Thema: Briefmarkensammeln, nur etwas für die finanzielle Elite?
Cantus Am: 20.08.2013 01:50:33 Gelesen: 39333# 36@  
Guten Abend allerseits,

seit einer ganzen Weile verfolge ich hier schon die Diskussion, als deren Essenz sich recht unterschiedliche Sammlertypen herauskristallisieren. Selbst wenn man das Sammeln von Briefmarken dem von kompletten Belegen oder Ganzsachen oder Stempeln gleichsetzt, so habe ich doch noch keinen Beitrag gelesen, der meinem Denken und Empfinden beim Sammeln ganz nahe kommt.

Zunächst einmal, warum sammeln wir? Vor allem doch wohl deshalb, weil wir Spaß dabei empfinden, wenn wir uns mit unseren Sammelgebieten beschäftigen. Dabei sollte es völlig egal sein, welches Gebiet wir nun "beackern", Hauptsache, die Beschäftigung damit bringt Entspannung, Freude, neues Wissen und die Gewissheit, etwas Sinnvolles zu tun, was sich erheblich vom In-die-Glotze-schauen oder Auf's-Handy-starren abhebt. Wir sammeln also um des Sammelns willen und nicht, um Werte finanzieller Art zu schaffen. Wer beim Sammeln dauernd auf's Geld starrt oder (Katalog-)Werte als Zielvorgabe hat, der sammelt nicht, sondern er investiert. Natürlich werden solche Investoren das auch als Sammler bezeichnen, sie werden aber ganz schnell auf den Boden der Realität zurückgeholt, wenn sie ihre "Sammlungen" plötzlich ohne den Einsatz von Geld fortführen sollen.

Ich hatte einmal bei einer Auktion einen Berliner kennengelernt, der mir stolz erzählte, er würde nur Währungsgeschädigte-Blocks sammeln, zwanzig Stück hätte er schon. Was das jedoch mit Sammeln zu tun haben soll, hat sich mir bis heute nicht erschlossen. Auch wer nur teure "Spitzenstücke" erwirbt (was ist das eigentlich?) ist für mich kein Sammler. Sammeln bedeutet suchen, finden und sich dann damit beschäftigen, aber nicht vorrangig Geld in Sammelstücke umwandeln, um dann damit entweder den Tresor zu füllen oder auf Ausstellungen dafür Belobigungen einzuheimsen.

Sicher ist es so, dass man ganz ohne Geld nur durch Zufall oder mit etwas Glück oder über Spendenware neues Material für die Sammlung bekommen kann, aber die Philatelie hat so viele verschiedene Facetten, da ist für jede/n etwas dabei, selbst wenn man nicht das scheinbar notwendige Geld hat, um die Sammlung mit allgemein anerkannten Spitzenwerten aufzupeppen. Es gibt schließlich auch überhaupt keinen Grund, immer nur das zu sammeln, was alle anderen auch haben oder suchen. Wer sich meine hier veröffentlichten Sammelgebiete anschaut (es gibt noch eine ganze Reihe mehr), wird feststellen, dass da ganz überwiegend Themen zu finden sind, die von Anderen kaum gesammelt werden. Das macht die Sache in meinen Augen jedoch erst recht interessant, denn so bin ich gezwungen, die vielen ausgetretenen Pfade in der Philatelie zu verlassen und mich Neuem und oft noch Unerforschtem zuzuwenden. Das macht die Sache spannend, denn jedes neue Entdecken und jede noch so kleine Wissenserweiterung treibt mich an, in meinem Sinne fortzufahren.

Es geht hier immer wieder darum, ob und wie viel Geld in eine Sammlung hineingesteckt werden muss. Es gibt viele Menschen, die machen immer wieder teure Reisen, schaffen sich regelmäßig neue Heimelektronik an, kaufen neue Autos, zahlen freiwillig hohe Mieten und anderes mehr. Das Geld ist dann - zumindest ganz überwiegend - auf Dauer verloren. Ich dagegen stecke im Rahmen meiner Möglichkeiten mein Geld in meine Sammlungen, fahre nur alte Autos, unser Fernseher muss immer mehr als ein Jahrzehnt halten, habe ein viele Jahre altes Handy, reise so gut wie nie und wenn doch, dann oft zu Messen, Börsen oder Händlern, denn für mich steht die Philatelie im Mittelpunkt, das gilt auch für’s Reisen.

