Thema: Deutsches Reich Infla: Briefe der Inflationszeit 1.8.1916 - 5.5.1920
wuerttemberger Am: 23.11.2010 19:18:14 Gelesen: 149737# 116@  
@ Lars Boettger [#112]

Das hätte aber jetzt nicht sein müssen. ;-)

Da geht man jahrelang ins Archiv und sichtet Akte um Akte. Endlich denkt man es sei alles geklärt und alle vorhandenen Belege lassen sich schön einordnen. Dann kommt Lars mit so einem Teil, das in kein Schema passt und allen(?) Erklärungsversuchen zu trotzen scheint.

Dazu muß ich ein wenig ausholen. Es gab in Stuttgart eine Postüberwachungsstelle für Briefe und eine Prüfungsstelle für Auslandsgeschäftsbriefe. In letzterer landete Post von besonders vertrauenswürdigen Firmen, die in einer Liste eingetragen waren und ihre Post direkt der Zensur vorlegen konnten. Der Rest der Briefsendungen wurde über die Post an die Postüberwachungsstelle für Briefe geleitet.

Die betreffende Firma - die Württembergische Bankanstalt - war seit August 1914 auf dieser Liste eingetragen und es existieren auch Belege dieser Firma von der Prüfungsstelle für Auslandsgeschäftsbriefe. Nur fällt dieser Brief aus dem üblichen Schema für solche Briefe komplett heraus. Es fehlen das obligatorische Dienstsiegel und der Poststempel auf der Vorderseite und der Stempel und die Unterschriften der Zensoren für die Freigabe auf der Rückseite. Lediglich der Einschreibzettel mit dem Unterscheidungsbuchstaben "m" der eindeutig der Überwachungsstelle für Briefe zugeordnet werden kann ist ein Beleg dafür, dass diese Stelle involviert gewesen sein muß.

Der Rahmenstempel mit Datum der Auslandstelle ist bis heute nicht eindeutig zu klären, da er immer nur in Kombination mit dem Rahmenstempel "Stuttgart 1 geprüft und freigegeben" vorkommt. Letzterer ist eindeutig der Postüberwachungsstelle für Briefe zuzuordnen (durch diverse Aktenvermerke eindeutig zu belegen), kommt aber nie rückseitig vor. Die Prüfungsstelle für Auslandsgeschäftsbriefe ist allerdings im März 1917 angewiesen worden alle Briefe, die den Devisenhandel betreffen auch der Postüberwachungsstelle für Briefe zukommen zu lassen. Man sieht daran, dass die Devisenkontrolle schon während des Krieges umfassend ausgeführt wurde.

Es ist durch ein halbes Dutzend Aktenvermerke bekannt, dass sich der Leiter der Prüfungsstelle für Auslandsgeschäftsbriefe (Major Reinmöller) nicht immer an die Vorschriften für seine Dienststelle gehalten hat und insbesondere Post von Privatleuten und von Firmen die nicht auf der Liste standen zur Zensur angenommen hat. Deswegen wurde er im September 1917 dazu verdonnert jeden einzelnen Brief in eine Liste einzutragen und diese monatlich seiner vorgesetzten Dienststelle abzuliefern. Diese Listen sind vom 1.10.1917 bis 31.03.1918 erhalten geblieben.

Fazit: Eine direkte Prüfung eines R-Briefes am Postschalter war nicht möglich. Die Zensur funktionierte damals oft nicht so reibungslos, wie man sich das vorstellt hat. Die Zensur war ständigen Veränderungen unterworfen. Ich muß nochmal ins Archiv ;-( und der Beleg ist in der falschen Sammlung.

Gruß

wuerttemberger
 
Quelle: www.philaseiten.de
https://www.philaseiten.de/thema/2640
https://www.philaseiten.de/beitrag/32559