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Thema: Württemberg 70 Kr Marke: Die Suche nach der Wahrheit / Peter Feuser vs. BPP
Richard Am: 24.04.2022 09:05:34 Gelesen: 2550# 1 @  
Liebe Freunde der Württemberg-Philatelie,

wir werden ab heute mit Erlaubnis unseres Mitglieds, des Auktionators Peter Feuser [1] jeden Tag einen Beitrag zur Württembergischen 70 Kreuzer Marke veröffentlichen. Diese Beiträge sind erstveröffentlicht worden im Auktionskatalog der 96. Peter Feuser Auktion "Altdeutsche Staaten" am 7.5.2022 [1].

Sie dürfen sich gerne zu den Beiträgen äussern, vielleicht aber besser erst nach dem letzten Beitrag.

Grüsse aus dem Allgäu, Richard

[1] https://www.feuser-auktionen.de/auktion-1/
 
Richard Am: 24.04.2022 09:07:37 Gelesen: 2539# 2 @  
Errare humanum est, sed in errare perseverare diabolicum.
Irren ist menschlich, aber auf Irrtümern zu bestehen ist teuflisch.

Seneca, Epistolae morales


NACHSTEMPELUNGEN DER WÜRTTEMBERG 70 KREUZER IM ZUSAMMENHANG MIT DEN RESTBESTANDSVERKÄUFEN

von Peter Feuser AIJP, FRPSL

Meine Aussagen zur Problematik sind eine unmaßgebliche Meinungsäußerung. Sie enthalten neben Tatsachen auch durch Indizien unterlegte Vermutungen und Spekulationen. Es bleibt jedem unbenommen, anderer Meinung zu sein. Selbstverständlich akzeptiere ich konträre Meinungen, sofern sie sachgerecht mitgeteilt werden.

Dem Prüferverband bzw. der Verbandsprüfstelle liegt ein vielseitiger Schriftsatz von mir zum Thema vor. Die ursprüngliche Form dieses Artikels habe ich bereits im Frühjahr letzten Jahres auf meiner Homepage veröffentlicht. Die Gegendarstellung der Fachprüfer bzw. der BPP-Verbandsprüfstelle kann auf der Homepage des BPP bzw. auf meiner Homepage eingesehen werden.

Einführung und Außerkurssetzung der 70 Kreuzer-Marke.

Obwohl die Möglichkeiten von Barfrankaturen bestanden und diese sogar bei der Fahrpost vorgeschrieben waren, verfügte die württembergische Postverwaltung 1872 die Herausgabe einer Freimarke zu 70 Kreuzer (= 1 Gulden 10 Kreuzer oder umgerechnet rund 2 Mark) zum Zwecke der Frankierung von Auslandsbriefen mit hohen Portostufen. Diese kamen allerdings bereits zu dieser Zeit nur äußerst selten vor. Die Ausgabe der 70 Kreuzer Marken ausschließlich zum Zwecke der Frankierung von überschweren Auslandsbriefen war ein bürokratischer Irrtum und die Begründung für die Ausgabe der 70 Kreuzer-Marken zu diesem Zwecke in der Einführungsverordnung ist nicht nachvollziehbar. Viel wahrscheinlicher ist die Annahme, dass die Marke (analog zum Erscheinen der 1 und 2 Mark-Marken von Bayern) im Vorfeld der Frankierungsmöglichkeit von Fahrpostsendungen Anfang 1874 eingeführt wurde.

Der Anteil an Briefen, die eine Frankatur von 70 Kreuzer-Marken erforderlich gemacht hätte, muss bei einem Millionenaufkommen dieser Zeit an übrigen Briefen nahe Null gewesen sein.

Ein deutliches Indiz dafür ist die Tatsache, dass mit Erscheinen der Ziffernausgabe 1869 der bisher übliche Höchstwert von 18 Kreuzer auf 14 Kreuzer gesenkt wurde (bei der letzten badischen Ausgabe sogar auf 7 Kreuzer). Mir ist im übrigen kein Brief der Ziffernausgabe von 1869 bis 1873 bzw. bis 1876 bekannt, der eine Frankatur mit 70 Kreuzer-Marken erforderlich gemacht hätte. Wäre ein entsprechender Bedarf vorhanden gewesen, dann müssten doch wohl viele Dutzende derartiger Briefe der Ziffernausgabe im Handel nachweisbar sein. Die Briefe verblieben ja im Gegensatz zu den Paketkarten beim Empfänger, und um 1875 entwickelte sich das Briefmarkensammeln in den gutbürgerlichen Haushalten der Kulturstaaten zu einem weit verbreiteten Hobby. Es gab bereits Briefmarkenkataloge, Alben und Zeitschriften, Vereine und Verbände.



70 Kreuzer-Marken aus dem Bedarf

Die Marke wurde zunächst nur an den Briefpostschaltern der Postämter in Stuttgart, Ulm und Heilbronn vorgehalten. [1] Im Jahre 1873 kam nur Wildbad hinzu, offenbar vorsorglich für denkbare Korrespondenzen der zahlreichen ausländischen Kurgäste. Größere Postämter wie etwa Tübingen oder Ravensburg meldeten hingegen keinen Bedarf an. Die Annahme der Prüferseite, dass durch die prophylaktische Vorhaltung der 70 Kreuzer im Kurort Wildbad ein echter Bedarf für ihre Verwendung auf Briefpostbelegen darstellbar wäre, ist unsinnig.

Der Statistik zufolge wurden vom 1.1.1873 bis 30.6.1873 nur 471 Marken verbraucht, ab 1.7.1873 bis 30.6.1874 bereits 4.898 Stück und vom 1.7.1874 bis zur Außerkurssetzung der Marke am 30.6.1875 nochmals 13.750 Stück. Brühl/Thoma schätzen, dass bis zur Möglichkeit der Fahrpostfrankierung mit Freimarken nicht über 1.200 Exemplare der 70 Kreuzer verbraucht wurden, hochgerechnet bis 30.6.1875 wohl über 2.000 Stück für diesen Verwendungszweck. [2] Die Prüferseite ist der Meinung, dass diese Exemplare für überschwere Auslandsbriefe und nicht für die von mir angenommenen internen Verrechnungszwecke verwendet wurden.



Die für Nachstempelungen auf 70 Kreuzer-Marken verwendeten drei Briefpoststempel der Postämter Stuttgart I und IV sowie der Fahrpost-Fächerstempel des Postamtes Stuttgart IV

Normale Auslands- oder Chargébriefe mit der 70 Kreuzer-Marke sind bis jetzt keine bekannt geworden und auch nicht wahrscheinlich. Abgesehen vom minimalen Aufkommen an Auslandsbriefen, die einen Frankaturwert von über 70 Kreuzer erforderten, war das Verfahren zur Frankierung äußerst kompliziert. Es durften überhaupt nur Briefe mit 70 Kreuzer- Marken frankiert werden (zunächst durch Barfrankatur und anschließende Weiterleitung an die „Bearbeitungsstellen“ in den Postämtern Heilbronn, Stuttgart und Ulm), wenn der vorder- und rückseitige Platz nicht durch Aufkleben mit den kleineren Wertstufen der Ziffernausgabe bis 14 Kreuzer ausreichte. Lt. Postordnung von 1869 war die rückseitige Frankierung bei vorderseitiger Platznot ausdrücklich erlaubt. Es bestand die Möglichkeit von Bar- oder Teilbarfrankaturen, sehr schwere Briefsendungen mussten mit der Fahrpost befördert werden. Es gibt keinerlei Belegstücke (weder Briefstücke noch Briefe), dass 70 Kreuzer-Marken auf Briefen frankiert wurden. Ich selbst bin überzeugt davon, dass keine einzige 70 Kreuzer auf Belegen der Briefpost Verwendung fand.

