Thema: (?) (66) Oberschlesien - Marken, Prüfer und philatelistische Zukunft
Stefan Am: 06.06.2008 22:19:36 Gelesen: 73116# 6@  
@ Carolina Pegleg [#5]

>>Ich bin gespannt. Ich habe mich ja mit ein paar Tipps festgelegt<<

Okay, dann möchte ich einmal anfangen, auch wenn es etwas umfangreicher wird. Zuvor aber einige Gedanken dazu: du schreibst, dass

>>Mein Tipp ist, dass das Sammelinteresse an diesen Marken heute geringer ist als damals, und die Bewertungen daher inflationsbereinigt niedriger sind.<<

Nachdem, was ich bisher in der Fachliteratur gelesen habe, war das Interesse besonders während der Abstimmungszeit (1920-22) selbst sehr groß, naturgemäß besonders im Deutschen Reich, aber auch in Frankreich als größter Anteil an der internationalen Kommission. Dies dürfte vor allem mit der Ungewissheit der seinerzeitigen politischen Situation zusammenhängen.

Wäre es nach der ursprünglichen Fassung des Versailler Friedensvertrages gegangen, hätte das Deutsche Reich das Gebiet Oberschlesien komplett und ohne (!) Abstimmung an Polen abgeben müssen. Deutscher und internationaler Einspruch ermöglichte zumindest eine Abstimmung in dem Gebiet, die sich nicht so ganz geplant, über ca. 29 Monate hinweg zog. In Allenstein, Marienwerder und Schleswig ging dies wesentlich zügiger vonstatten.

Bereits 1920 kamen die ersten Aufdruckfälschungen (Oppelner Notausgabe, Provisorien Mi-Nr. 10-12 + 10F u.a.) auf den Markt, ab 1922 verstärkt Aufdruckfälschungen des Plébiscite-Satzes Mi-Nr. 30-40, angeblich aus Paris. Sämtliche Fälschungen sind heute noch massenhaft vorhanden (teilweise sind meinen Erfahrungen nach bis zu 98% einer auf dem Markt befindlichen Markenausgabe Fälschungen) und führten im Laufe der Zeit dazu, dass das Sammelgebiet Oberschlesien immer mehr in Verruf geriet.

Allgemeines nachlassendes (politisches) Interesse an Oberschlesien (die in der Praxis durchgeführte Teilung erfolgte im Zeitraum Juni-Juli 1922) und aufkeimende Streitigkeiten zwischen diversen Prüfern, Händlern und Sammlern in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts gaben dem Sammelinteresse quasi den Rest. Dem Buchautoren Max Haertel, der auch Prüfer war, wurde in den Briefmarkenzeitschriften der 20er Jahre vorgeworfen, wissentlich Fälschungen als echt zu signieren - eine richtige Schlammschlacht in der philatelistischen Presse.

Nach dem Tod Haertels (1935 oder Anfang 1936) verkaufte sein Sohn diverse Marken der Oppelner Notausgabe aus dem Nachlass mit entsprechendem Hinweis im Attest. Bisher aus dem Nachlass gesehene Marken sind allesamt Fälschungen.

1944 verschied der nächste Prüfer - Dr. Müller aus Leobschütz (Oberschlesien) - er ging als politischer Flüchtling und geschasste Person jüdischer Abstammung zusammen mit seiner Frau in den Suizid.

Die Signaturen beider Prüfer - Max Haertel und Dr. Müller - finden sich sehr sehr häufig auf Oberschlesienmarken und die Namen werden im Michel-Katalog erwähnt, dass man "Marken mit Prüfzeichen "Haertel", "Dr. Müller" und "Richter" unbedingt nachprüfen lassen." sollte. Dieser Hinweis erfolgt vollkommen zurecht, da sich auch Ansichten über echt und falsch in den letzten Jahrzehnten geändert haben!

Teilweise ist es schon eine Kunst, von einer katalogisierten Markenvariante ein Exemplar (egal ob Aufdruck echt oder falsch) zu finden, welches nicht signiert ist!

