Thema: Deutsches Reich Inflationsbelege
juni-1848 Am: 22.06.2013 16:11:10 Gelesen: 4314461# 2222@  
Warum Postfreistempel wohl ein oft stiefmütterliches Dasein führen ? Dabei fördern sie geradezu unspektakulär - nicht nur in der Infla-Zeit - den Forscherdrang !

Freistempel gibt es seit weit über 300 Jahren und damit viel länger als Freimarken. Mit dem Aufbau der Postbeförderung im späten Mittelalter wurden Poststücke nicht mehr mit direktem Boten dem Empfänger übergeben sondern wanderten von Hand zu Hand, von Bote zu Bote. Es musste also kenntlich gemacht werden, ob eine Sendung ganz oder teilweise bezahlt war (handschriftliche Vermerke in ROT) oder ob bei Übergabe an den Empfänger nach erhoben werden sollte (in BLAU).

Zur schnelleren Abfertigung wurden zunächst Handstempel, später Maschinenstempel eingeführt. Nach Deutschland kamen die Freistempel zur Zeit Napoleons ab 1802 (Ortsstempel mit „PP“). Wohl aus Sparsamkeitsgründen führte dann die Preußische Post 1864 (während der Markenzeit) die Postfreistempel ein. In etwa 120 Orten blieben diese Stempel rund 16 Jahre in Verwendung.
Erst 1894 führte dann Württemberg aus Ersparnisgründen wieder Postfreistempel ein und gewährte den Nutzern von Masseneinlieferungen deutliche Rabatte.

Um 1910 kam ein findiger bayerischer Postingenieur auf die Idee, Postfreistempel mit einer Maschine aufzudrucken. Am 1.2.1910 führte die Bayerische Post die Barfreimachung von Massensendungen ein unter Verwendung der Langstempelmaschinen von Sylbe & Pondorf aus Gössnitz. Diese praktische Einrichtung wurde 1920 von der Reichspost mit dem Übergang der bayerischen Post einfach übernommen und weiterentwickelt.

Bereits 1903 wurde in Norwegen mit Stempelmaschinen (Krag) experimentiert. In Neuseeland wurde ein des Ingenieurs Moss konstruierter Freistempelapparat zunächst von der Post und später von ausgewählten "zuverlässigen" Absendern probiert. Den bevorstehenden Siegeszug um die Welt unterbrach jäh der erste Weltkrieg.

Im November 1919 erprobte die Reichspost eine Freistempelmaschine der Firma Klüssendorf aus Berlin mit Halbstempel-Freistempelung. Am 20.12.1920 war es dann so weit. Die bereits für die Markenentwertung verwendeten Klüssendorf-Halbstempel-Maschinen wurden in verschiedenen Berliner Postämtern eingeführt mit den von Ziermustern umgebenen Wertziffern zu 10 und 40 Pfennig in schwarzer Stempelfarbe - siehe auch [http://www.philaseiten.de/beitrag/67371]

Nach kurzer Testphase wurden bereits ab dem 16.2.1921 immer mehr Postämter mit den Maschinen ausgestattet und die Verwendung roter Stempelfarbe ab 1.8.1921 verfügt - siehe auch [http://www.philaseiten.de/beitrag/67639]

Für den Einsatz im Ausland ab Dezember 1921 musste der Post-Freistempel die Bezeichnung des Aufgabelandes tragen und in rot abgeschlagen werden. Die Zierfreistempel mit Landesnamen "DEUTSCHES REICH" wurden von März 1922 bis zum 11.12.1922 verwendet - siehe auch (Datenbank # 2020):



= Auslands-Drucksache 51-100g zu 250 Pfennig vom 29.8.1922 (PP8).

In dieser Zeit wurde auch ein Prototyp mit auswechselbaren Wertziffern (80 und 150 Pf) eingeführt, dessen Achteckrahmen Pate stand für das spätere Einheitsmuster (mit "DEUTSCHES REICH" oben) ab 1.10.1922 - siehe auch [http://www.philaseiten.de/beitrag/67777], (Datenbank # 1181).