Möglicherweise wurden die für 1873 genannte Anzahl der Marke zu Verrechnungszwecken im Bereich Telegrafie oder Zeitungsüberweisungen u. ä. verwendet, bis zum Ende der Gebrauchszeit hochgerechnet die oben genannten rund 2.000 Stück. Aufgabeformulare aus diesen Bereichen wurden grundsätzlich wegen des Postgeheimnisses nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen vernichtet (dies galt auch in Bayern und im Reich). Es sind nur ganz wenige frankierte Formulare oder Formularabschnitte erhalten geblieben. Sie dürften aus aufgelösten Akten stammen, in denen sie aufgrund von Kundenreklamationen o. ä. für Untersuchungszwecke aufbewahrt werden mussten. Auch wegen der ganz besonders hohen Sicherheitsmaßnahmen für die Innendienstmarken ist es äußerst unwahrscheinlich, dass ungebrauchte oder gebrauchte Exemplare aus dieser Periode in den Handel gelangt sind. Von Prüferseite wird die Verwendung der 70 Kreuzer für interne Verrechnungszwecke bestritten. Es heißt:

„Es gab konkreten Bedarf für diese Marken im Rahmen der Briefpost (höhergewichtige Auslandsbriefe), dies war im Übrigen der alleinige Grund, die Marke auszugeben. Leider ist keiner dieser Briefe erhalten geblieben. Dass die Marke für Verrechnungszwecke genutzt wurde, ist reine Spekulation und u. E. abwegig. Es gibt keine Verlautbarungen hierzu seitens der Postverwaltung.“



Typische Bedarfsstücke der 70 Kreuzer mit zeitgerechten Entwertungen

Die genannten hochgerechnet ca. 2.000 Exemplare müssten allesamt auf überschweren Auslandsbriefen Verwendung gefunden haben. Dies ist selbstverständlich völlig absurd, wenn in fast 150 Jahren weder ein Brief noch ein Briefstückchen mit einer 70 Kreuzer-Marke aufgetaucht ist. Meine Annahme, dass die Marke auch für Verrechnungszwecke verwendet worden ist, hat Hand und Fuß. Die Verwendung von Freimarken für Verrechnungszwecke wird dokumentiert durch einen zufällig erhaltenen Formularabschnitt mit einem Sechserblock der 9 Kreuzer Ziffernausgabe mit einem Ovalstempel der Stuttgarter Zeitungsexpedition (vgl. 3. Trost-Auktion, Los 919), der von einem aktuellen Attest Heinrich begleitet wird.

Die Prüferseite sollte ihre Meinung, dass die Verwendung von Freimarken (inclusive der 70 Kreuzer) für Verrechnungszwecke „abwegig“ ist, überdenken. Für diese Zwecke wurden auch sehr hohe Beträge mit Briefmarken verrechnet, das belegen ähnliche Verwendungen bei Thurn & Taxis, in Bayern und im Reich auch zeitgleich zur Verwendung der 70 Kreuzer-Marken. Die Höchstwerte der 1870 in Bayern erschienenen Telegrafenmarken betragen 4 und 23 Gulden! Es ist nur verständlich, dass aufgrund der Vernichtungsvorschriften für derartige Formulare nur ganz wenige Belegstücke erhalten geblieben sind. Hingegen müssten von den angeblich zahlreichen Briefpostverwendungen der 70 Kreuzer zumindest dutzende Briefe oder Briefstücke erhalten geblieben sein, da die Briefe ja im Gegensatz zu den Innendienstformularen die Empfänger erreicht haben und dort verblieben. Zum Vergleich: Von der in vielfacher Millionenauflage erschienenen Massenmarke Baden Nr. 18 wurde, dies etliche Jahre vorher, in Stockach ein ungezähnter Bogen von 100 Stück verausgabt (Mi. 18U). Von der unscheinbaren und von Sammlern meist unbeachteten Marke sind 22 ungezähnte Exemplare im Handel nachzuweisen!

Verlautbarungen der Postverwaltungen zu dienstbezogenen Vorgängen konnten öffentlich, intern oder auch überhaupt nicht erfolgen. Keinesfalls sind aufgrund des Fehlens amtlicher Erlasse oder Dienstvorschriften berechtigte Zweifel an meinen Ausführungen erlaubt.

Forennutzer Jürgen Herbst schreibt bei anderer Gelegenheit im stampsX-Forum am 22.2.2009:

Die philatelistische Forschung (wenn man die postgeschichtliche Erkenntnissuche so nennen will) wäre längst am Ziel angekommen, wenn sich alles mit Dienstvorschriften, Verträgen und sonstigen Dokumenten erschließen und beweisen ließe. In den meisten Fällen ist man dagegen auf empirisch/statistische Untersuchungen angewiesen. Sie haben den Nachteil, Ergebnisse lediglich mehr oder weniger wahrscheinlich, aber nicht im wissenschaftlichen Sinne sicher zu machen.

Ab 1.2.1874 konnten bzw. sollten Fahrpostsendungen (Paketkarten, Wertbriefe, Nachnahmen, überschwere Drucksachen usw.) mit Marken frankiert werden. Dadurch erklärt sich die bedeutende Steigerung der verbrauchten 70 Kreuzer-Marken in den Jahren 1874 und 1875.

Nach jetzigem Erkenntnisstand wurden die Marken ab dem 1.2.1874 ausschließlich auf Paketkarten verwendet, andere Fahrpostverwendungen sind wohl nur theoretisch möglich. Die bekannten Wertbriefe mit 70 Kreuzer haben sich als Fälschungen herausgestellt.

Hierzu schreiben die Fachprüfer:

Es gab stets konkreten Bedarf für diese Marke im Rahmen der Briefpost (höhergewichtige Auslandsbriefe). Eine Verwendung ausschließlich bei der Fahrpost zu unterstellen, ist falsch.

Die These von Peter Feuser, dass 70 Kr. nur auf Paketkarten echt und zeitgerecht entwertet vorkommen können, ist eine Fehleinschätzung mit gravierenden Folgen. Daraus erwachsen letztlich weitere Fehlannahmen und Theorien.


Auch die vielfache Wiederholung dieser irrigen Ansicht hilft uns nicht weiter. Es gibt keinerlei Belege für die Verwendung der Marke bei der Briefpost. Die Voraussetzungen, die eine Briefpostverwendung der 70 Kreuzer ermöglicht hätten, sind nicht gegeben oder allenfalls theoretischer Natur. Auch der Abstempelungscharakter (Gefälligkeit) der mit Stuttgarter Briefpoststempeln nachentwerteten 70 Kreuzer-Marken lässt den eindeutigen Schluss zu, dass diese Marken niemals auf Bedarfsbriefen verwendet wurden.

Die amtliche Zusammenstellung der Gebrauchsorte der 70 Kreuzer dürfte fehlerhaft sein. So sind für Stuttgart nur die Postämter I und II angegeben und auch sehr unbedeutende Postämter wie Langenargen oder Obermarchthal. Bedeutende Mittelzentren wie Künzelsau, Aalen oder Nagold fehlen. Auch den Postämtern Stuttgart III und IV wurden 70 Kreuzer Marken zugeteilt, wie eindeutige Bedarfsverwendungen belegen. [3]

[1] Köhler/Sieger, Die Briefmarken von Württemberg 1851–1881, Lorch, 1940: S. 112 ff.
[2] Köhler/Sieger, S. 117
[3] Köhler/Sieger, Aufstellung der Gebrauchorte auf S. 17
 
Richard Am: 25.04.2022 15:04:07 Gelesen: 2333# 3 @  
Verkäufe der Restbestände der 70 Kreuzer-Marken.

Aufgrund vieler Anfragen von Sammlern und Händlern wurden die Restbestände der Marke zum Nennwert von 2 Mark zunächst ab ca. 1876 am Postamt Stuttgart I an vermutlich zwei Schaltern (dabei am Schalter für Chargé- bzw. Recobriefe) und anschließend ab ca. 1880 an einem speziell eingerichteten „Sammlerschalter“ am Postamt Stuttgart IV verkauft. An diesem Sammlerschalter wurde keine normale Post abgefertigt.

Hierzu heißt es in der Stellungnahme der Prüfer:

„Im Postamt I gab es keine Sammlerschalter. Diese entspringen der Phantasie des Verfassers, um später seine Theorien über angebliche Gefälligkeitsabstempelungen zu rechtfertigen. Den Sammlerschalter im Postamt IV soll es laut Handbuch von Köhler/Sieger (1940) gegeben haben.

Eine amtliche Verlautbarung zu Sammlerschaltern oder zu der Genehmigung von Gefälligkeitsabstempelungen gibt es nicht. Alle Aussagen hierzu seitens Peter Feuser, auch zu den Jahreszahlen, sind reine Spekulation und u.E. nicht haltbar.“


Niemand hat behauptet, dass es im Postamt I „Sammlerschalter“ gegeben hätte. Die 70 Kreuzer-Marken wurden an Schaltern mit regulärem Postbetrieb mitverkauft, im Gegensatz zum erst ab ca. 1880 eingerichteten Sammlerschalter im Postamt IV.

