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Thema: Schweizer Rarität mit Attest - Aufwertung von mangelhaften Marken
Richard Am: 15.08.2019 09:36:02 Gelesen: 3174# 1 @  
Was man schwarz auf weiss besitzt - oder vielleicht doch nicht?

Wieder einmal trübte die Freude über einen vermeintlich guten Kauf eine Rarität den Blick. Schliesslich hat man das gute Stück zusammen mit einem Attest erworben. Weshalb also noch zweifeln? Also mit Elan den Neuerwerb in die Sammlung eingebaut und mit einem gewissen Stolz die gekonnt aufgezogene Seite betrachtet. Aber die Freude sollte nicht sehr lange dauern.

von Fredy Brauchli, Kommission zum Schutz der Philatelie

Im Jahr 2013 nahm ich an einer kleineren Auktion teil, nicht zuletzt deshalb, weil ein Briefstück mit einem Tessiner Strahlenstempel angeboten wurde. Gross war die Verlockung, mit diesem Fragment eine Lücke in meiner Spezialsammlung zu füllen. Als dann ein grosser, inzwischen leider verstorbener Altschweiz-Sammler beim betreffenden Briefstück mitbot, stärkte das meine Gewissheit, dass es sich wohl um eine erstrebenswerte Rarität handelte. Zur Freude überliess mir der bekannte Philatelist nach einem relativ kurzen Bietergefecht den Briefausschnitt und ich wurde dessen stolzer neuer Eigentümer. Auf dem ersteigerten Fragment klebte eine Rayon III, entwertet mit einem schwarzen Ovalstempel «Bignasco 2»:



Ein Attest aus dem gleichen Jahr (2013) bescheinigte sowohl die Echtheit der Marke als auch der Entwertung. Im grossen Stempelwerk, davon hatte ich mich vorher vergewissert, wurde die betreffende Abstempelung unter der Stempelgruppe 68 mit der Nr. 13 auf Rayon III erwähnt und als Rarität mit 625 Punkten bewertet (Abbildung 2). Ergo: Neues Attest vorhanden, Entwertung im Stempelwerk erwähnt – also alles bestens. Getreu nach Goethe «Was man schwarz auf weiss besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.»



https://www.briefmarken-atteste.de/atteste/suchen/ablage/167

Zwei Jahre später, anlässlich der «Timbr@phil 2015» stellte ich meine Rayon-Sammlung zum zweiten Mal an einer Rang II-Ausstellung aus. Die Bewertung «Gold» liess noch nichts erahnen, was mich dann im Jury-Gespräch erwarten sollte. Als mir mit relativ ernster Miene empfohlen wurde, mein Briefstück mit der Bignasco II-Entwertung prüfen zu lassen, da mit höchster Wahrscheinlichkeit eine Frankaturverfälschung vorlag, fiel ich aus allen Wolken. Man erklärte mir, dass der betreffende Tessiner Ovalstempel erst etliche Jahre später zur Verwendung gekommen sei und eine Spätverwendung auf einer Rayon III ausgeschlossen werden könne. Da halfen auch meine Argumente nicht, ich würde ein Attest dafür besitzen und im Stempelwerk sei die Entwertung auf Rayon III mit grosser Wertziffer ausdrücklich erwähnt. Ich konnte von Glück reden, dass der Punkteabzug die Bewertung nicht allzu stark tangierte. Trotzdem war es der erste philatelistische Tiefschlag, den ich zu verdauen hatte.

