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Thema: Deutsches Reich Lagerpost Petrikau
cilderich Am: 25.11.2017 13:51:28 Gelesen: 3117# 1 @  
Hallo,

ich möchte heute einen Beleg zeigen, der philatelistisch gesehen nicht sehr imposant ist, aber geschichtlich betrachtet stellt er etwas ganz Außergewöhnliches dar. Die Marke ist eine Michel Nummer 48 und das Zielland ist Schweden, es handelt sich um eine "normale" Zensur aus dem Oktober 1940. Soweit nichts Besonderes. Was den Umschlag allerdings schon beachtenswerter erscheinen läßt ist der Absender aus Petrikau in der Ostlandstrasse. Hier bestand seit 8.10.1939 das erste Ghetto im ehemaligen Polen und im Rahmen der "Endlösung" erfolgte die Auflösung des Ghettos zum 21.10.1942. Annähernd 20.000 Menschen aus diesem Ghetto wurden ermordet in Treblinka und Auschwitz.

Soviel zu den nackten Zahlen. Jetzt wird es aber höchst interessant, denn der Briefbogen ist auch noch vorhanden und in diesem erfährt man höchst Seltenes. Ein Insasse des Ghettos schreibt an eine Schwedin mit der Bitte um Hilfe in seinem Fall. Das per se ist auch noch nicht so ungewöhnlich. Das eigentlich Herausragende ist der Fakt, dass der Schreiber eigentlich türkischer Staatsbürger ist und um Vermittlung seines Anliegens (schlichtweg die Errettung vor der Ermordung) an die türkische Botschaft in Stockholm ersucht. Die Türkei, wie auch Schweden hatten eine Art von "Stillhalteabkommen" mit dem Deutschen Reich, zumal 1940 die "deutsche Sache" noch erfolgreich zu sein erschien. Somit war es sicherer über ein Drittland zu versuchen einen Einfluß zu erreichen.

Um die Seltenheit dieses Sachverhaltes zu erläutern sei erwähnt, dass neben Jakob Bascha Witorsch nur noch ein weiterer "Jude" in Petrikau ghettoisiert wurde, der eine ausländische Staatsbürgerschaft besaß (Diese als solche ist mir leider unbekannt).

Ich habe eine Anfrage nach Israel, nach Yad Vashem, bzgl. des weiteren Schicksals von Jakob Bascha Witorsch gestellt, allerdings noch keine Auskunft erhalten. Auch in anderen Ghettos sind nur wenige Menschen mit klar ausländischen Staatsangehörigkeiten bekannt. Es sei noch zusätzlich angemerkt, dass bis in die frühen 1940er Jahre "ausländische Juden" außerhalb des Ghettos wohnen durften, dann allerdings wurden auch diese beiden Personen in das Ghetto gezwungen. Es hatte also bis dato keine Intervention der Heimatstaaten stattgefunden. Somit ging man wohl von deutscher Seite davon aus, dass diese Personen unwichtig seien, und es kein besonders Aufhebens gäbe, so sie "verschwänden". Immerhin hielt sich der Absender ja auch schon seit 1935 in Polen auf.

Briefe mit solcher Ausssage und solchem Hintergrund sind allerhöchste Seltenheiten. Allerdings müssen sie natürlich auch erst als solche erkannt werden.

Herzliche Grüße cilderich





[Redaktionell kopiert aus dem Thema "Deutsches Reich Generalgouvernement: Bedarfsbriefe"]
 
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