Sowohl der Verkauf von 70 Kreuzer-Marken im Postamt I als auch am Sammlerschalter im Postamt IV muss als Realität angesehen werden. Das belegen die große Anzahl eindeutiger Nachstempelungen mit Briefpoststempeln dieser Postämter im Zusammenhang mit den Restbestandsverkäufen der 70 Kreuzer ab ca. 1876. Meine Aussagen werden durch zahlreiche weitere beweiskräftige Indizien unterfüttert. Das Fehlen amtlicher Verlautbarungen zu den Sammlerschaltern erlaubt keine berechtigten Zweifel an meinen Aussagen. Alle Akten zu den Umständen der Restbestandsverkäufe der 70 Kreuzer wurden vernichtet und man ist auf Spekulationen angewiesen.



Nachgestempelte Marken mit unmöglichen Daten, Verwendungsorten oder Stempelfarben, Stempelfälschungen (Gemälde)



Nachgestempelte 70 Kreuzer-Marken mit dem Einkreisstempel des Postamtes Stuttgart I



Selbst nach unermüdlicher Suche ist es mir nicht gelungen, eine Briefpost-Frankatur der Ziffernausgabe (ca. 1869–1876) zu finden, auf die die Voraussetzungen für eine Verwendung der 70 Kreuzer-Marke ab 1873 zutreffen könnten. Derartige Frankaturen müsste es aber nach Ansicht der Kreuzerzeitprüfer vielfach geben.

Zur Demonstration sehen Sie oben einen päckchenartigen bayerischen Chargébrief der 6. Gewichtsstufe vom 26.9.1871 mit Gerichtsakten nach Texas/USA mit noch teilweiser vorhandener Frankatur, die vollständig 66 Kreuzer Franco und 7 Kreuzer Einschreibegebühr erfordert hätte, also 73 Kreuzer (vgl. DBZ 4/2022, S. 24). Die Portostufen der süddeutschen Gebiete ins Ausland waren weitgehend gleich. Noch schwerere Briefe sollten mit der Fahrpost befördert werden. Es bestand auch die Möglichkeit der Bar- oder Teilbarfrankatur (vgl. Los 1874A der 96. Feuser-Auktion vom 7.5.2022).

Der Brief zeigt die naturgemäß deutlichen Spuren der vielfachen Umladung auf dem wochenlangen Transport nach Amerika. Die allen Ernstes von den Kreuzerzeitprüfern vielfach in ihrer Gegendarstellung zu meinem Artikel vorgetragene Behauptung, dass sich praktisch alle mit Stuttgarter Briefpoststempeln entwerteten 70 Kreuzer-Marken mit ihrem weit überwiegendem Gefälligkeitscharakter auf überschweren Auslandsbriefen befunden haben müssen, ist aus der Luft gegriffen. Es ist unbegreiflich, dass nicht nur der BPP, sondern auch der Vorstand und der Fachbereich Kreuzerzeit der ArGe Württemberg diese völlig absurde Ansicht teilen.

Wäre ein Bedarf für die Verwendung der 70 Kreuzer bei der Briefpost vorhanden gewesen, dann müssten auch Exemplare mit zeitgerechten Briefpoststempeln aus 1873 und Januar 1874 der Postämter Heilbronn, Stuttgart II und Ulm existieren. Dies ist nicht der Fall.


Wegen des verstärkten Wunsches der Sammler- und Händlerschaft nach gestempelten Exemplaren erklärte sich die Postverwaltung beim Kauf der Marken zu nachträglichen Gefälligkeitsabstempelungen bereit. [4] Hierzu wurden beim Postamt Stuttgart I ein kleiner Einkreisstempel und ein kleiner Datumsbrückenstempel verwendet. Im Zusammenhang mit der Errichtung des Sammlerschalters (wohl Ende 1879/Anfang 1880) wurden die beiden beim Postamt IV bis dahin in Gebrauch befindlichen Stempel (ein großer Datumsbrückenstempel der Briefpost und ein Fächerstempel der Fahrpost) eigens für den Gebrauch beim Sammlerschalter ausgesondert. [5] Die Gefälligkeitsabstempelungen im Postamt IV werden durch Köhler-Sieger bestätigt. Alle Einzelheiten hierzu wird Karl Köhler durch die Befragung von Zeitzeugen erfahren haben. [6]

Die Prüferseite moniert, dass der obige Absatz frei erfunden und kein einziger Punkt belegbar ist oder anhand der überlieferten gestempelten Marken nachvollzogen werden kann. Diese Kritik ist nicht haltbar. Alle meine Aussagen werden durch deutliche und leicht nachvollziehbare Indizien unterlegt. Die ganz überwiegend in einheitlicher Gefälligkeitsstempelqualität mit den genannten Briefpoststempeln vorliegenden 70 Kreuzer können niemals bedarfs- und zeitgerecht bei der Briefpost verwendet worden sein. Briefpoststempel sind bei der Aufgabe von Paketkarten nicht möglich. Gefälligkeitsabstempelungen während der Kurszeit wegen des Verkaufverbotes der 70 Kreuzer ebenfalls nicht. An anderer Stelle wird im Einzelnen darauf eingegangen.

Die Prüferseite verfällt in ihrer Gegendarstellung regelmäßig in unsubstantiiertes Bestreiten, ohne für ihre Position eigene Beweise oder auch nur handfeste Indizien vorzutragen. Aussagen wie „Im Stuttgarter Postamt I wurde kein Stempel für Nachstempelungen benutzt“ sind schon deswegen irrelevant, weil eine Behauptung, dass etwas nicht existiert bzw. stattgefunden hat, töricht ist. Man kann nicht beweisen, dass es etwas nicht gibt, weil in diesen Fällen keinerlei Spuren hinterlassen werden. In unserem Fall gibt es im Gegenteil aber eine Vielzahl Parameter bzw. Anhaltspunkte, die eindeutig für den Verkauf der 70 Kreuzer-Marken an mindestens zwei Schaltern im Postamt I ab 1876 sprechen.

Nach Außerkurssetzung bis zum Ende der Verkaufszeit Mitte 1889 wurden Karl Köhler zufolge 2.850 Exemplare der 70 Kreuzer an Liebhaber verkauft. Ich schätze, dass mindestens 20 bis 30 % davon, also rund 600 bis 900 Exemplare, nachträglich mit Gefälligkeitsstempeln versehen wurden, wohl ganz überwiegend im Zusammenhang mit dem Kauf der Marken an den beiden genannten Stuttgarter Postämtern. Der größere Teil der nachgestempelten Exemplare dürfte sich noch im Handel und bei Sammlern befinden. Nachstempelungen anderer Orte kommen ebenfalls vor, beispielsweise von Ulm, Beimerstetten, Gmünd oder den anderen Stuttgarter Postämtern. Der Anteil der Nachstempelungen anderer Postämter als Stuttgart I und IV dürfte nur rund 10 % betragen. Diese werden in aller Regel von den zuständigen BPP-Verbandsprüfern nicht als zeitgerechte Entwertungen anerkannt.

Hierzu schreiben die Fachprüfer:

Wir schätzen, dass etwa 50 bis 100 Marken der am Sammlerschalter Postamt IV verkauften Marken mit Gefälligkeitsstempeln von verschiedenen württembergischen Orten versehen wurden. Nachweisbare Nachstempelungen von 70 Kr. kommen selten vor.

***


Bereits in der Kreuzerzeit wurden regelmäßig verschlissene und repaturbedürftige Stempel zur Überholung an die vorgesetzten Oberpostämter oder an die Oberpostdirektion in Stuttgart gesandt. Bis zur Einführung der Wanderstempel übernahmen meist vorhandene Fahrpoststempel (oft frühere Briefpost-Zweizeiler) den kurzzeitigen Ersatz bis zur Rückkehr der reparierten Stempel. Im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Reparatur des grünen Datumsbrückenstempels des Postamtes IV wird diese hundertfach paktizierte Praxis von den Kreuzerzeitprüfern angezweifelt bzw. bestritten.

Nur zur Demonstration des Verfahrens hier zwei Seiten aus dem Einlieferungsbuch eines Selbstbuchers aus dem bayerischen Neuenmarkt. Vor dem 20.3.1898 lieferte der Briefpost K1 des Postamtes nur noch schlechte Abschläge und der Datumseinsatz war oft nicht mehr korrekt zu lesen. Am 21.3. wurde der Stempel dann zur Reparatur an die OPD Bamberg gesandt, die bis zum 25.4.1898 dauerte. Für die Zwischenzeit wurde dem Postamt der in Bayern übliche Wanderstempel zur Verfügung gestellt. Ab dem 16.4.1898 lieferte dann der K1 wieder ordentliche Abschläge. Das gleiche Verfahren wurde auch in Württemberg praktiziert.