Wir alle leben mit der Erkenntnis, dass es einen Bruch beim Briefmarken- oder Belegesammeln gegeben hat. Seit Kinder und Jugendliche ganz überwiegend lieber dauernd auf’`s Handy starren oder stundenlang am PC verbringen statt sich mit Anderem zu beschäftigen, also z.B. auch mit dem Briefmarkensammeln, sind die wenigen Nachrücker, die in unsere Fußstapfen treten, viel zu wenige, als dass man erwarten könnte, dass sie den Willen und die Finanzkraft hätten, alles das, was jetzt und in Zukunft aus Nachlässen auf den Markt kommt, erwerben zu wollen oder zu können. Wir sollten uns also endlich damit abfinden, dass wir zwar sammeln und uns, wenn es denn unbedingt sein muss, anhand von Katalogwerten reich rechnen können, dass das aber ziemlich realitätsfern ist. Es gilt also, für jedermann andere Sammelziele zu definieren, aber so, dass dadurch die Freude am Sammeln nicht getrübt wird.

Ich habe mich vor etwa 35 Jahren von den Briefmarken ab und der Ganzsachenphilatelie zugewandt. Das war zunächst etwas ungewohnt, hatte man sich doch zuvor nur mit diesen netten kleinen mehr oder minder gezackten Papierchen beschäftigt, sie abgelöst, getrocknet, sortiert, in Alben gesteckt und nach Katalogen bestimmt, und nun war man in der Pflicht, den kompletten Beleg zu betrachten und jedes noch so kleine Detail zur Bestimmung heranzuziehen. Inzwischen hat sich meine Wahrnehmung so verändert, dass mir grundsätzlich jede Ganzsache gefällt, auch wenn ich nicht alles gezielt sammeln kann. Ganzsachen sind damit für mich zu einem unersätzlichen Kulturgut geworden, das es zu sammeln, zu archivieren, zu beschreiben und der Nachwelt zugänglich zu machen ist.

Daraus ergibt sich, dass es meine Aufgabe ist, so viel Material wie möglich in den von mir favorisierten Sammelgebieten zusammenzutragen. Nach meinem Tod sollte dieses Archivgut, darunter eine Vielzahl von Unikaten, entweder zu einem akzeptablen Preis an einen ähnlich denkenden Sammler weitergegeben oder einem Postmuseum vermacht werden. Nicht der angebliche gegenwärtige Wert oder die Realisierung von zukünftigen Verkäufen zu möglichst hohen Preisen ist also mein Antrieb, sondern mein Wunsch, Wertvolles (im Sinne von kulturell wertvollen Sammlungen) zu schaffen und für nachfolgende Generationen aufzubereiten. Natürlich habe auch ich im Laufe der Zeit beträchtliche Summen (im Verhältnis zu meinem Einkommen) in die verschiedenen Sammelgebiete gesteckt, aber ich erfreue mich auch an jedem neuen Beleg und sei er für Andere noch so unscheinbar, weil eben die philatelistische Fachpresse, die Katalogmacher, Auktionatoren oder Gutachter im Ausstellungswesen andere Schwerpunkte setzen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es ganz ohne Geld nicht geht, wenn man so wie ich - unabhängig von Katalogen - bestimmte Sammelthemen durch fortwährende Materialbeschaffung weitestgehend mit immer neuen Belegen unterfüttern möchte, unterhalb dieser Ebene jedoch ist der Einsatz größerer Finanzmittel nicht erforderlich, um reizvolle Sammlungen unterschiedlichster Art nach und nach zusammenzustellen.

Viele Grüße
Ingo
 
Quelle: www.philaseiten.de
https://www.philaseiten.de/thema/5751
https://www.philaseiten.de/beitrag/70587