1931 wurde die Landesbezeichnung im Achteckrahmen auf oben (DEUTSCHES) und unten (REICH) aufgeteilt und 1939 der Adlerkopf mit Hakenkreuz eingeführt - geradezu kärglich im Vergleich zu den zahlreichen Absenderfreistempel-Wertrahmen.

Bei der Einführung der Absenderfreistempler musste jegliche Manipulation am verbrauchten Porto unterbunden werden. Einem ersten Versuchsapparat (Komusina) ab 1921 folgten im Auftrag der Reichspost weitere Versuchsapparate von Komusina, Furtwängler, Bafra und Anker mit bis zu 4-stelligen Wertangaben (8000), deren Entwicklung jedoch durch die Nullen der treibenden Inflation ausgebremst wurden. Im Herbst 1923 wurde dann auf Veranlassung des Reichspost-Ministeriums die Francotyp-Gesellschaft GmbH gegründet, welche die Apparate (mit großem Achteck-Rahmenstempel) der bisherigen Wettbewerber Bafra und Anker ab Dezember 1923 (nach Ende der Inflation) gemeinsam vertrieb. In der Folge wechselten dann die Wertrahmen, blieben aber teils bis weit nach Ende des zweiten Weltkrieges (aptiert oder unverändert) in Verwendung.

Die Wertrahmen:

ab 1925 Bogen-Rechteck mit DEUTSCHES REICH oben
ab 1931 Mäander-Rechteck mit DEUTSCHES oben und REICH unten
ab 1934 Hakenkreuz-Sonne oben mit DEUTSCHES REICH unten
ab 1935 Saartyp: Bogen-Rechteck mit DEUTSCHES oben und REICH unten
ab 1936 Reichsadler oben mit DEUTSCHES REICH unten in Frakturschrift
ab 1938 Paketfreistempel: Achteck mit DEUTSCHES oben und REICH unten
ab 1939 Adlerkopf mit DEUTSCHES REICH oben in Frakturschrift
ab 1942 Reichsadler oben mit DEUTSCHES REICH unten in Antiquaschrift
ab 1943 Adlerkopf mit DEUTSCHES REICH oben in Antiquaschrift
ab 1945 Teil- bis Voll-Aptierungen aller vorstehenden Wertrahmen

Bleibt zu erwähnen, daß auch Freistempel der ab 1939 besetzten Gebiete verändert weiterverwendet wurden.

Und damit nach soviel Freistempel-Blabla keine Langeweile aufkommt, hier ein postamtlicher Vorläufer eines Absenderfreistempels, hergestellt von den Bafra-Werken in Berlin.

Im Achteck-Wertrahmen die dreistellige Wertangabe 360 mit vorangestelltem M (Mark), darunter das Postamt "Berlin N 39", das Firmenlogo des Absenders "Schering", die Apparatenummer "B1" und der 4-stellige Sendungszähler "0816". Dieser Apparat wurde nur wenige Wochen im Juni und Juli 1923 verwendet.

Da die Vorläufer-Apparate keine Aufgabe-Ortsstempel hatten, mussten die freigestempelten Sendungen wie mit Freimarken frankierte vom Aufgabepostamt mit dem Tagesstempel versehen werden. Dieser einseitige Vorteil nur auf Seiten des Absenders konnte die Erprobungsphase nicht überleben. Die "Entwertung" erfolgte hier im Postamt BERLIN N 4 mit Tagesstempel "BERLIN N \ -2.7.23.7-8 N \ * 4 i".

siehe auch (Datenbank # 2014):



= Fernbrief 21-100g zu 360 Mark

So, da wieder Belege - diesmal Infla ! - auf dem Postweg abhanden kamen, werde ich zeitnah mit Richard den Rahmen eines neuen Themas absprechen, in dem Ross und Reiter genannt und vor An- und Verkauf gewarnt werden darf !

In diesem Sinne Euch allen weiterhin ungetrübte Sammlerfreuden !
 
Quelle: www.philaseiten.de
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