****

Mit dieser Aussage stellen die Prüfer fest, dass im Zusammenhang mit den Restbestandsverkäufen der 70 Kreuzer-Marken überhaupt keine Nachstempelungen stattgefunden haben (einige wenige 70 Kreuzer mit schwarzem DB STUTTGART IV dürften nach Abverkauf der Restbestände gestempelt worden sein). Das bedeutet: Praktisch alle nachträglich erfolgten Abstempelungen mit den Briefpoststempeln der Stuttgarter Postämter I und IV werden in Attesten und Befunden fälschlicherweise als zeitgerecht kategorisiert. Nur wegen dieser grotesken Fehleinschätzung kommen nachweisbare Nachstempelungen selten vor.“[&i] Die Aussage steht auch in krassem Widerspruch zu den Literatur- und Katalogaussagen. Im MICHEL heißt es beispielsweise: Nachträgliche Gefälligkeitsabstempelungen mit echten Poststempeln kommen nicht selten vor.“

Weiter heißt es in der Stellungnahme der Verbandsprüfstelle zu der von mir geschätzten Anzahl von ca. 600 bis 900 im Zusammenhang mit den Restbestandverkäufen nachgestempelten Exemplaren:

„Bei einer überhaupt nur registrierten Menge von gut 1.000 Exemplaren der Mi. Nr. 42 legt dies nahe, dass nur 100 bis 400 Exemplare davon echt und zeitgerecht entwertet sein können, da die nachgestempelten Stücke den Hauptteil im heutigen Handel ausmachen sollen. Wenn der größte Teil davon, nämlich über (registrierte) 500 Werte, jedoch nicht einmal die inkriminierten Stuttgarter Stempel zeigen und weitere gut 400 Exemplare bei der Stuttgarter Fahrpost verwendet wurden, wird offensichtlich, dass Ihre Schätzungen erheblich (!) übertrieben sind.


Diese Aussagen sind unlogisch. Meine Schätzungen über die Anzahl der nachgestempelten Exemplare beziehen sich auf die ursprüngliche vorhandene Menge und dürften zutreffen. Verbraucht wurden nachweisbar 19.119 Exemplare der 70 Kreuzer. Wenn überhaupt, können davon nur ganz wenige Exemplare für die ursprünglich vorgesehene Verwendung auf Auslandsbriefen gebraucht worden sein. Abziehen muss man die geschätzt ca. 2.000 Exemplare für die Innendienst-Verrechnungen. Bleiben rund 17.000 Marken, die auf Paketkarten verbraucht wurden. Für die Verwendung auf anderen Fahrpostbelegen gibt es keine Anhaltspunkte.

Von den auf Inlandspaketkarten verwendeten Exemplaren dürfte ursprünglich ein bedeutender Teil erhalten geblieben sein. Die Marken der Paketkarten (auch von Telegrammformularen) wurden nicht nur ausgeschnitten, sondern auch abgewaschen, gebündelt bzw. eingetütet und anschließend verkauft. Nach meinen Informationen geschah dies in Strafanstalten, in unserem Fall wohl in Hohenasperg. Auch ein Teil der Auslandspaketkarten könnte auf diese Art behandelt worden sein.

Eine Nachfrage bei der Verbandsprüfstelle ergab, dass sich die genannte registrierte Anzahl von gut 1.000 gestempelter 70 Kreuzer-Marken nur auf die den Prüfern tatsächlich zur Prüfung vorgelegten Marken bezog. Diese bei einem Verbrauch von über 19.000 Exemplaren natürlich viel zu geringe Anzahl muss selbstverständlich hochgerechnet werden. Es ist unsinnig, sie als Grundlage für die weiteren Berechnungen der Verbandsprüfstelle heranzuziehen.

Die Kategorisierung als „echt und zeitgerecht verwendet“ in Befunden und Attesten ist also ein Unding, weil die nachträglich gestempelten und im Falle der Datumsbrückenstempel rückdatierten Exemplare der 70 Kreuzer nach den Normen des BPP als falsche Entwertungen angesehen werden müssen. Der Handelswert dieser Marken beläuft sich nur auf einen Bruchteil der bedarfs- und zeitgerecht verwendeten Exemplare oder sie müssen als nahezu wertlos angesehen werden. Frühere Literaturangaben, nach denen sich der Wert der nachgestempelten Exemplare etwa 10 % über dem Handelswert ungebrauchter 70 Kreuzer-Marken bewegen sollte, dürften nicht mehr zeitgemäß sein. Käufer dieser Marken laufen trotz der auf „zeitgerecht gebraucht“ lautenden Atteste Gefahr, einen erheblichen Vermögensverlust zu erleiden.


[4] Wegen der Aufbewahrungsfristen der Paketkarten und der Zeit, die für die Ablösung und den Vertrieb der von den Paketkarten abgelösten Marken gebraucht wurde, dürften vor 1878 keine bedarfsmäßig gebrauchten Exemplare der 70 Kreuzer in den Handel gelangt sein.

[5] Verwendungszeiten siehe Winkler/Klinkhammer, Postalische Stempel Württembergs 1875–1925, S. 465/466

[6] Köhler/Sieger, S. 117/118.
 
Richard Am: 26.04.2022 12:06:30 Gelesen: 2096# 4 @  
Stuttgarter Briefpoststempel auf 70 Kreuzer-Marken

Wenn die 70 Kreuzer-Marken ab 1.2.1874 ausschließlich auf Paketkarten verwendet wurden, was ja festzustehen scheint, dann ist eine Entwertung mit den drei Briefpoststempeln der Postämter Stuttgart I und IV als Aufgabestempel auf Paketkarten technisch ausgeschlossen. Es war unmöglich, an einem Briefpostschalter der großen Stuttgarter Postämter ein Paket aufzugeben. Die Schalter verfügten weder über die entsprechenden Fahrpostmanuale noch über Fahrpostlabels und -Einlieferungsscheine. Es waren keine Waagen für die schweren Pakete vorhanden und wohl auch kein geschultes Personal für die Errechnung der oft komplizierten Taxen. Natürlich dürften auch keine 70 Kreuzer-Marken und Paketkarten verfügbar gewesen sein.

Hierzu der übliche Kommentar der Fachprüfer:

„Dies ist eine gravierende Fehleinschätzung, 70 Kr.-Marken wurden stets auch für die Briefpost verwendet.“

In den großen Stadtpostämtern waren die Briefpost- und Fahrpostannahme räumlich stark getrennt. Es wäre undenkbar, täglich einige hundert oder gar tausend Paketsendungen in den Schalterräumen der Briefpost aufzugeben. Dafür gab es die sog. Packkammern mit „Wagenhöfen“. Alte Lithografien und Stahlstiche zeigen ein Mordsgewusel aus Pferdefuhrwerken, Leuten mit Handkarren voller verschnürter und versiegelter Pakete und zahlreichen Postbediensteten. Die „Schalter“ bestanden aus Pulten und Tischen, an denen Postbeamte die Sendungen bearbeiteten.

Die Fachprüfer irren erneut:

„Höhergewichtige Auslandsbriefe wurden am Briefpostschalter aufgegeben, mit 70-Kr.-Marken versehen und mit Stempeln der Briefpost entwertet.“

Brief- und Fahrpost hatten unter diesen Umständen natürlich verschiedene Stempel, im Gegensatz zu kleinen Postämtern. Diese nahmen Brief- und Fahrpostgegenstände in aller Regel an einem gemeinsamen Schalter an und benötigten deshalb auch keine gesonderten Fahrpoststempel. Mittelgroße Postämter benutzten an verschiedenen Schaltern in gleichen oder naheliegenden Räumen verschiedene Stempel, die bei Bedarf im Gegensatz zu den großen Postämtern leicht getauscht werden konnten. Als Beispiel nenne ich die vorphilatelistischen Zweizeiler, die nach ihrer Aussonderung bei der Briefpost als Fahrpoststempel mit einer gewissen Regelmäßigkeit aushilfsweise wieder bei der Briefpost eingesetzt wurden, in aller Regel mit einer Funktion der später eingeführten Wanderstempel. Derartige Aushilfsverwendungen bei den großen Postämtern sind mir nicht bekannt. Sie hatten genügend Briefpost-Reservestempel.