Der Jury-Empfehlung folgend, unterbreitete ich den Briefausschnitt Urs Hermann, der mir schon nach dem ersten Blick erklärte, für ihn sehe die Sache fraglich aus. Ich erlaubte ihm, die Marke von der Unterlage abzulösen und erwartete sein Testat mit ziemlicher Spannung. Es traf im Januar 2016 ein und bestätigte die von den kompetenten Juroren geäusserte Vermutung: «Marke echt, Abstempelung echt, jedoch nicht postalisch: Frankaturverfälschung». Die Markenrückseite offenbarte deutliche Mängel. Ausserdem war der Papierträger gemäss mündlicher Ergänzung von Urs Hermann fast hundert Jahre jünger als die Marke.



https://www.briefmarken-atteste.de/atteste/suchen/ablage/172

Wie war die Verfälschung mit einem echten Stempelabdruck zu erklären? Nun, während des Aktivdienstes im 2. Weltkrieg leisteten Soldaten aus anderen Landesteilen ihren Dienst im Tessin. Unter diesen Aktivdienstlern gab es natürlich auch Philatelisten – findige Leute. Sie klapperten die zahlreichen Poststellen in den Tessiner Tälern ab und erkundigten sich nach noch vorhandenen alten Stempeln, welche sie dann den Leuten abschwatzten. Irgendwie fanden die alten Stempel den Weg zu Philatelisten der dubiosen Sorte, die damit echt aussehende Frankaturen bastelten. Dies, indem sie mangelhafte, unentwertet gebliebene Marken auf einen Papierträger klebten und mit einer attraktiven Entwertung zu einer vermeintlichen Rarität aufwerteten. Dies muss in der Zeit zwischen dem 2. Weltkrieg und 1969 geschehen sein. Denn nur so ist es zu erklären, dass die Entwertung auf unserem vorliegenden «corpus delicti» Eingang in die überarbeitete Fassung des Stempelwerkes fand. Wer weiss, vielleicht war es sogar mein Briefausschnitt, der zur damaligen Beweisführung herangezogen wurde.

Glücklicherweise finden in der heutigen Zeit immer bessere Prüfmethoden Einzug in die Tätigkeit der Verbandsprüfer. So besteht die Chance, dass das schon mehrmals angetroffene Fälschungsmuster – versuchte Aufwertung von mangelhaften Marken mit einer nachträglichen seltenen Entwertung – entlarvt wird. Allerdings müssen die Besitzer solcher Objekte bereits sein, der Wahrheit ins Auge zu blicken, sprich den engagierten Prüfer zu ermächtigen, die Marken von der Unterlage zu lösen. Der finanzielle Verlust dürfte in den meisten Fällen – wie auch in meinem Fall – gegen Null tendieren. Denn In derartigen Fällen besitzt der Käufer ein zehnjähriges Rückgaberecht und Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufes.


Mit freundlicher Genehmigung des Autors Fredy Brauchli von der Kommission zum Schutz der Philatelie und Hans Schwarz, Chefredakteur der SBZ Schweizer Briefmarken Zeitung. Erstveröffentlichung im März 2019 in der Schweizer Briefmarken Zeitung.
 
Richard Am: 26.08.2019 09:35:11 Gelesen: 2964# 2 @  
@ [#1]

Im Eröffnungsbeitrag wird im Beitrag unter dem ersten Bild ein Attest erwähnt, in welchem der Schweizer AIEP Prüfer die Echtheit der Marke und der Entwertung bescheinigte.

Eines unserer Mitglieder fragte per Mail nach, ob wir dieses zeigen können. Unser Mitglied Fredy Brauchli hat auf Anfrage nicht nur einen Scan davon gemailt, sondern auch die Übersetzung aus der französischen Sprache:



Schweiz 1852 – RAYON III, grosse Wertziffern

15 Rp. rot, Type 3, Zumstein Nr. 20, auf Briefstück, ideal entwertet mit einem Tessiner OIvalstempel BIGNASCO, Nr. 13/Gruppe 68 des Stempelverzeichnisses.

Marke echt, sauber und farbfrisch, dreiseitig breit gerandet, leicht berührt im oberen Rand, Papier ohne Fehler und nicht repariert. Sehr seltene Entwertung auf RAYON.

Monthey, 10. Juni 2013


Schöne Grüsse, Richard

https://www.briefmarken-atteste.de/atteste/zeigen/1877
 
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