Thema: Briefmarkensammeln, nur etwas für die finanzielle Elite?
juni-1848 Am: 23.08.2013 23:33:32 Gelesen: 37290# 97@  
Briefmarkensammeln, nur etwas für die finanzielle Elite?

Seit mein Hausarzt mir kurz vor der Einschulung ein bunt gefülltes Minialbum zur Aufmunterung mitbrachte, bin ich infiziert. Aus dem Album habe ich noch heute einen gestempelten Notopferstreifen und eine der leuchtenden 100.000 Mark Queroffset der Inflation.

Zu Schulzeiten erhielt ich dann für´s Rasenmähen von einem Nachbarn (Briefmarkensammler nach Michel-Katalog) statt des versprochenen Kleingeldes einen Kartons mit überwiegend markenlosen Post-Belegen, Dokumenten etc. aus der frühen Nachkriegszeit. Die langweiligen Briefmarken waren vergessen, der Forscherdrang geweckt - allerdings gab es in den Sechzigern kaum Literatur, geschweige denn das Internet.

Die Bundeswehrzeit in "ländlicher" Einsamkeit verbrachte ich weniger auf "Witwenbällen" als vielmehr bei Witwen, deren Verflossene sich Philatelisten nannten - und in einem Falle schnupperte ich zum allerersten Male Inflationsluft.

Zu Studienzeiten kam dann die Postautomation in all ihren Facetten hinzu, u.a. die Rohrpost, postalische Formulare usw. - alles philatelistische Nebenkriegsschauplätze, für die es keine preistreibenden Kataloge gab.

Meine Erfahrungen über 2 Jahrzehnte: Die schönsten, seltensten, ungewöhnlichsten Stücke erhielt ich im Tausch - gleiches behaupteten meine Tauschpartner nach selbigem. Mangels Literatur waren die seltenen Ausstellungen in den Sechzigern für mich spannender als jeder Lausbubenstreich - und das ist bis heute so geblieben. Wer über den Tellerrand hinausschaut, erkennt und findet meist für kleines Geld die Liebhaberwerte, die in "Tauschwährung" fernab finanzieller Eliten gehandelt werden.

Warum ich allerdings niemals ausstellen werde:
1. Zu Studienzeiten hatte ich nach einer Wette zwei Rahmen mit Briefmarken und Belegen angefertigt, die in politische Karikaturen, eigene Zeichnungen und Collagen mit anderen Dokumenten eingebettet waren. Mit dem Thema
"Kritische Auseinandersetzung eines jungen Sammlers mit den Zwängen der Philatelie" - geschweige denn mit den Rahmeninhalten wollten sich die damaligen Ausstellungsorganisatoren keinesfalls kritisch auseinandersetzen. Stattdessen hingen sie eine Weile im Fachschaftskeller und fanden dort reichlich Interessenten.

2. Auf der letzten großen Ausstellung in Münster (Rhein-Ruhr-Posta 2011, Rang 2) wurde ich ungewollt Zeuge, wie eine recht große Jurorengruppe zwei Ausstellungsthemen, die ich kurz zuvor mit Neugier und Notizblock als ungewöhnlich frisch und informativ würdigte, mit regularientechnischen Verfehlungen herabwürdigten. Allein Kommentare wie "sollte erstmal deutsch lernen", "am eigenen Thema vorbei gesammelt" und nicht zuletzt "fehlen die hochwertigen Stücke" sowie "fällt das schmale Budget durch die Auswahl der Belege sofort ins Auge" wären schon seinerzeit dieses Thema WERT gewesen.

3. Warum also soll ich mir meine Zeit der Hobbyfreuden madig machen lassen von philatelistischen Sesselfurzern, die vor lauter Selbstbeweihräucherung sogar selbstklebende Marken vorher noch anlecken?

4. Und nicht zuletzt gibt es Alternativen, die sich jeder Kritik und jedes Lobes annehmen: "Geniale" Dauer-Ausstellungen wie etwa Dieter Sejak´s [http://www.kreisobersegmentstempel.de/], um nur ein Beispiel zu nennen.

Sollte Richards Grundgedanke, ein Forum "von allen für alle" nicht auch in der weiten Welt des Briefmarkensammelns gelten ?

Für viele bleibt es eine Freizeitentspannung, für andere ist es die Jagd nach Schnäppchen, einige brauchen das Rampenlicht und jener setzt sich ein Denkmal mit der Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse. Und dann soll es ja noch die Kapitalanleger geben. Es ist also wie "ÜBERALL im richtigen Leben", wie "in jedem anderen Verein" auch.

Gute Nacht.
 
Quelle: www.philaseiten.de
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