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Thema: Altdeutschland Braunschweig Zweidrittelmarke - Rarität bei Gärtner
Richard Am: 08.10.2017 09:09:59 Gelesen: 4276# 1 @  
Die bedeutendste zur Frankatur verwendete Markenteilung der Altdeutschen Staaten ?

(wm/cw) Auktionatoren verstehen es durchaus recht gut, Seltenheiten und Raritäten potentiellen Interessenten so näher zu bringen, dass die Lust auf Erwerb Bieter, die sich solche Stücke leisten können, anzieht. Das ist nicht nur ihr gutes Recht, sondern auch ihre Pflicht, denn der Einlieferer oder vormalige Besitzer erwartet ja nun auch durchaus eine angemessene Summe für die von ihm eingelieferte Rarität. Solche Raritäten sind aber nicht einfach vermehrbar, in der Regel sind sie Einzel-, vielfach Ausnahmestücke.

Ein solches Ausnahmeexemplar kommt bei der kommenden 38. Gärtner-Auktion Mitte Oktober zum Ausruf. Da es von hoher philateliegeschichtlicher Bedeutung ist, sei es – der Beschreibung des Auktionshauses folgend – einmal näher vorgestellt.
Braunschweig – Marken und Briefe:

Los 20622, Ausruf 40.000. 1853. 3 Sgr. schwarz auf mattrosa, Mi.-Nr. 8a als Zweidrittelung auf Brief nach Arnstadt/Thüringen. Entwertet mit doppelt abgeschlagenem und jeweils auf das Briefpapier übergehenden leuchtend-blauen Nummernstempel „7“, nebengesetzt in gleicher Stempelfarbe Rechteckstempel „BRAUNLAGE 20/1 *“ (1858), rückseitig abgeschlagener Ankunftsstempel.

Die Marke ist farbfrisch, voll- bis breitrandig geschnitten, rechts gerissen, die Erhaltung einwandfrei. Der Faltbrief mit vollem Inhalt ist in ursprünglicher Erhaltung. Absender ist die Glashütte Röhrig, aus deren Geschäfts-Korrespondenz mehrere Belege dieses kleinen Ortes existieren.


Dieser Beleg ist unseres Erachtens neben der hannoverschen Drittelung einer 3 Gr.-Marke aus Meinersen (Sammlung Grobe) die bedeutendste zur Frankatur verwendete Markenteilung der Altdeutschen Staaten! Die wenigen Vorbesitzer dieses Beleges zählen zu den großen Kennern der Altdeutschland-Philatelie, jedoch wurde diese Seltenheit bislang nicht in einer großen Ausstellungssammlung gezeigt. Öffentlich und herausgestellt angeboten wurde der Brief vor fast 30 Jahren mit erstklassiger Beschreibung als „sensationellste Neuentdeckung der Nachkriegszeit (…) deren Seltenheitswert weit höher als der irgendeiner Halbierung einzustufen ist“. Der damalige Ausrufpreis (80.000.- DM) entspricht umgerechnet etwa unserem Ansatz bei aber damals doppelter Kaufkraft.

Zu dem Brief wurden bereits einige Überlegungen und Erörterungen gemacht. Für die Beschreibung muss daher etwas ausgeholt werden:

Halbierungen sind von Braunschweig wie auch im Nachbarstaat Hannover bei offensichtlich notfälligem Markenbedarf bekannt, es kommen praktisch keine Belege mit Nachtaxierungen vor. Neben einigen Briefen existieren gerade bei Braunschweig etliche Briefstücke, bei denen die Frankaturkontrolle zwar fehlt, deren Verwendung als Halbierung aber eindeutig ist.

