Thema: Ein Plädoyer für Literatur - Dummheit ist heilbar
saschJohn Am: 12.12.2013 07:13:14 Gelesen: 29466# 29@  
OK bischen lang aber vielleicht hilft es jemand.

Die Freude am Papiermüll des Nachbarn.

Alles begann im Jahre 2003. Ich war beruflich ziemlich eingespannt und suchte ein Hobby zur Entspannung. Da mein Beruf ziemlich hektisch, laut und mit vielen Reisen verbunden war, kam mir mein altes Hobby Briefmarkensammeln in den Sinn. Ich kaufte also ein Briefmarkenalbum und begann Briefmarken zu sammeln. Zunächst alles was ich bekam. Nach kurzer Zeit hatte ich eine ansehnliche Sammlung USA, Walt Disney, Deutschland und alle Welt zusammen. Als Pastor sammelte ich auch „Jesus auf Briefmarken“ und versuchte von jedem Land der Erde einen Brief oder eine Karte zu bekommen. Das Hobby begeisterte mich mehr und mehr und ich suchte nach weiteren Informationen im Internet, stieß auf einige Foren und meldete mich dort an. Dort lernte ich, dass Briefmarken sammeln nicht einfach bedeutet Briefmarken zu sammeln, sondern es eine Wissenschaft, für manche sogar eine Religion mit unumstößlichen Dogmen, war. Es war genaustens vorgeschrieben, was man wie zu sammeln hatte und was verachtenswerte Knochen und erbärmliche Massenware war.

Man sammelte Briefmarken, die exakt den Qualitätsstufen des Michelkatalogs entsprachen. Marken die nicht zentriert, oder bei denen in irgendeiner Weise der Zahn beschädigt war, Stempel, die nicht lesbar waren und Gummi der Fingerabdrücke aufwies, konnte man genauso gut im Klo herunterspülen. Das tat ich zwar nicht, aber als gehorsamer Jünger trennte ich mich von meinen Sammlungen und versuchte eine Sammlung aufzubauen, die all diesen hohen Ansprüchen gerecht wurde, die genau genommen darin bestanden, dass ein Sammler zur Post ging, einen klaren zentrischen Stempel auf seine Marke bekam, diese nach Hause brachte, wo er sie unter genau bestimmten Bedingungen in die exakt beschriebenen Alben packte und sie mit all den anderen Schätzen im Safe verstaute, um sie die nächsten 100 Jahre dort aufzuheben, auf dass sie sich im Wert ins unermessliche steigerte.

Um solche besonderen Schätze aus dem „Müll“ der angebotenen Marken im Internet, auf Auktionen oder an Großtauschtagen zu bergen, benötigten man neben Geld auch jede Menge Literatur. Also kaufte ich mir zu allen gerade begonnenen Sammlungen die entsprechende Literatur, las sie und versuchte weiter ein braver Philatelist zu werden. Nur der Spaß und die Begeisterung an meinen Marken ging mehr und mehr verloren. Ich gab mehr Geld aus als ich hatte, besorgte mir Bücher, die mich eigentlich nicht interessierten und verbrachte Stunden in den unterschiedlichen Foren, anstatt mit meinen Marken, und Belegen die inzwischen dazugekommen waren.

In dieser Zeit verlor ich meine Arbeit und das Geld wurde knapp. Ich war gezwungen, das meiste zu verkaufen und entschloss mich nur noch eine Spezialsammlung „Germania“ anzufangen, das war im Dezember 2008, das machte am Anfang Freude, aber mehr und mehr verlor ich das Interesse an der Philatelie. Ich kann nicht mal sagen wann es genau war. Irgendwann im Frühjahr 2010 entschloss ich mich zu einem radikalen Schritt. Ich wollte mein Hobby nicht aufgeben, ich wollte aber auch nicht mehr den Stress, die endlosen Diskussionen was nun eine richtige Sammlung sei und den Frust über viel zu viel Geld, das man ausgab. Ich meldete mich aus allen Foren ab, trat aus Argen aus und verschenkte meine Bibliothek an einen netten Sammler, dem ich damit eine Riesenfreude bereitete.

Ich aber kehrte reumütig zurück, zu den Anfängen des Sammeln. Nahm meinen Michel Deutschland und die verbliebenen Alben und begann wieder da, wo ich vor Jahren begonnen hatte, beim Sammeln von Marken aus der Tagespost. Bald kamen auch Marken aus anderen Ländern dazu und hier und da gab mir jemand Marken, oder Sammlungen die ich eifrig sortierte und in meine Sammlung integrierte. Ich war wieder frei! Die Freude und Begeisterung kam zurück und meine Sammlung wuchs wieder. Fragt man mich heute: „Was ist deine Sammlung wert?“ Sage ich;“ Wert? Was sollte meine Sammlung wert sein? Ich sammle den Papiermüll anderer Leute!“ Und das mit wachsender Begeisterung!
 
Quelle: www.philaseiten.de
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