Thema: Philatelie in der Presse - Aus den Vereinen
Richard Am: 28.05.2008 20:41:09 Gelesen: 1202166# 35@  
»In uns ist Sammler- und Jägertrieb geweckt«

Gießener Allgemeine / srs, Gießen-Wieseck (25.05.08) - Wilhelm Raabe nickt anerkennend. Seit einer halben Stunde begutachtet er die Briefmarken von Juliane Laske, die ihm geduldig wartend gegenübersitzt. Mit einer Pinzette entnimmt er die Marken behutsam aus einem Album, hält sie unter eine Lupe und inspiziert: Zuerst den Stempel, dann die Zähne und die Gummierung auf der Rückseite.

»Diese sollen es sein«, sagt er schließlich - auf sieben Briefmarken aus den 20er Jahren deutend. Laske nimmt Stift und Zettel zur Hand und notiert einen Betrag. »Wir Sammler sprechen nicht über Geld«, stellt sie klar. 150 Liebhaber von Ansichtskarten, Münzen, Heimatbelegen und Briefmarken folgten gestern der Einladung des Gießener »Briefmarkensammlervereins 1887« zur Sammler- und Tauschbörse. Die Gäste im Wiesecker Bürgerhaus stöberten, fachsimpelten und frönten stundenlang ihrer Sammelleidenschaft, der in zunehmender Deutlichkeit freilich der Nachwuchs fehlt.

In Glaskästen funkeln Münzen und Medaillen. Die Besucher kramen in Schachteln sowie Pappkartons nach alten Postkarten und durchforsten Briefmarkenalben. Auf der Suche nach dem im eigenen Sortiment fehlenden Exemplar. In der leisen Hoffnung, ein seltenes Einzelstück zu entdecken. Es muss ja nicht gleich die Mauritius sein. Ebenso Wertvolles bergen die Ansichtskarten von Heinz Wirth, die unter den Besuchern besonderes Interesse hervorrufen: nämlich Erinnerungen. Die heimischen Karten, die um das Jahr 1900 datieren, zeigen Abbildungen von Gebäuden und Einrichtungen der Gießener Region, die zum großen Teil nicht mehr existieren. Wirth zeigt alte Ansichtskarten von der Garnison »Kaiser Wilhelm« und vom Restaurant »Wellersburg« in der Marburger Straße. »Damals hat es 200 Gaststätten in Gießen gegeben«, berichtet er.

Wirth, Mitglied des »Briefmarkensammlervereins 1887« äußert sich zufrieden mit der Besucherzahl. »Wir haben die am besten besuchte Veranstaltung für Sammler in Mittelhessen«, erklärt er. Der Verein habe 78 Mitglieder. »Acht von ihnen sind Jugendliche.« Im Bürgerhaus allerdings stellen ältere Herren die große Mehrheit. »Die Briefmarken werden immer schöner, aber die Sammler immer weniger«, schildert ein Besucher. Einer der jüngsten im Saal ist der 43-jährige Ingo Hergenröder aus Gießen. »Junge Menschen haben heute andere Interessen«, sagt er. Zeitaufwändige Hobbys wie Sammeln erschienen ihnen »altmodisch«. »Der Spruch «Ich zeige dir meine Briefmarkensammlung», den versteht doch heute kein Jugendlicher mehr.«

Jeden Tag fünf bis sechs Stunden verbringt Juliane Laske mit ihrer Briefmarkensammlung, erzählt die Frankfurterin. Ständig habe sie ein Album in ihren Händen, blättere darin und sortiere neu um. »Briefmarkensammler sind verrückt«, sagt sie. Zwei Tische weiter sitzt Uwe Haubold aus dem Sauerland, der sich auf kuriose Weise spezialisiert hat. »Ich sammle Kekse«, erklärt er. Dann zeigt er seine Sammlung: über 200 Postkarten aus den Jahren 1895 bis heute, die - oft versteckt - den Namenszug des Unternehmens »Leibniz« tragen. »Die haben wahrscheinlich die Schleichwerbung erfunden«, vermutet der gelernte Schmied. Er sei dabei, ein Buch zu dem Thema zu schreiben. Faszinierend am Sammeln überhaupt sei, dass man über Geografie, Geschichte und auch Kunst hinzulerne.

Während die meisten Gäste im Bürgerhaus das Sammeln als Hobby betreiben, verdient Gianfranco Catoni aus dem fränkischen Waldfenster damit seinen Lebensunterhalt. »Ich kann meine Familie ernähren«, erläutert er. Er hat sich spezialisiert auf Ansichtskarten aus den 40er und 50er Jahren, da dies ein neues Sammelgebiet sei. Er kaufe regelmäßig Archive von Verlagen auf. Ein Händler mit Münzen aus dem Wetteraukreis warnt jedoch davor, das Sammeln als Geschäft zu sehen. »Es geht hier ja nicht um Aktien«, sagt er, »sondern um Spaß und Freude. In uns ist der Sammler- und Jägertrieb geweckt.«

(Quelle: http://www.giessener-allgemeine.de/Home/Stadt/Uebersicht/In-uns-ist-Sammler-und-Jaegertrieb-geweckt-_arid,39360_regid,1_puid,1_pageid,113.html)

Heinz Wirth bot 100 Jahre alte Ansichtskarten aus der Region wie beispielsweise aus Mainzlar sowie eine alte Werbekarte der Firma Gail. Foto: srs
 


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