Es gibt keine Belege dafür, dass die Stuttgarter Briefpoststempel als Aufgabestempel auf Paketkarten Verwendung gefunden hätten. Dies betrifft nicht nur die Kreuzerzeit, sondern nach meinen Beobachtungen auch die anschließende Pfennigzeit bis mindestens etwa 1880. Einige wenige bekannte Fahrpostverwendungen sind sogenannte Postwechselbriefe. Hier wurden Nachnahmebriefe u. ä. versehentlich am Briefpostschalter angenommen, gestempelt und anschließend an die Fahrpost weitergeleitet oder umgekehrt normale Briefe oder Postkarten versehentlich am Fahrpostschalter abgefertigt. Die Prüferseite schließt aufgrund dieser Postwechselbriefe auf eine gelegentliche Verwendung des Briefpoststempels am Fahrpostschalter. Das ist natürlich völlig unrealistisch.



Eine wohl einmalige Zufallsentwertung aus der Boker-Sammlung: Versehentlich blieb der Sechserblock bei der Fahrpostaufgabe ungestempelt und wurde erst beim Übergang der Paketkarte auf die Briefpost mit dem Einkreisstempel STUTTGART des Postamts I nachentwertet. Rein theoretisch ist eine derartige Nachentwertung auch auf 70 Kreuzer-Marken möglich, aber denkbar unwahrscheinlich: Für die Innendienstmarke galten strenge Sicherheitsvorschriften und die Entwertung gleich bei der Aufgabe war in der Einführungsverfügung der 70 Kreuzer ausdrücklich vorgeschrieben.[i]



[i]Auch dieser Sechserblock mit dem Ovalstempel der Zeitungsexpedition des Postamts Stuttgart I dürfte einmalig sein. Die „frankierten“ Innendienstformulare mussten genau so wie die Aufgabe-Telegrammformulare nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen vernichtet werden. Diese Vorschrift bestand auch in Bayern und im Reich. Es sind nur ganz wenige komplette Formulare oder Teile davon erhalten geblieben. Es erschließt sich mir nicht, warum die Prüferseite eine Innendienstverwendung der 70 Kreuzer-Marken für Verrechnungszwecke auf Zeitungsüberweisungen und Telegrammformularen für abwegig erklärt.




Ein Postwechselbrief mit dem grünen Datumsstempel des Postamtes Stuttgart IV. Der Brief wurde versehentlich am Briefpostschalter abgegeben, dort gestempelt und an die Fahrpost weitergeleitet.



Hier das Gegenstück: Ein Chargébrief wurde irrtümlich, vermutlich mit aufzugebenden Wertbriefen, am Fahrpostschalter abgegeben und mit dem Fahrpost-Fächerstempel des Postamtes Stuttgart II versehen, dann aber korrekt zur Briefpost weitergeleitet (K1 STUTTGART II. und L1 CHARGÉ). Dort wurde die Manualnummer „5145“ angebracht.

Gefälligkeitsentwertungen der 70 Kreuzer während ihrer Kurszeit können ausgeschlossen werden. Die Marke durfte nicht an das Publikum abgegeben werden. [7] Ihr Verbrauch wurde streng protokolliert. Verstöße gegen das Abgabeverbot hätten drakonische Disziplinarstrafen nach sich gezogen. Es ist auch nicht bekannt geworden, dass Postbeamte 70 Kreuzer-Marken unterschlagen und zweckentfremdet hätten. Dies geschah allerdings einige Jahre später: Ein Postbeamter hatte einige Innendienstmarken 2 Mark gelb unzulässigerweise an einen Interessenten veräußert. Ein enormer Wirbel war die Folge und führte zur Außerkurssetzung der Marke und ihrem Ersatz durch die 2 Mark rot, mit dem rückseitigen Aufdruck „Unverkäuflich“. [8]

Das Stuttgarter Postamt I benutzte ihren Briefpost-Einkreisstempel STUTTGART gelegentlich als Transitstempel auf Paketkarten, Nachnahmebriefen usw. beim Übergang der entsprechenden Belege von der Fahrpost auf die Briefpost. Paketkarten wurden getrennt von der eigentlichen Sendung mit der Briefpost befördert und am Empfangspostamt wieder zusammengeführt. Es ist theoretisch möglich, dass etwa auf Paketkarten aus vorderseitigem Platzmangel rückseitig geklebte 70 Kreuzer-Marken bei der Aufgabe versehentlich nicht gestempelt, mit dem Briefpoststempel nachentwertet wurden und somit als zeitgerecht entwertet zu gelten haben. Diese Annahme ist aber abenteuerlich angesichts der besonders strengen Sorgfaltspflichen bei den Innendienstmarken und der großen Anzahl an Entwertungen mit diesem Stempel. In der Einführungsverordnung zur 70 Kreuzer wurde die sofortige Entwertung der Marke bei der Aufgabe ausdrücklich angeordnet. [9] Verstöße dagegen hätten unweigerlich disziplinarische Maßnahmen nach sich gezogen.

Nachstempelungen der 70 Kreuzer beim Postamt Stuttgart I.

Die Nachfrage von Sammlern und Händlern nach der 70 Kreuzer-Marke war nach deren Außerkurssetzung am 30.6.1875 wohl groß. Schließlich war es aufgrund des Verkaufsverbotes nicht möglich gewesen, ein Exemplar während der Kurszeit zu erwerben.

Die Postverwaltung entschloss sich, die vorhandenen Restbestände zum Nennwert von umgerechnet 2 Mark an Interessenten abzugeben. Der Verkauf der noch vorhandenen rund 2.850 Exemplare zog sich -aus heutiger Sicht kaum vorstellbar- bis Mitte 1889 hin, erst dann war alles restlos verkauft. Insgesamt erlöste die Postverwaltung nach Angaben von Karl Köhler 10.538 Mark durch den Verkauf ungültig gewordener Marken. Neben der 70 Kreuzer wurde der Haupterlös wohl durch den Verkauf einer weiteren Innendienstmarke erzielt, der 2 Mark gelb (Michel-Nr. 50). [10]



Der Eduard Hallberger-Verlag (ab 1881 Deutsche Verlagsanstalt/DVA) war einer der bedeutendsten Buch- und Zeitschriftenverlage der damaligen Zeit und ist es bis heute. Bekannt wurde er besonders durch die seinerzeit auflagenstärkste Illustrierte „Über Land und Meer“. 1873 führte man Buch- und Zeitschriftenabteilung in einem neuen großen Gebäude in der Neckarstraße 121 zusammen. Wegen des enormen Paketaufkommens des Verlages eröffnete die Postverwaltung im gleichen Gebäudekomplex am 15.12.1873 das Postamt Stuttgart IV.

Obere zwei Reklamekarten des Hallberger-Verlages nach Frankfurt a.M. und Luxemburg (ex Trost). Die untere sehr seltene „Postwechselkarte“ ist versehentlich am Fahrpostschalter aufgegeben worden und wurde auch dort abgestempelt.


Die Verbandsprüfstelle schreibt hierzu:

„Bei einer Menge von 2.850 Werten UND 2 Mark-Werten (wobei der Anteil der Mi. Nr. 52 an dieser Aufstellung zwar nicht geklärt ist, anhand der registrierten Mengen an ungebrauchten Werten aber eher gering sein dürfte), die über einen fast 14 Jahre währenden Zeitraum verkauft wurden, ging statistisch etwa jeden zweiten Tag eine Marke über den Schalter.“

Und die Fachprüfer zu dem Verkauf von Restbeständen der 2 Mark gelb (Mi. Nr. 50).

Falsch. Die Restbestände der Mi. Nr. 50 wurden verbrannt und nicht verkauft.

Verbandsprüfstelle und Fachprüfer widersprechen sich also selbst mit jeweils unzutreffenden Angaben auf peinliche Weise. Die von Karl Köhler genannte Menge von 2.850 Restbestandsexemplaren bezog sich ausdrücklich nur auf die 70 Kreuzer.

