Thema: Russland: Belege bestimmen
Franz-Karl Lindner Am: 19.07.2020 11:51:12 Gelesen: 4012# 1 @  
Hallo zusammen,

habe in Russland die abgebildete Blindensendung aus 1938 erwerben können. Allerdings ergeben sich daraus eine Menge von Fragen, die ich nicht beantworten kann. Bin wohl der Brailleschrift mächtig, aber nicht der russischen.

Meine Fragen:

1. Wer kann mir die Handschrift auf der Anschriftenseite übersetzen?
2. Kann jemand etwas zu den Poststempeln auf der Vorder- und Rückseite sagen, auch zum R-Stempel?
3. wohl am schwierigsten - wie ist das Porto zu verstehen? Mir liegen bis heute noch keinerlei Unterlagen über die Behandlung von Blindenbriefen aus Russland bzw. der UdSSR vor.

Wäre echt toll, wenn die eine oder andere Frage beantwortet werden könnte.

Besten Dank.
Franz-Karl


 
doktorstamp Am: 19.07.2020 12:30:56 Gelesen: 3995# 2 @  
Hallo Franz Karl,

der Stempel vorderseits ist arg verschmiert. Hinten etwas besser, ich meine hier Leningr(ad) Obl(ast) zu lesen.

mfG

Nigel
 
iholymoses Am: 19.07.2020 16:08:52 Gelesen: 3973# 3 @  
Hallo,

auf dem vorderen Stempel wie auch auf dem R-Stempel lese ich Чирон = Chiron.
Könnte dieser Ort hier sein:

Die Dorfsiedlung "Chiron" ist eine Gemeinde im Bezirk Shilkinsky des Transbaikal-Territoriums der Russischen Föderation.

https://ru.wikipedia.org/wiki/Сельское_поселение_«Чиронское»

Gruß,
Reinhard
 
Franz-Karl Lindner Am: 19.07.2020 17:41:38 Gelesen: 3954# 4 @  
Schon jetzt einmal vielen Dank für diese Hinweise. Vielleicht kommt ja noch etwas von anderer Seite?

Franz-Karl
 
Altmerker Am: 19.07.2020 19:59:39 Gelesen: 3931# 5 @  
Krasser Beleg

Nach meiner Lesart ging es aus dem Leningrader Oblast/Gebiet nach Боровичи/Borowitschi, was in der Nähe von Nowgorod in Russland ist. Oben steht etwas von Einschreibbanderole. Lokal-territorial schlüssig. Was mich verwundert ist der recht saubere Stempel von Chiron. Das liegt in einer ganz anderen Gegend, tausende Kilometer weg.

Ist ein erster Versuch und hilft hoffentlich etwas.

Gruß
Uwe
 
Franz-Karl Lindner Am: 20.07.2020 10:58:32 Gelesen: 3882# 6 @  
Danke für die Infos bisher.

Habe die Stempel noch einmal deutlicher gemacht. Vielleicht klappt es mit der Identifizierung jetzt besser.


 
Altmerker Am: 20.07.2020 16:37:13 Gelesen: 3852# 7 @  
Ich habe das mit Kollegen diskutiert. Es könnte diese Relation sein: Der Brief geht von Chiron (Einschreibstempel) ins Leningrader Oblast und zwar nach Боровичи/Borowitschi, das G von Gorod ist klar zu sehen. Adressat ist ein E. Djukowoi in einer städtischen Abteilung/Anstalt (?)

Nach der Quelle: Снытко, О. Â.; et al. (2009). С. Д. Трифонов; Т. Б. Чуйкова; Л. Â. Федина; А. Э. Дубоносова (Hrsg.). Административно-территориальное деление Новгородской губернии и области 1727-1995 гг. Справочник (PDF) (auf Russisch). Sankt Petersburg. p. 96 heißt es:

Die Stadt Borovichi gehörte ursprünglich zum Oblast Leningrad, wurde jedoch ab 1930 zu einer Stadt von Oblast-Bedeutung erhoben. Am 5. Juli 1944 wurde der Bezirk Borovichsky in das neu gegründete Gebiet Nowgorod verlegt und blieb dort seitdem. Also das steht nun fest!!!

Ich schaue weiter, aber die Erkennbarkeit der Schrift, die ja eigentlich gar nicht so ausgeschrieben wirkt, lässt zu wünschen über.

