Thema: Erfahrungen auf Auktionen: Briefmarken im Kreislauf
Richard Am: 06.06.2012 08:02:56 Gelesen: 20644# 1@  
Briefmarken im Kreislauf

Von Dr. Volker Hartung

Seit 60 Jahren sammele ich Briefmarken, habe viele Gebiete begonnen, aber auch wieder aufgegeben, als ich merkte, dass diese Länder durch die Ausgabepolitik und das Verhalten der Sammler auf Tauschtagen eigentlich im wesentlichen nur auf das Geld der Sammler fixiert sind.

USA hat mich seit ca. 1960 gefesselt. Solide Ausgabepolitik, keine Zuschlagmarken, weitestgehende Spezialisierungsmöglichkeiten, interessante Nebengebiete mit teilweise schwer zu bestimmenden Untertypen (Ganzsachen) nenne ich einmal. Wenn ich ehrlich bin, bezeichne ich die Ausgabepolitik der letzten 20 Jahre nicht mehr so rosig. Aber ich sammele auch heute noch die USA mit allem, was der Scott Spezialkatalog so aufführt.

Tauschtage besuche ich nicht mehr, mir Fehlendes bei Ebay kaufe ich nicht, da mir der Kauf zu wenig Betätigung mit Briefmarken bringt. Ich empfinde sehr viel Freude daran, größere Posten auf Auktionen zu kaufen und sie dann in langwieriger Arbeit durchzuarbeiten und Material in meine Sammlung einzubauen. Den Rest verkaufe ich dann auf Auktionen oder über Ebay, um möglichst nah ein meinen Kaufpreis zu kommen.

Es gibt mehrere Auktionshäuser im norddeutschen Raum, die ich daher regelmäßig besuche. So war ich auch im Frühjahr 2011 in Hamburg zur Besichtigung in einem Auktionshaus, das mehrere interessante USA – Posten anbot. Ein Posten bestand nur aus USA – Vorausentwertungen. Es waren 56 dicke, dunkelgrüne Leuchtturm – Einsteckalben der Luxusausgabe mit jeweils 64 Seiten in allerbestem Zustand. Der Ausrufpreis betrug 3500.- Euro. Ich habe mir ungefähr 20 Alben flüchtig angesehen. Alle waren mit Bureaus und Locals sehr gut gefüllt. Die Qualität der Marken hat mich beeindruckt. Wirklich gute Erhaltung. Relativ wenige Markenausgaben der Liberty – Ausgabe und später. Ich habe 2 und 5 Dollarwerte der Präsidentenserie 1923 und gute Sondermarken vor 1930 in großer Zahl gesehen. Es dürften geschätzt 100.000 Marken (Es waren tatsächlich 100.300 Marken.) gewesen sein. Auf der Rückfahrt von Hamburg und noch 24 Stunden zu Hause rumorte es in meinem Kopf. Kaufen oder nicht? Ich habe mir aber gesagt, nachdem du alle Locals dir vom Hals geschafft hast, fängst du nicht wieder erneut an.

Also habe ich unseren Sammlerfreund Kaußen angerufen und ihm von der Sammlung erzählt. Er war sofort interessiert und wollte diese Sammlung für maximal 7500.- Euro (einschließlich der Aufschläge bei Auktionskäufen) für die ARGE kaufen, denn das wäre reichlich Material für Rundsendungen. Ich habe ihm gesagt, dass ich am Versteigerungstag in Hamburg infolge Interesses an anderen Posten im Saal bin. Also übernahm ich die Aufgabe, für die ARGE diesen Posten zu ersteigern.

Am Versteigerungstag füllte sich der Saal mit ca. 70 Personen. An der Rezeption hatte ich schon bei der netten Dame, die ich schon gut kannte, in Erfahrung gebracht, dass das VE – Los nicht schriftlich geboten war. Da ich schon mehrfach an diesen Auktionen teilgenommen hatte, erkannte ich eine größere Zahl an Gesichtern von Großeinkäufern und wusste auch, dass hier andere Briefmarkenauktionatoren kaufen kommen, um ihre Kataloge ausreichend füllen zu können. Die Sitzordnung bei diesen Auktionen ist überall gleich, in der ersten Reihe unmittelbar vor dem Auktionator hocken die Kommissionäre.

Die Versteigerung der Posten und Sammlungen begann. Es wurde wirklich alles verkauft, es gab kein Rücklos. Der Vorausentwertungsposten war nach ungefähr zwei Stunden dran. Der Auktionator verkündete, es liegt kein Gebot vor. Er pries den Posten noch einmal als ein schönes Los an. Niemand zeigte Interesse. Als er zum nächsten Los gehen wollte, habe ich meine Bieterkarte in die Höhe gehoben und 3200.- Euro gerufen. Er hob seinen Auktionshammer in meine Richtung und ich hörte „zum Ersten“ und „zum Zweiten“ .