In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts schritten einige Sammler zur Tat, versuchten das Sammelgebiet Oberschlesien neu zu beleben und gründeten die ArGe Oberschlesien im Verband des BdPh. Im Verlauf von 20 Jahren erschienen 20 kleinere Bücher, die zusammengefasst das Handbuch von Oberschlesien ergeben. Dies ist meiner Meinung nach die Grundlage schlechthin für die intensive Bearbeitung dieses Gebietes, da in den Beiträgen dieses Handbuches und der im Verlauf von 20 Jahren erschienenen Rundschreiben der ArGe zahlreiche detaillierte Hinweise über echt und falsch gegeben und Hintergrundwissen genannt werden. Vor allem die Herren Rolf Ritter (Kamen) und Prof. Dr. Urban (Neuss) haben die Veröffentlichung vorangetrieben. 1990 ging die ArGe Oberschlesien in die ArGe deutsche Ostgebiete über. Seitdem kommt es gelegentlich zu neuen Veröffentlichungen in den Rundschreiben dieser ArGe.

Als Preisgrundlage nenne ich hier das im Eingangsbeitrag erwähnte Handbuch von Max Haertel und ziehe als Vergleich den Michel Deutschland Spezial Katalog 2006, Band 1 zu Rate. Letzteres stellen wie bekannt im Allgemeinen keine Nettoverkaufspreise dar. Zu ersterem habe ich nirgendwo einen Vermerk gefunden.

Die nachfolgenden (Satz-)Preise beziehen sich auf gestempelte Marken. Im Katalogteil von Haertel sind auch ungebrauchte Marken als 1 Spalte bewertet, allerdings sehe ich kein Indiz, ob es sich um ungebrauchte Marken mit Falz oder postfrische Exemplare handelt.

Nach Haertel stellen 1000 RM = 1 US-Dollar von 01.09.1922 und nach dir 1 US-Dollar von 1922 = 8,27 € von heute dar.

Die billigste Marke nach Haertel wertet 0,30 RM (= 0,03 US-Cent von 1922 = 0,25 €-Cent von 2008) und die teuerste 15.000 RM (= 15 US-Dollar von 1922 = 124,05 € von 2008)

Mi-Nr. -> Preis nach Haertel 1922 -> Preis RM in Euro 2008 -> Katalogwert Michel Spezial Band 1 von 2006

1-9 -> 57,35RM -> 0,47€ -> 40,00€
10-11 -> 5,25RM -> 0,05€ -> 6,00€
12a -> 200,00RM -> 1,65€ -> 65,00€
12b -> 225,00RM -> 1,86€ -> 150,00€
10F -> 650,00RM -> 5,38€ -> 650,00€
13-29 -> 34,00RM -> 0,28€ -> 18,00€
30-40 -> 1225,00RM -> 10,13€ -> 350,00€
41-43 -> 49,50RM -> 0,41€ -> 24,00€

Insurgentenausgabe:
1A-7A -> 465,00RM -> 3,85€ -> 320,00€
1B-7B -> 350,00RM -> 2,90€ -> 220,00€

Dienstmarken:
Dienst 1-7 -> 28,50RM -> 0,24€ -> 15,00€
Dienst 8-20 -> 114,60RM -> 0,95€ -> 20,00€

Oppelner Notausgabe (Bsp.):
1 -> 2.000RM -> 16,54€ -> 1.200€
5 -> 6.000RM -> 49,62€ -> 1.000€
9 -> 7.500RM -> 62,03€ -> 1.200€
16 -> 10.000RM -> 82,70€ -> 1.200€
18 -> 5.000RM -> 41,35€ -> 1.200€
19-22 -> 11.200RM -> 92,62€ -> 4.300€
25 -> 6.500RM -> 53,76€ -> 10.000€
27 -> 4.000RM -> 33,08€ -> 10.000€
28 -> 1.500RM -> 12,41€ -> 4.000€
31 -> 15.000RM -> 124,05€ -> 10.000€
33 -> 8.000RM -> 66,16€ -> 10.000€