Er schreibt:

Ich habe Grund zu der Annahme, daß insgesamt 22.000 Marken zu 70 Kreuzer hergestellt worden sind. Unter dieser Voraussetzung würde sich nach Abzug der im Jahre 1872 an vier fremde Postverwaltungen und an die württ. Postsammlung abgegebenen 30 Stück und der nachweisbar verbrauchten 19.119 Exemplare ein Restbestand von rund 2.850 Stück im Werte von etwa 5.700,- Mark ergeben. [11]

Die Prüferseite hat kritiklos alte Literaturangaben übernommen, dass alle Restbestände der 2 Mark gelb vernichtet wurden. Sollte dies zutreffend sein, wäre die Mi. Nr. 50 die wohl mit Abstand seltenste ungebrauchte Marke aller Altdeutschen Staaten, da ein Verkauf während der Kurszeit nicht möglich war und lediglich einige wenige (lt. Köhler/Sieger „vereinzelte“) durch Postbeamte veruntreute Exemplare im Handel sein könnten. Die Marke ist aber keinesfalls übermäßig selten und kann dutzendfach jährlich, bei einem Katalogwert von 750 Euro, zu einem Preis von ca. 200 Euro auf Auktionen erworben werden. Im Handel befinden sich postfrische Exemplare und ungebrauchte Einheiten. Die im Handel zirkulierenden ungebrauchten Exemplare müssen also zum weit überwiegenden Teil aus den Restbestandsverkäufen vom Sammlerschalter des Postamtes IV. stammen. Auch meine im übrigen genannten Vermutungen dürften zutreffen.

Die Postverwaltung genehmigte offenbar bereitwillig die Gefälligkeitsabstempelung von verkauften 70 Kreuzer. Die Marken hatten ja keine Gültigkeit und die Poststempel damit keinen urkundlichen Charakter mehr. Es wurden scheinbar auch Sonderwünsche erfüllt, wie beispielsweise wappenfreie Abstempelungen u.ä.

Beim Postamt I wurden die 70 Kreuzer-Marken an offenbar zwei Schaltern verkauft. An dem einen bediente man sich für die nachträglichen Abstempelungen des Einkreisstempels STUTTGART, am Schalter für Reco- und Expressbriefe wurde mit dem kleinen Datumsbrücken-K2 STUTTGART POSTAMT I. gestempelt. Der Verkauf der Marken erfolgte während des normalen Betriebes, beide Stempel sind auch für die Abfertigung von normaler Post bis Mitte 1878 bzw. Mitte 1882 belegt. [12]

Hier das übliche Statement der Prüferseite dazu:

Alles frei erfunden. Es gibt keinerlei Verlautbarungen der Post hierzu. Die angeblichen Gefälligkeitsentwertungen des Postamtes I sind bedarfs- und zeitgerechte Briefpostentwertungen.

Meine Aussagen sind keineswegs frei erfunden, sondern sie werden durch zahlreiche eindeutige Indizien unterfüttert und glaubhaft gemacht. Keinesfalls kann es sich um „bedarfs- und zeitgerechte Briepfpostentwertungen“ handeln.


[7] In der Verfügung zur Einführung der Marke am 24.12.1872 heißt es: „Sie darf bei Vermeidung strenger Ahndung nicht zum Verkauf an das Publikum gebracht werden.“ (vgl. Köhler/Sieger, S. 114)

[8] Köhler/Sieger, S. 127: „Entgegen der ausdrücklichen Bestimmung der Postdirektion und dem wiederholten Hinweise darauf, daß die Freimarken zu 2 Mark nicht an das Publikum verkauft und von diesem zur Freimachung von Postsendungen verwendet werden dürfen, ist der Fall der Abgabe an Privatpersonen doch eingetreten. Mit den weiterhin noch aufgeführten Vorkommnissen war dies Geschehnis die Veranlassung, die gelben Marken durch solche in einer anderen Farbe und nicht mehr auf weißem Papier gedruckte zu ersetzen.“ Es folgt ein entsprechender Erlass der Postverwaltung.

[9] Köhler/Sieger, S. 114

[10] Köhler/Sieger, S. 128

[11] Köhler/Sieger, S. 129

[12] Winkler/Klinkhammer, S. 398, 404
 
Richard Am: 27.04.2022 09:07:12 Gelesen: 1928# 5 @  
Der Einkreisstempel STUTTGART des Postamtes I

Der Einkreisstempel wurde für Nachstempelungen auf 70 Kreuzer-Marken von ca. 1876 bis 1878 in vermutlich dreistelliger Anzahl benutzt. [13] Als Briefpoststempel ist er bedarfsmäßig zeitgerecht verwendet als Aufgabestempel auf Paketkarten nicht möglich. Der größte Teil aller bekannten Abschläge trägt Merkmale einer einzeln erfolgten Gefälligkeitsabstempelung, die wegen des Verkaufsverbotes der Marke zeitgerecht nicht möglich ist. Echt während der Laufzeit der 70 Kreuzer verwendete andere Marken mit diesem Stempel haben hingegen oft den Charakter von Bedarfsentwertungen. Es sind bis etwa 1880 keine Paketkarten bekannt, bei denen der Stempel bei der Aufgabe verwendet wurde. Es existieren einige wenige mit dem Einkreiser verstempelte Mängelexemplare mit dem Charakter von Bedarfsstücken, über deren Zustandekommen spekuliert werden kann.

Der Stempel ist auch, zeitgerecht verwendet ebenfalls praktisch nicht möglich, auf einer großen Bogenecke bekannt. Während der Laufzeit der 70 Kreuzer wurden aus Platzgründen die Ränder abgetrennt (es sind wenige eindeutige Bedarfsstücke mit kleinen Bogenrändern bekannt).

BPP-Prüfer Heinz Thoma hat die Abstempelung auf der Bogenecke als Nachentwertung erkannt und eine Attestierung abgelehnt. Es entbehrt jeder Logik, den Stempel auf einer Bogenecke abzulehnen, auf normal geschnittenen Marken aber als echt und zeitgerecht verwendet zu bestätigen.

Von Prüferseite wird jetzt mitgeteilt, dass zwar von Heinz Thoma die Abstempelung nicht als zeitgerecht bestätigt wurde, eine Einschätzung eines aktuellen Verbandsprüfers zu diesem Stück nicht vorliegt. Damit soll hoffentlich nicht angedeutet werden, dass eine neuerliche Prüfung durch jetzige Verbandsprüfer Aussicht auf eine Attestierung „zeitgerechte Abstempelung“ erhalten könnte.

Der Stempel auf 70 Kreuzer muss nach den Regeln des BPP als falsch gelten. Bis heute wurde und wird der Stempel auf 70 Kreuzer-Marken m.W. grundsätzlich von den Verbandsprüfern als echt und zeitgerecht verwendet anerkannt. Diese Prüfpraxis muss revidiert werden. Die Aussage in früheren Befunden und Attesten von Verbandsprüfern, dass der Stempel zeitgerecht verwendet worden ist, kann keinen Bestand mehr haben.

Der kleine Datumsbrückenstempel des Postamtes I

Der kleine Datumsbrückenstempel des Postamtes I ist als Briefpoststempel bei der Aufgabe von Paketkarten ebenfalls nicht möglich. Bis ca. 1880 sind keine Paketkarten mit dem Stempel bei der Aufgabe bekannt. Es handelt sich ebenfalls in allen Fällen einer Entwertung auf 70 Kreuzer um Nachstempelungen aus dem Zeitraum von 1876 bis Ende 1879, evtl. in ganz wenigen Fällen auch zu einem späteren Zeitpunkt.

Beim Verkauf von gefälligkeitsgestempelten 70 Kreuzer-Marken musste der Stempel jedesmal lästigerweise zurückdatiert und anschließend wieder auf das aktuelle Jahresdatum umgestellt werden. Dabei kam es zu Missgeschicken: in zahlreichen Fällen wurde die eigentlich bei einer Paketkartenverwendung „unmögliche“ Jahreszahl „73“ eingesetzt.

Es liegt ein Attest eines Verbandsprüfers für eine m.E. falsch gestempelte Bogenecke 70 Kreuzer vor, in dem diese Jahreszahl als Stempelirrtum (statt „74“) des diensttuenden Postbeamten bezeichnet wird. Der Beamte müsste sich ja ständig beim Einsatz der Jahreszahl geirrt haben, wie die zahlreichen
nachgestempelten 70 Kreuzer mit der Jahreszahl „73“ beweisen.



Beispiele für nachgestempelte 70 Kreuzer-Marken mit dem kleinen Datumsbrückenstempel des Postamtes Stuttgart I. Es fällt auf, dass keine kopfstehenden Abschläge vorhanden sind, und die meisten Marken einzeln abgestempelt wurden.

Zahlreiche Abschläge haben Daten aus 1873! Die Marken müssten sich alle auf überschweren Chargé- oder Express-Auslandsbriefen befunden haben, •• als zeitgerecht gestempelt zu selten.