Gruß
Uwe
 
Franz-Karl Lindner Am: 20.07.2020 16:59:53 Gelesen: 3845# 8 @  
Toll, wird ja immer besser. Super! Vielen Dank.
 
Roland Daebel Am: 20.07.2020 23:50:26 Gelesen: 3804# 9 @  
@ Franz-Karl Lindner [#1]

Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger ...

Die Anschriften und Absenderangaben in Russland/UdSSR sind im Gegensatz zu unseren "von hinten aufgezäumt". Auf dem Beleg steht:

Einschreiben Banderole Schrift für
Blinde. Leningrader Oblast
g. [Gorod = Stadt] Borowitschi ... ... ...
...

E. Schukowoi
___________________________________

Tschita[er] Oblast Schilka[er]
Rajon aus Kirocha A. Koltscha...


Somit besteht bei den Ortschaften Borowitschi und Chiron Übereinstimmung mit den abgeschlagenen Stempeln und mit den Angaben von Altmerker. Die Adressenangaben hinter "Borowitschi" sowie den ganzen Absendernamen kann ich nicht übersetzten bzw. lesen. Mit Banderole ist wahrscheinlich die direkt adressierte Pappe gemeint, in die die Blindenschrift gestanzt wurde. Die Briefmarke ist eine 40 Kopeken, der Ausgabe "Puschkin" 1937 (Mi-Nr. 551), wahrscheinlich normales Papier mit unsauberem Druck. Es ist anzunehmen, dass 40 Kopeken nur die R-Gebühr abdecken und für das Schriftstück an sich Portofreiheit bestand. Oder FKL?

In Chiron am Fluss Onon soll es nach der Volkszählung 1916 379 Bauernhöfe gegeben haben. Die Pfarrei bestand aus drei Dörfern. Das waren Chiron, Kirochi (siehe Brief-Absender) und Ust-Aga. Dort sollen damals 2.221 Menschen gelebt haben, und eine große Menge Nutzvieh war vorhanden. Im 18. Jahrhundert siedelten sich auch Kosaken an. Bis heute werden in der Gegend verschiedene Mineralien und seltene Erden sowie auch Gold gefördert.

Aktuelle Daten von Chiron habe ich nicht. Die nächste Stadt ist Schilka mit Anschluss an die Transsib (heute ca. 14.000 Einwohner). Die Region ist Transbaikalien mit der Stadt Tschita (heute ca. 325.000 Einwohner).
 
Franz-Karl Lindner Am: 21.07.2020 10:40:32 Gelesen: 3758# 10 @  
Na, das ist eine gute Beschreibung. Vielen Dank dafür.

Ein Rätsel bleibt für mich schon seit einigen Jahren. Wie wurden Blindensendungen in Russland portomäßig behandelt? Aktuell sind Blindensendungen portofrei. Vor dem 2. WK ziemlich sicher nicht. Auf meiner HP zeige ich unter [1] einen weiteren Blindenbrief aus Russland, aus Suworowo bei Odessa vom 7.7.1931 nach Wernigerode frankiert mit einer 2 Kopekenmarke, ein extrem niedriges Porto. War dies damals bereits ein Sonderporto für Blindenbriefe? Bisher konnte mir dies keiner beantworten.

Franz-Karl



[1] http://www.lindnerfk.de/Russland/bild1.html
 
Altmerker Am: 21.07.2020 11:04:06 Gelesen: 3750# 11 @  
Philatelistisch kann ich da nichts beitragen. Aber inhaltlich schon. Ich habe miterlebt, dass das Kreutz-Haus im Pulvergarten, wie es später hieß, dicht gemacht wurde. Da gab es auch eine Blindendruckerei. Für mich als Vorsitzender der Internationalen Motivgruppe Papier&Druck im BDPh natürlich eine große Geschichte. Die Druckerei brauchte nicht den gesamten Platz und ein Beherbergungsbetrieb für „blinde Sommerfrischler“ konnte zusätzlich angeboten werden. Der Adressat: 1929 – 1930 Hauseltern: Fritz und Mina Riexinger aus Bückenbronn / Baden.

Gruß
Uwe
 
Franz-Karl Lindner Am: 21.07.2020 14:33:40 Gelesen: 3722# 12 @  
Tolle Querverbindung. Danke für die Infos.