Mein neben mir sitzender Freund stieß mich an und gratulierte mir. Da flog von einem Kommissionär die Bieterkarte hoch. Er drehte sich zu mir um, musterte mich und sagte unausgesprochen, wenn Du den Posten gebrauchen kannst, dann kann ich damit auch etwas anfangen. Bei 6500.- Euro bin ich dann ausgestiegen. Ich war stinksauer. Aber dieser Kerl war mir schon mehrfach in vorigen und der jetzigen Auktion unangenehm aufgefallen, da er sich häufiger umdrehte, die Steigernden musterte und dann rücksichtslos niedermachte.

Das VE – Los war also weg. Jetzt interessierte ich mich für den Ersteigerer. In der nächsten halben Stunde ersteigerte er für ungefähr weitere 100.000.- Euro Lose. Es gab dann eine Pause. Es wurden Schnittchen und Getränke geboten und man plauschte mit anderen Anwesenden. Ich holte also Informationen über meinen „Gegner“ ein. In Erfahrung konnte ich bringen, dass er regelmäßig für ca. 1 Millionen Euro pro Auktion kauft und mehrere süddeutsche Auktionshäuser als Auftraggeber hat, damit sie ihre Kataloge reichhaltig füllen können. Man sagte mir auch, er besichtigt nicht, was er ersteigert. Er versucht die Bieter einzuschätzen und wenn er meint, die wissen, was die Sammlung wert ist, dann überbietet er sie gnadenlos. Wenn er sich täuscht, dann trifft es seine Auftraggeber. Er hat seine Provision in jedem Fall sicher.

Ein dreiviertel Jahr später ruft mich mein Freund, der bei der Auktion zugegen war, an und berichtet mir, das Auktionshaus M. in E. bietet in seiner Auktion im Februar 2012 die Vorausentwertungen aus Hamburg an. Ich erhalte von ihm den Katalog. Der Katalog weist jetzt 40 Einzellose auf. Die einzelnen USA – Staaten mit reichlich Marken sind jeweils ein Los geworden, der Rest wurde in einem Sammelposten untergebracht. Der Gesamtausrufpreis dieser 40 Lose ergibt rund 17.000.- Euro.

Aus 3500.- Euro Ausruf in Hamburg sind immerhin schon 17.000.- Euro in E. geworden. Ich beginne, mir Gedanken über die Sammler und die professionellen Händler zu machen. Dabei komme ich auf keine guten Gedanken. Aber ich will nicht voreilig meine Schlüsse ziehen, bevor nicht das Auktionsresultat der M. – Auktion vorliegt.

Im Internet habe ich mir dann die Auktionsresultate angesehen. Wie von mir erwartet, fand diese Auflösung einer sehr guten Spezialsammlung nicht ausreichend Interessenten. Es wurden nur 15 der 40 Einzellose verkauft. 4 Lose zum Ausrufpreis, 11 Lose für 10 % unter dem Ausrufpreis. Der Versteigerer konnte nur 3868.- Euro einnehmen. Bis auf das Sammellos, das alle Reste enthielt, ist er kein Los mit einem Ausrufpreis über 250.- Euro los geworden. Sicher für den Auktionator ein ernüchterndes Ergebnis. Ca. 80 % der verkauften Lose hat ein Mitglied unserer ARGE erworben, der sich mit mir telefonisch über die Qualität dieses Postens unterhalten hat.

Die unverkauften Lose werden sicher in der nächsten M. – Auktion unter neuer Beschreibung und für einen geringfügig geringeren Ausruf erneut erscheinen. Wenn wieder keine Interessenten vorhanden sind, dann geht das Material den üblichen Weg. Es taucht dann bei anderen Auktionshäusern auf, die in der Regel in einer anderen Region Deutschlands angesiedelt sind. Denn so funktioniert normalerweise das Verkaufen von Briefmarken auf Auktionen. Man kennt sich unter den Auktionatoren und man unterstützt sich, denn man melkt gemeinsam die gleichen Interessenten, nämlich die Sammler.

Betrachten wir nun einmal die finanziellen Aspekte des voranstehend geschilderten Ablaufes. Der Sammler war mit Sicherheit philatelistisch bewandert. Er kannte sich auf dem Gebiet der US – Vorausentwertungen aus und hat 100.000 Marken zusammengetragen. Da ich unterstelle, dass es ein deutscher Sammler war, hat er diese Marken nicht auf Tauschabenden erworben, sondern sie sich über Kontakte käuflich in den USA beschafft. Das Fehlen von modernen Ausgaben sagt eigentlich klar, dass diese Sammlung zu DM – Zeiten zusammengetragen wurde.