Prüferverband und der Vorstand der ArGe Württemberg teilen diese völlig unglaubwürdige Annahme der Kreuzerzeitprüfer und bringen sich damit in eine blamable Situation.


Es existieren wenige Exemplare der 70 Kreuzer mit diesem Stempel, die bedarfsmäßig entwertet wirken und über deren Zustandekommen nur spekuliert werden kann. Die Nachstempelungen mit dem kleinen Datumsbrückenstempel erwecken darüber hinaus größtenteils den Charakter von einzeln erfolgten Gefälligkeitsentwertungen. Handelte es sich um Bedarfsverwendungen, müssten zahlreiche Exemplare mit Doppel- oder Mehrfachabschlägen existieren.

Den bisher bekannten Belegen zufolge wurde der kleine Datumsbrückenstempel des Postamtes I bis mindestens 1880 ausschließlich am Schalter für Chargé- und Expressbriefe verwendet (später sind wenige Aushilfsverwendungen bei der normalen Briefpost bekannt).

Hochgerechnet also sollen an diesem Schalter überschwere Auslands-Recobriefe mit einer dreistelligen Anzahl 70 Kreuzer-Marken aufgegeben worden sein, und das dazu wohl noch als Einzelfrankaturen, wie die zentrischen Einzelabstempelungen der mit diesem Stempel entwerteten 70 Kreuzer nahelegen.

Köhler-Sieger sprechen im übrigen von „Bearbeitungsstellen“ für allfällig werdende 70 Kreuzer-Briefe in den 4 Einführungspostämtern Stuttgart I und II, Ulm und Heilbronn. Dies lässt den Schluss zu, dass die 70 Kreuzer-Marken während der Kurszeit überhaupt nicht an den beiden Schaltern im Hauptpostamt verfügbar waren. Die Annahme, dass 70 Kreuzer-Marken auf überschweren Chargé-Auslandsbriefen in nennenswertem Umfange verwendet worden sind, ist gerade in diesem Fall völlig unglaubwürdig.

Es dürfte ursprünglich eine dreistellige Anzahl 70 Kreuzer-Marken mit dieser Abstempelung, die nach den Normen des BPP als falsch gilt, vorhanden gewesen sein. Bis heute wurde und wird der kleine Datumsbrückenstempel des Postamtes I auf 70 Kreuzer generell in Attesten und Befunden der zuständigen Verbandsprüfer als echt und zeitgerecht verwendet kategorisiert.

Diese Prüfpraxis muss in Zukunft revidiert werden. Frühere Befunde und Atteste können, was die Aussage „echt und zeitgerecht verwendet“ betrifft, keinen Bestand mehr haben.

Die Fachprüfer sind hingegen auch hier folgender falscher Meinung:

Die angeblichen Gefälligkeits-Abstempelungen des Postamtes I mit der Datumsbrücke sind bedarfs- und zeitgerechte Briefpostentwertungen.


[13] Vermutlich waren noch keine von den Paketkarten abgelöste 70 Kreuzer im Handel.
 
Richard Am: 28.04.2022 09:07:46 Gelesen: 1776# 6 @  
Nachstempelungen der 70 Kreuzer beim Postamt Stuttgart IV

Der Restbestandsverkauf der 70 Kreuzer-Marken im Stuttgarter Hauptpostamt behinderte dort den laufenden Betrieb in nicht unerheblichem Ausmaß. Dort herrschte tagsüber ständig Hochbetrieb mit starker Kundenfrequenz. Im erst am 15.12.1873 eröffneten Postamt Stuttgart IV (an der damaligen Ostperipherie Richtung Cannstatt in der Neckarstraße, in etwa in Höhe der heutigen Schwabengarage gelegen) drehten hingegen die Postbeamten am Briefpostschalter Däumchen. Das Postamt war wohl in erster Linie wegen des hohen Paketaufkommens eröffnet worden. Alleine die sich in unmittelbarer Nähe des Postamtes befindliche Schokoladenfabrik Starker & Pobuda sorgte werktäglich durch den massenhaften Versand von Kakaodosen für viel Verkehr.

Eröffnet wurde das Postamt IV aber im Zusammenhang mit dem Neubau des sehr großen Hallberger-Verlages (später DVA) im Jahre 1873. Die Postverwaltung entschloss sich wegen des enormen Paketaufkommens des Verlages von täglich wohl vielen hundert Stück (bei Neuerscheinungen von trivialer Belletristik wohl von über 1.000 Paketen) das am 15.12.1873 neu eröffnete Postamt direkt im Gebäudekomplex des Hallberger Verlages in der Neckarstraße 121 unterzubringen. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten: Die Postverwaltung konnte die Packkammern des Postamts I entscheidend entlasten, und die Pferdefuhrwerke des Verlages mussten nun nur noch mit ihren Express- und Stückgutsendungen zum nahegelegenen Güterbahnhof, während die Postpakete direkt an Ort und Stelle in die Fahrpostkutschen verbracht werden konnten.

Die Postverwaltung entschloss sich 1879 also, den Verkauf der 70 Kreuzer-Marken an einen speziellen „Sammlerschalter“ im Postamt IV zu verlagern. Wegen des immer noch vorhandenen Bedürfnisses der Interessenten nach gestempelten Exemplaren (mittlerweile waren wohl auch von den Paketkarten abgelöste Bedarfsstücke im Handel) wurden sowohl der bei der Briefpost eingesetzte Datumsbrückenstempel und der bei der Fahrpost benutzte Fächerstempel des Postamtes IV ausgesondert und ab da während der Verkaufszeit der 70 Kreuzer wohl ausschließlich am Sammlerschalter weiterverwendet. Auch die vorhandenen Stempelkissen mitsamt ihrer kräftiggrünen Farbe kamen weiter zum Einsatz. [14] Wegen des hohen Fahrpostaufkommens war offenbar ein zweiter Fächerstempel als Reserve vorhanden, der jetzt Paketkarten, Wertbriefe usw. in schwarz weiterstempelte.

Prüfer und die Verbandsprüfstelle sind der Meinung, dass eine Behinderung des laufenden Betriebes durch den Verkauf der Restbestände der württembergischen Freimarken im Postamt I nicht stattgefunden haben kann, weil statistisch in der Zeit von 1876 bis 1889 in den Postämtern I und IV täglich nicht einmal eine 70 Kreuzer-Marke verkauft wurde.

Es wird dabei übersehen, dass ja nicht nur die 70 Kreuzer, sondern auch alle Werte der Ziffernausgabe, Ganzsachen, im Postamt IV auch Telegrafenmarken usw. verkauft wurden. Die Bestände mussten täglich (möglicherweise sogar zweimal täglich bei Schaltereröffnung und Schalterschluss) inventarisiert, Verkäufe notiert, schriftliche Bestellungen erledigt werden, der Datumsbrückenstempel rück- und wieder auf das aktuelle Tagesdatum umdatiert werden usw. Die Eröffnung eines eigenen Sammlerschalters im Postamt IV ab ca. 1880 ist erwiesen und ein deutliches Indiz für den entsprechenden Aufwand auch im Postamt I.

[14] Winkler/Klinkhammer, S. 465, 466
 
Richard Am: 29.04.2022 09:28:50 Gelesen: 1622# 7 @  
Der Datumsbrückenstempel des Postamtes Stuttgart IV

Der Datumsbrückenstempel befand sich 1879 in einem relativ schlechten Zustand. Die ursprünglich vorhandenen Stege der Datumszeile waren verschwunden. Ganz offenbar wurden deshalb beide Stempel einer Generalüberholung unterzogen, gereinigt und möglicherweise nachgraviert.

Diese Annahme ist auch aus einem anderen Grund naheliegend: wenn man sich schon der Mühe unterzog, gleich zwei Stempel für den Gebrauch am Sammlerschalter bereitzustellen, dann wollte man Händlern und Sammlern nicht einen verschlissenen Stempel zumuten. Der Datumszeilensteg war nach der Reparatur zunächst wieder vollständig sichtbar, zeigte aber mit der Zeit die gleichen Ausfallerscheinungen wie der Stempel während seiner Verwendung vor der Aussonderung.

Der Stempel war Gegenstand einer Untersuchung durch die BPP-Verbandsprüfstelle.