Braunlage ist vor 160 Jahren ein kleiner Ort gewesen, dessen einzige Industrie und damit wichtigster Postkunde die Glashütte Röhrig war. Der Postbeamte war während der ganzen Markenzeit identisch. Es existiert noch eine Markenhalbierung der letzten Markenausgabe auf Briefstück. Die nicht häufigen Briefe aus Braunlage haben öfters das gleiche Merkmal,– die ungezähnten Marken sind einseitig, gelegentlich zweiseitig oder gar vierseitig gerissen. Dies ist wohl eine Trennungseigenart des damaligen Postbeamten. Der vorliegende Brief in das Postvereinsgebiet nach Arnstadt in Thüringen kostete bei einer direkt zu messenden Entfernung von 16–17 Meilen eindeutig 2 Silbergroschen. Es ist auch aus dieser Zeit vom gleichen Absender und Postort ein anderer Brief mit sogar etwas weiterer Entfernung nach Gera bekannt, welcher ebenfalls portogerecht mit 2 Sgr. freigemacht wurde.

Aufgrund der vorliegenden Markentrennung durch Reißen ist die vorliegende Zweidrittelung unbedingt vom Postbeamten durchgeführt worden bei zwischenzeitlich kurz währendem Markenmangel. Dabei ist vom Trennungscharakter die Marke rechts aber nicht zufällig oder versehentlich unsauber gerissen sondern – wie beim Braunlager Postbeamten nicht unüblich – mittels Reißen nun halt zwei Drittel der Marke abgetrennt. Waren bei den sonst bekannten Belegen aus Braunlage mit ein- oder zweiseitig gerissenen Marken diese wahrscheinlich im Bogen vorgefaltet, so erscheint bei vorliegendem Beleg die Trennung eher ohne Vorfaltung (machen Sie selbst einmal solche Trennungsversuche mit Papierstreifen!). Frühere Autoren haben sich dann überlegt, was mit dem restlichen Drittel der Marke geschah. Am ehesten erscheint jedoch, dass bei aufgetretenem Markenmangel (ein) waagrechte(r) Streifen der 3 Sgr.-Marke in Zweidrittelungen zu je 2 Sgr.-„Marken“ erfolgte! Dies ist bei der Geschäftskorrespondenz der Glashütte auch nicht unwahrscheinlich. Ein weiterer Beleg ist leider trotz jahrzehntelangem Suchen den Braunschweig-Experten nicht bekannt, würde aber bei Auftauchen unseren Brief in der philatelistischen Bedeutung sogar nochmals erhöhen.

Dafür liegen zur Dokumentation der Zweidrittelung zwei außergewöhnliche Braunlage-Briefe diesem Los zugehörig anbei, die für das Reißen als Trennungsform in Braunlage beweisend sind:

1) 1852, 3 Sgr. orangerot, Mi.-Nr. 3, spät verwendet auf datierter Briefhülle nach Harburg. Entwertet mit blauem Rechteckstempel „BRAUNLAGE 1/8 * 11-12 (1855)“. Rückseitiger Ausgabestempel. Die Marke auf diesem Brief ist vierseitig(!) gerissen. Absender ist nicht die Glashütte Röhrig! Attest Lange BPP.

Ein Pendant dazu findet sich ebenfalls mit einer Mi.-Nr. 3 (anderer Absender!) in nur fünf Tagen späterer Verwendung auf Briefhülle nach Geiersthal bei Coburg, die Marke auf diesem Beleg ist zweiseitig (links/rechts) gerissen. Attest Brettl BPP. (Nachweis 31. Gärtner-Auktion)

2) 1853, 3 Sgr. schwarz auf mattrosa, Mi.-Nr. 8a, auf Brief an bekannte Adresse der Firma Gosling & Walter im seinerzeit dänischen Altona. Entwertet mit ideal abgeschlagenem blauem vorphilatelistischem Zweikreisstempel „BRAUNLAGE 9/3 (1856)“, nebengesetzt blauer Rechteckstempel BRAUNLAGE 7/3 * 3-4(1856)“. Rückseitig Durchgangsstempel des Königlich Dänischen Oberpostamtes in Hamburg. Die Marke auf diesem Brief ist zweiseitig (links/rechts) gerissen! Absender ist die Glashütte Röhrig. Attest Lange BPP.