Mindestens 90 % der Marken wurden also gekauft, Unterstellt man einen wirklich sehr niedrigen durchschnittlichen Kaufpreis von -.15 DM pro Marke, so sind etwa 13.000.- DM ausgegeben worden. Die wirklich hervorragenden Alben haben weitere 1500.- DM gekostet.

Ich glaube nicht, dass der Sammler diese Sammlung selbst für 3500.- Euro eingeliefert hat, es waren seine Erben. Er hätte sich für diesen Schandpreis bei seinem Wissen um die Beschaffungskosten anders verhalten.

Letztlich haben die Verkäufer 6600.- Euro minus ca, 20 % für den verkaufenden Auktionator, also rund 5200.- Euro erhalten, Sie haben eindeutig ein Minus gemacht, freuen sich aber sicher über den Geldsegen aus den Briefmarken, weil sie keine Beziehung zu diesem Hobby haben und den Wert des Verkauften nicht einschätzen konnten. Sie sind also klarer Verlierer.

Erster Gewinner ist der Auktionator in Hamburg. Er erhält seine Provisionen vom Verkäufer und vom Käufer. Für ihn hat es sich gelohnt.

Zweiter Gewinner ist der Kommissionär, er erhält vom Käufer seine Provision und hat nicht das geringste Risiko bei diesem Kauf, denn er hat ihn im Auftrag getätigt.

Das süddeutsche Auktionshaus als jetziger Besitzer steht noch als Verlierer da, da ihm der komplette Verkauf, wobei 100 % Gewinn anvisiert waren, nicht im ersten Anlauf gelungen ist. Aber wie geschildert, hat er diverse weitere Möglichkeiten und wird letzten Endes auch als Gewinner aus dem Vorgang gehen.

Was lernt man aus diesem Vorgang? Ein Sammler, zumal wenn er sich einem Spezialgebiet intensiv widmet, sollte seinen Erben in schriftlicher Form etwas hinterlassen, aus dem sie entnehmen können, was er so an Werten zusammengetragen hat. Da hat es keinen Sinn, irgendwelche Katalogwerte aufzuführen, sondern man muss schon mit realistischen Verkaufswerten arbeiten.

Ich versuche zum Beispiel, meinen beiden Söhnen auf dem Rechner eine Datei zu hinterlassen, in denen meine Sammelgebiete klar bewertet sind. Ich beschreibe kurz, um was es sich handelt, welche Besonderheiten enthalten sind, wie vollständig die Sammlung ist, welchen Verkaufswert ich schätze und wo man es verkaufen sollte. Jedes Mal, wenn ich eine Sammlung durch Neues wesentlich verändert habe, aktualisiere ich die Eintragung. So habe ich als Generalsammler der USA auf einer Auktion einen großen Dublettenbestand USA für nur 131.- Euro (inklusive Provision) ersteigert. Er enthielt in Luxusqualität für 3700.- Scottdollar Rollenmarken 1980 – 2003 mit Plattennummern, die alle in meine Sammlung eingeflossen sind, da es gesuchte Werte sind. Obwohl ich noch ungefähr weitere 6000 Rollenmarken als Dubletten über habe und damit den Kaufpreis irgendwie reinholen werde, habe ich einen entsprechenden Vermerk in meiner Datei gemacht. Denn meine Sammlung wurde um ca. 700.- Euro Verkaufswert verbessert. Sie bemerken, dass ich bei der Bewertung nur 20 % angesetzt habe.

Es würde mich freuen, wenn die Schilderung dieses Vorganges mit nachfolgenden Gedanken einige Sammler nachdenklich macht. Es liegt an uns Sammlern, wie wir es steuern, dass Briefmarken, die sich in einem Kreislauf bewegen, nicht nur dem Handel zum Vorteil dienen. Er soll und muss auch verdienen, wenn er Leistungen erbringt. Aber es müssen nicht immer gleich große Spannen sein.

---

Der Autor, Dr. Volker Hartung, ist Mitglieder der Arge Vorausentwertungen und dort insbesondere zuständig für die USA.

Der Beitrag ist erschienen im VE-Sammler Mai 2012, dem vierteljhährlichen farbig gedruckten Rundbrief der Arge Vorausentwertungen.

Internet: http://www.arge-ve.de
 
Quelle: www.philaseiten.de
https://www.philaseiten.de/thema/4347
https://www.philaseiten.de/beitrag/50610