort bei Abzugsbriefen so üblich, mit ihrem Aufgabestempel vorne vom 12.1. und leitete ihn weiter (hinten keine weiteren Stempel).

Der Text aber hat es in sich und ich will ihn hier komplett transkribieren:

"Verehrbaren schätzbarer Herr Baron!

Obwohl ich vermuthen muß, daß diese Zeilen nicht

allsogleich in Ihre Hände gelangen werden, will ich doch

es wagen, Ihnen theurer Freund einige Worte

freundlicher Rückerinnerung zu sagen, Ihnen meinen

tiefsten Dank auszusprechen, für die mir so wer-

then unschätzbaren überschickten Photographien, die

mich unbeschreiblich erfreuen, und ich dieselben sogleich

in mein Album legte; diese sind nun alle herrlich

getroffen, ganz besonders gut aber, Sie, lieber

Herr Baron, am wenigsten jedoch der so hübsche interes-

sante Baron Wilhelm, der viel älter und allzu düster

gemacht, thut jedoch nichts, ich habe Sie nun alle, bis auf

Ihre zwey jüngeren Söhne, und keine Macht der Welt

könnte sie mir rauben.

Aus dem Schreiben Ihrer liebenswürdigen Tochter Hauka

ersah ich, daß Sie eine abermalige kleine Reise an den

schönen Rhein und Main unternehmen wollen, wozu

ich Ihnen bester Herr Baron nur besseres Wetter

wünsche, denn wir haben täglich Gewitter und Regen.


Mein Augenarzt will durchaus, daß ich zur Stärkung

meiner Augen einen kleinen Land séjour mache, und

will nur daher die, durch Ihre Güte zu erhaltende Summa

abwarten, um dieß zu unternehmen, vielleicht begebe

ich mich sodann auf 14 Tage höchstens in das nahe gele-

gene so reitzende Starenberg, nehmlich wann ich

ein Zimmer für so kurze Zeit bekommen kann!!

Die Froheleichnahms Prozession ward hier sehr feierlich

begangen, der junge König ging mit dem Zug, uns

war es sehr leid, daß Sie nicht mehr hier waren,

besonders interessirt hätte die gute Hanka.

König Ludwig macht ungeheure Coursen zu Pferd,

allzuviel, neulich, sagt man, war er 9 Stunden zu

Pferde, er passirte einen kleinen Hügel, berg ab,

es ward ihm kühl, er wollte seinen Palletot selbst

umnehmen, daher er die Zügel des Pferdes

zwischen die Zähne nahm, das Pferd stürtzte, er

mit ihm, doch Gott Lob, einer kleinen Schramme

abgerechnet, ist ihm nichts geschehen. ---

Meine Schwester Nina, die sich aufs Verbindlichste

empfiehlt, hat sich sehr über Fräul. Hankas Brief

erfreut, aber auch zugleich betrübt, daß kein

einziges ihrer Loose gewonnen; man sagt es


wäre bey der Ziehung nicht ganz richtig zugegangen.

Künftige Woche ist die Verloosung des Elisabethen

Vereins, was von lauter hiesigen adeligen Damen

geleitet wird, es sind superbe Sachen zu ge-

winnen, Prinzeßin Adalbert gab die schönsten

Geschenke, das Loos kostet nur 12x Silber.---

Vergebung nun, mein theurer gütiger Herr

Baron, wegen meines langen Geschwätzes.

Gott begleite Sie auf all Ihren Wegen!!

Meine tiefste Verehrung Ihrer so lieben Frau

Gemahlin, dem Töchterlein meine herliche

Umarmung, und Ihnen die stete Versicherung

der unwandelbaren Anhänglichkeit und Dank-

barkeit

Ihrer

ergebenen Sophie Schnehen, mpp (manu propria = eigenhändig)

München am

10ten Juny 1864".

Wenn es ein Bettelbrief war, dann auf höchster mit bisher bekannter Ebene. Sicher aber aus dem Umfeld seiner Majestät des Königs Ludwig II von Bayern.

Ich liebe den Brief: 1. wegen Bayern - Österreich, 2. wegen der Weiterleitung, 3. wegen des engen Bezuges zu König Ludwig II von Bayern, 4. wegen der Erwähnung von Photographien und 5. wegen der Erwähnung von Loosen (Lotterien), für die ich auch ein phil. Faible habe. Sammlerherz, was willst du mehr?

Liebe Grüsse von einem sehr glücklichen bayern klassisch
 
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