Thema: Rohrpostbelege
cartaphilos Am: 13.12.2014 06:32:35 Gelesen: 1031054# 963@  
@ juni-1848 [#960]

Guten Morgen,

nach langer Pause bin ich mal wieder mit von der Partie.

Die Eilnachrichtenkarte ist sehr schön und vor allem selten. Gratulation. Ich kenne nur noch eine zweite, die in Berlin gelaufen ist und Rohrpostmerkmale aufweist.

Zunächst einmal zum historischen Hintergrund. Im Kriegstagebuch vom 5.12.1944 lesen wir:

"550 Bomber (12 verloren) der 8. USAAF, gesichert von 800 Begleitjägern (9 verloren), greifen die Tegel-Panzerwerke bei Berlin und die Rangierbahnhöfe von Münster an. Dabei sollen 91 deutschen Jäger über Berlin abgeschossen worden sein." [http://weltkrieg2.de/kriegstagebuch-5-dezember-1944/]

Dabei dürfte auch das von Richard Kalisch bewohnte Haus in der Brunowstraße 33 in Berlin-Tegel zu Trümmern zerlegt worden sein. Das Haus lag in einer Straße, die sich nur wenige Meter - eine Querstraße weiter - vom zerbombten Industriegebiet der Borsigwerke entfernt befand. Dort waren auch die Alkett[ Altmärkische Kettenwerke]-Panzerwerke beheimatet, die täglich etwa zehn Panzer fertigstellten und bereits bei einem Bombenangriff am 6. Oktober 1944 erheblich beschädigt wurden.

Eine kleine Korrektur ist jedoch bei Deiner Darstellung erforderlich: Tegel und Friedenau waren keine Nachbarbezirke, sondern beide Stadtteile sind so schlappe 20 Km voneinander entfernt. Das hast Du mit Frohnau verwechselt, das nördlich von Tegel liegt.

Eine entscheidende Frage, wie diese Karte per Röhre transportiert worden ist, dürfte sein, wo der Absender diese Karte aufgegeben hat. Das muß ja nicht zwangsläufig in Berlin-Tegel gewesen sein. Da Berlin-Tegel über keinen Rohrpostanschluß verfügte (der nächste in süd-östlicher Richtung war erst Berlin N20), stellt sich die Frage, wo die Karte überhaupt ins Rohrpostnetz eingeschleust wurde. Denkbar ist natürlich, daß sie in Berlin N20 den Rohrpostanschluß erreichte. Von dort ginge es dann weiter über das HTA nach Berlin W9, von wo es weiter mit der Linie Richtung Steglitz und Zehlendorf nach Friedenau ging. Immerhin war die Linie von Berlin W35 bis nach Friedenau noch bei Kriegsende funktionstüchtig und es sieht so aus, als sei das Stück der Rohrpostlinine zwischen Berlin W9 und Berlin W35 erst ganz gegen Kriegsende zerstört worden.

Somit sprechen wenigstens die technischen und historischen Bedingungen dafür, daß diese Eilnachrichtenkarte am 5.12.1944 die pneumatische Berliner Unterwelt zwischen Berlin N20 und Berlin-Friedenau von innen gesehen hat. Denkbar ist aber auch eine Beförderung per S-Bahn zwischen Berlin W9 (Potsdamer Platz) und Berlin-Friedenau, denn auf dieser Linie gab es auch sonst reichlich eiligen Postverkehr, der per S-Bahn und Postsack abgewickelt wurde.
 
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