Ein Pendant dazu aus gleicher Korrespondenz findet sich mit etwas späterer Verwendung (bereits Nummernstempel-Entwertung) in der dunkleren Farbe in der Sammlung „Erivan“ (veröffentlicht und abgebildet in „Auslandsbriefe der Altdeutschen Staaten Band I“, Herausgeber Fa. Heinrich Köhler). Auch hier ist die Marke zweiseitig in der Vertikalen gerissen.

Wir finden also Brief-Pendants mit gerissenen Marken verwendet von der Glashütte Röhrig, aber auch weiteren Absendern. Somit kann nur der Braunlager Postbeamte selbst für die Trennungen per Reißen in Frage kommen!

Als endgültige und ausdrückliche zeitgerechte Bestätigung dieser Ausnahme-Verwendung ist die von Braunlage bislang einmalig vorliegende doppelte Entwertung der Marke mit dem Nummernstempel einzuschätzen. Dabei war es dem Postbeamten wichtig, die über den Vermerk „frei“ geklebte Zweidrittelung beidseits vollständig mit dem Nummernstempel auf das Briefpapier übergehend zu entwerten, damit nicht etwa im Sendungsverlauf oder bei Ankunft in Thüringen die dortigen Postbeamten bei der Frankatur eine Verwendung zum Schaden der Post auf diesem Geschäftsbrief (ein Mahnschreiben!) vermuten könnten. Entsprechend zeigt der Beleg nirgendwo die Spur einer Nachtaxierung.

Auch sonst scheint sich der Braunlager Postbeame bei Mangelsituationen zu helfen gewusst haben. Nur von Braunlage nämlich existieren seltene Entwertungen mit rotem Nummernstempel, welche am ehesten als Notmaßnahme mit Verwendung des roten Stempelkissens (für Recommandirt-Stempel reserviert) bei fehlender blauer oder schwarze Stempelfarbe einzuordnen sind.

Im „altdeutschen Staat“ Braunschweig wurden nicht nur Halbierungen bei Markenmangel durchgeführt. Bereits acht Monate vor Verwendung der vorliegenden Zweidrittelung erschien mit der 4/4 Ggr. eine Inlandsmarke, welche je nach Frankaturbedarf auch geviertelt, halbiert oder zu dreiviertel verwendet werden konnte und sollte. Somit war für die Braunschweiger Postbeamten der Ausweg zur Markenteilung bei Bedarf nicht neu sondern sogar naheliegend.

Die Verwendung der 3 Silbergroschen-Marke von 1853 als Zweitdrittelung zeigt die herausragende Umsetzung dieser aus dem echten Bedarf stammenden Notmaßnahme.
Der Beleg wird begleitet durch ein neueres Attest von Frau Lange BPP, welche die Echtheit bestätigt und weitere Nachforschungen zur Entstehungsgeschichte empfiehlt. Ein Teil dazu wurde im Rahmen dieser Losbeschreibung mit neuen Erkenntnissen und Interpretationen erbracht. Die Authentizität, Echtheit und Bedarfsverwendung stehen zweifelsfrei fest.

Der große Braunschweig-Kenner und -Sammler, Dr. W. Marx, äußerte sich bereits 1980 in einem ausführlichen Schreiben zu diesem Beleg mit den anerkennenden Worten, „Ja, dieser Brief ist ein tolles Stück.“

Zur Wert-Ermittlung sei auf den bislang höchsten Zuschlag für eine „normale“ Halbierung einer Braunschweig-Marke mit 240.000.- DM plus Aufgeldern und Steuern in 1988 hingewiesen. Im Vergleich zu anderen klassischen europäischen Markenländern scheinen die Braunschweiger Halbierungen moderat bewertet, außergewöhnliche Verwendungen wie (Zwei-)Drittelungen erzielen bei anderen Markenländern durchaus sechsstellige Zuschläge.

Großrarität und Schaustück von Braunschweig und den Altdeutschen Staaten, eine Zierde für jede Kollektion außergewöhnlicher Markenverwendungen!


 
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