Neben der Mi-Nr. 33 für 15.000 RM listet Haertel 3 weitere Markenvarianten auf, die die höchste Katalognotierung von 15.000 RM (= heute entsprechend 124,05 €) verzeichnen:

- Mi-Nr. 11aU mit Plattenfehler "Pi." statt "Pf." im Markenaufdruck (Plattenfehler im Michel als ungezähnte Variante nicht gelistet und nach Literaturangangaben können davon höchstens 5 Stück weltweit existiert haben)

- waagerechter Zusammendruck der Mi-Nr. 25 + 5 (beide Oppelner Notausgabe) mit rotem bzw. blauem Aufdruck (im Michel keine Angabe, vermutlich von Haertel gelistete häufigste Fälschungsvariante - seinerzeit von ihm als echt beurteilt) und

- senkrechter Zusammendruck der Mi-Nr. 2 + 5 (beide Oppelner Notausgabe) mit blauem Aufdruck (im Michel keine Angabe, vermutlich von Haertel gelistete häufigste Fälschungsvariante - seinerzeit von ihm als echt beurteilt)

Als billigste Marke notiert Haertel für die gestempelten Marken Mi-Nr. Dienst 9 III und 11 III jeweils 0,30RM (III bedeutet Aufdruck waagerecht).

Bei den angegebenen Katalognummern handelt es sich, soweit nicht anders angegeben um die billigste Farb- bzw. Aufdruckvariante.

Man sollte der bei der Preiseinschätzung bedenken, dass die ersten Preise 1922 kurz nach der Aufteilung Oberschlesiens erschienen und seinerzeit noch mehr Material vorhanden war als 2006, für die die Michelnotierungen gelten.

Von 1922-2006 ist in 84 Jahren sicherlich einiges durch Sammler kaputt gegangen, was zur Materialreduzierung auf dem Markt herbeiführt. Hinzu kommt meinem Eindruck nach schwerwiegend auch die politische Entwicklung 1933-1945 - Krieg und Vertreibung im Jahr 1945 ließen sicherlich einiges an Material verschwinden.
Sudetenphilatelie wird sicherlich ähnliches über sein Sammelgebiet berichten können.

Ich sammle seit ca. 6 Jahren (seit der Umstellung von DM auf €) speziell dieses Gebiet und mein Eindruck ist, dass die tatsächlichen Verkaufspreise für gutes Material z.B. auf ebay aber auch auf Messen bzw. Fachhandel auf Tauschveranstaltungen nur eine Richtung kennt - den Preispfeil (teils steil) nach oben. Der Michel zieht nach, wenn ich mir als Vergleich die Katalognotierungen von 1996, 2001 und 2006 ansehe.

Seit einiger Zeit besteht auch nicht nur vor allem in Deutschland Interesse an den Ausgaben von Oberschlesien. Polnische Sammler entdecken zunehmend ebenfalls dieses Gebiet und reißen es aus seinem Dornröschenschlaf.

Französische Sammler können auch Interesse an Oberschlesien haben, da die (Ur-)Marken Mi-Nr. 1-43 in der Pariser Druckerei Atélier des timbres und nach französischem Vorbild hergestellt worden sind. Die Inschrift der Marken ist dreisprachig gehalten - deutsch, polnisch und französisch. Nebenbei: für die französische Markeninschrift von "Oberschlesien" = "Haute Silésie" spottete die deutsche Presse 1920 "Haut die Schlesier".

Zu guter letzt kommt noch, dass die Welt dank des Internets weiter zusammenrückt und sich der Kauf von Marken weltweit einfacher gestaltet als vor 10 Jahren oder mehr.

Gruß
Pete

Als Scan noch die Rückseite von 3 Preislisten, als Postkarte verschickt. Die obere Karte stammt laut Poststempel vom 17.06.1920: die untere Karte links vom 20.07.1920 und rechts unten vom 26.04.1922.

Die Karten stammen aus dem Abstimmungsgebiet selbst bzw. aus der nahen Umgebung.


 
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