Bleibt immer noch die Frage nach den Porti. Werde ggf. einmal die arge Russland Anschreiben. Vielleicht weiß man dort mehr.
 
Ameise Am: 20.02.2022 23:49:45 Gelesen: 2284# 13 @  
Hallo,

ich habe hier einen Brief aus Russland nach Sachsen von 1856. Das "R" ist ein Grenzübergangsstempel (lt. Feuser/Münzberg Nr. 513). Leider kann ich den Ortsnamen des russischen Stempels nicht lesen, da er doch zu schlecht abgeschlagen ist. Vielleicht kann ihn doch jemand lesen. Ich habe mal den Text mit der handschriftlichen Ortsangabe abgebildet. Eventuell ergibt sich aus den handschriftlichen Text der Ortsname.




Danke schon mal und viele Grüße
Enrico
 
volkimal Am: 21.02.2022 00:08:57 Gelesen: 2280# 14 @  
@ Ameise [#13]

Hallo Enrico,

der Stempel kommt aus Mitau = Митава. Der deutsche Name steht unten im Stempel.

Viele Grüße
Volkmar
 
Ameise Am: 21.02.2022 01:19:09 Gelesen: 2278# 15 @  
@ volkimal [#14]

Hallo Volkmar,

oh je. Ich habe wiedermal den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Peinlich.

War vollkommen auf die kyrillische Schrift fixiert.

Danke für den Hinweis.

Viele Grüße
Enrico
 
volkimal Am: 21.02.2022 10:21:32 Gelesen: 2256# 16 @  
@ Ameise [#15]

Hallo Enrico,

es ist kein Wunder, dass auf Kyrllisch fixiert warst. Russische Stempel sind normalerweise komplett in kyrillischer Schrift.

Es ist der erste zweisprachige Stempel Russisch/Deutsch den ich gesehen habe. Ein Russland-Spezialist kann vielleicht mehr dazu sagen.

Mitau kannte ich durch Zufall, da ich eine Karte aus Mitau dem Postgebiet Oberbefehlshaber Ost in meiner Sammlung habe [1].

Viele Grüße
Volkmar

[1] https://www.philaseiten.de/cgi-bin/index.pl?PR=78164.
 
jmh67 Am: 21.02.2022 12:01:27 Gelesen: 2243# 17 @  
@ volkimal [#16]

Bin zwar kein Spezialist, habe mich aber ein wenig belesen. Mitau war die Hauptstadt von Kurland, da sprachen damals vor allem die Adligen und viele Stadtbewohner deutsch (also die, die für das meiste Postaufkommen sorgten). Die baltischen Provinzen genossen bis in die 1880er eine gewisse Autonomie, wenn auch weniger als Finnland (von wo ja zwei- und dreisprachige Stempel bekannt sind), aber wohl genug, dass man ihnen die deutschen Ortsnamen in den Poststempeln gönnte.

-jmh
 
Michael D Am: 21.02.2022 13:01:27 Gelesen: 2238# 18 @  
@ jmh67 [#17]

Hallo zusammen,

bilinguale Stempel mit deutscher Inschrift gab es verschiedentlich im Baltikum, beginnend im frühen 19. Jahrhundert. Teilweise wurden solche Stempel bis in die 1850er Jahre benutzt.

Beispielhaft von diesen Orten (eine nicht unbedingt vollständige Auflistung): Arensburg, Bausk, Frauenburg, Fridrichstadt, Goldingen, Iakobstadt, Libau, Mitau, Riga, Schrunden, Tukkum, Windau

Auch die ersten Stabstempel von St. Petersburg waren nicht kyrillisch sondern französisch und einer auch in deutscher Schreibweise.

@ Ameise [#13]

Der rückseitige rote Gebührenstempel aus Sachsen ist da sehr schön abgeschlagen. Glückwunsch zu dem Stück.

Gruß
Michael
 
kauli Am: 21.02.2022 14:13:48 Gelesen: 2227# 19 @  
Hallo zusammen,

Der Thread kommt gerade zur richtigen Zeit. Auf der Karte die von Berlin nach Moskau an einen Artisten ging ist ein Zettel angebracht der wohl damit zu tun hat das der Empfänger abgereist ist. Ist aber schon alles was ich deuten kann. Ist da zu lesen wohin ? Zurück nach Berlin ist die Karte jedenfalls
gegangen.





Viele Grüße
Dieter