Die durchaus logische und durch verschiedene deutliche Indizien gestützte Reparatur des Datumsbrückenstempels wird von Prüfern und Prüferverband bestritten. Ich wurde aufgefordert, diese Feststellung zu beweisen, was unmöglich ist. Keiner der Lebenden war bei der Grundüberholung des Stempels anwesend und alle Akten über die Restbestandsverkäufe der 70 Kreuzer-Marken wurden vernichtet.

Von Prüferseite wird argumentiert, dass eine Generalüberholung der gebräuchlichen Tagesstempel seinerzeit nicht üblich bzw. technisch nicht möglich gewesen ist. Es heißt:

Weder der Datumsbrückenstempel noch ein anderer Stuttgarter Stempel wurde für den Zweck von Nachstempelungen überarbeitet oder repariert. Das ist völlig abwegig und frei erfunden.

Das ist natürlich unrichtig. Die Prüferseite behauptet erneut irrenderweise, dass es etwas nicht gibt. Dabei war es damals gängige Praxis, Stempel zu reinigen, ggf. nachzugravieren und auch zu aptieren. Es gibt zahllose Beispiele dafür, beispielsweise im Bereich der Franco- und Hufeisenstempel (siehe die gezeigten Abbildungen). [15] Hier wurden sowohl Stempelteile entfernt als auch durch „Anlöten“ hinzugefügt. Insbesondere die Einführung der Normstempel im Jahre 1875 führte zu zahlreichen Aptierungen von vorhandenen Tagesstempeln.



Beispiele für Aptierungen von Hufeisen- und Francostempeln. Es wurden sowohl Teile entfernt als auch durch Anlöten hinzugefügt. Dieses Verfahren war in den 1870er Jahren weit verbreitet.

Die in den 1880er-Jahren eingeführten Wanderstempel wurden in erster Linie für den Zweck eingeführt, während der Abwesenheit von in Gebrauch befindlichen Stempeln für Überholungen kurzfristig bis zur Rückkehr der reparierten Stempel Ersatz zu schaffen, dies ist hundertfach belegt. Vor Einführung der Wanderstempel übernahmen bei kleineren und mittleren Postämtern ehemalige Briefpoststempel, die bei der Fahrpost ein zweites Leben führten, diese Aufgabe. Praktisch alle in den Handbüchern auf 2. bis 8. Freimarkenausgabe gelisteten vorphilatelistischen Zweizeiler kommen nur ganz kurzfristig vor und hatten die Funktion der späteren Wanderstempel. Sie wurden bei Überholung und Abwesenheit der eigentlichen Briefpoststempel als Ersatz verwendet.



Beispiele für Nachstempelungen mit dem grünen Datumsbrückenstempel des Postamtes Stuttgart IV. Diese stammen aus den 1880er-Jahren (ca. 1880–1889). Es finden sich keine kopfstehenden Stempel und überwiegend wirken die Abschläge gefälligkeitsgestempelt. Die zahlreichen Eckstempel kommen so bedarfsweise nicht vor.

Für die Überholung und Reparatur des Datumsbrückenstempels des Postamts IV gibt es weitere sehr deutliche Indizien. Der Dreierstreifen (ex Trost) zeigt Abschläge in ursprünglichem Stempelzustand. Der Dreierstreifen müsste sich für den Nachweis einer zeitgerechten Verwendung im November 1874 auf einem Auslandsbrief mit vermutlich weiteren Marken befunden haben, dies ist selbstverständlich schon angesichts der Stempel- und Qualitätscharakteristik
absurd. Genauso abwegig ist die Annahme, der Datumsbrückenstempel wäre an
diesem Tag an den Fahrpostschalter des Postamtes IV ausgeliehen worden: Der Briefpostschalter hätte dann ja keinen Tagesstempel mehr zur Verfügung gehabt! Eine Gefälligkeitsentwertung während der Kurszeit scheidet natürlich wegen des Verkaufsverbotes der 70 Kreuzer ebenfalls aus.

Übrig bleibt nach dem Ausschlussprinzip also nur eine Nachstempelung nach Ablauf der Kurszeit. Da der Datumsbrückenstempel bereits ab Dezember 1874 (also während der Kurszeit) die bekannten Ausfälle im Stegbereich zeigt und diese Ausfälle in verstärkter Form bis zur Aussonderung des Stempels für den Sammlerschalter vorhanden waren, muss er ganz zwangsläufig ca. Ende 1879 einer Überholung bzw. Reparatur unterzogen worden sein. Aus alldem folgt weiter, dass der Dreierstreifen ab ca. 1880 nachgestempelt worden sein muss.

Das Angebot von den zwei waagerechten Dreierstreifen der 70 Kreuzer braun- und rotlila (Mi. 42a, 42b) mit idealen Abschlägen des jeweils grünen Fächer- und Datumsbrückenstempels des Postamtes IV anlässlich der 2. Trost-Auktion war im übrigen Auslöser für meine Bemühungen um Klärung der Nachstempelungsproblematik. Bei beiden Entwertungen handelt es sich meiner Meinung nach um Nachstempelungen aus der Zeit des Sammlerschalters, also aus den 1880er-Jahren, weit außerhalb der regulären Laufzeit der Marken. Der Verkaufspreis lag bei rund 75.000 Euro.

Von Prüferseite heißt es:

Uns sind keine Nachstempelungen mit der grünen Datumsbrücke auf 70 Kr.-Marken bekannt. Alle bekannten Abschläge sind sowohl in der Stempelfarbe als auch im Grad der Abnutzung eindeutig einer zeitgerechten Verwendung zuordenbar und werden deshalb seit Jahrzehnten als ‚echt und zeitgerecht‘ bestätigt. [16]

Der Datumsbrückenstempel auf dem Dreierstreifen zeigt ein Datum vom 24.11.1874 mit den kompletten Stegen, so wie sie sich auch auf einwandfreien Bedarfsstücken anderer Kreuzermarken aus der Zeit zeigen. Dies könnte zunächst für eine zeitgerechte Entwertung sprechen.

Als Briefpoststempel ist allerdings der Datumsbrückenstempel bei der Aufgabe auf Paketkarten keinesfalls möglich, es sind demzufolge auch keine Bedarfsstücke seit der Einführung des Stempels im Dezember 1873 bis zu seiner Aussonderung Ende 1879 auf Paketkarten bekannt.

Ferner heißt es in der Stellungnahme der Prüfer:

Es gibt tatsächlich rückdatierte Nachstempelungen mit diesem Stempel auf 70 Kreuzer-Marken. Alle diese Abstempelungen sind jedoch schwarz und ohne Brückenstriche. Diese Nachstempelungen sind seit Jahrzehnten bekannt und werden entsprechend geprüft. [17]

Es wird hier auf Abstempelungen verwiesen, die mit größter Wahrscheinlichkeit nach Abverkauf der Marken am Sammlerschalter um 1889 erfolgt sind. Der Zustand des um 1879 reparierten Datumsbrückenstempels war mittlerweile ähnlich desolat wie während seiner regulären Verwendungszeit ab ca. 1877. Er wurde gleichwohl als Reservestempel vorgehalten und wohl beispielsweise bei erhöhtem Drucksachenaufkommen in schwarzer Farbe ab ca. 1889 benutzt. Es sind Abstempelungen aus dem Jahr 1892 auf 3 Pfennig-Marken belegt. [18]



Schwarze Datumsbrückenstempel des Postamtes IV stammen aus der Zeit nach Abverkauf der 70 Kreuzer-Marken am Sammlerschalter (ab ca. 1889). Der Stempel war im gleichen Zustand wie vor seiner Reparatur im Jahre 1879. Er wurde als Reservestempel vorgehalten und nur noch gelegentlich in den 1890er-Jahren aushilfsweise benutzt.

Nachstempelungen mit dem schwarzen Datumsbrückenstempel auf 70 Kreuzer sind in nur wenigen Exemplaren bekannt. Die Annahme, dass nur diese Abstempelungen in schwarzer Farbe als nachgestempelt zu gelten haben, ist völlig realitätsfern. Da die anderen in Zusammenhang mit den Restbestandsverkäufen an den Stuttgarter Postämtern I und IV erfolgten Gefälligkeitsabstempelungen bisher praktisch alle fälschlicherweise als echt und zeitgerecht verwendet geprüft wurden und werden, hätte der Anteil der nachgestempelten Exemplare an den „Sammlerschaltern“ nur im Promillebereich gelegen, anstatt den von mir angenommenen ca. 25 % (ca. 500 bis 700 Exemplare) aller verkauften 70 Kreuzer. Mir ist rätselhaft, wie ansonsten hochkarätigste Spezialprüfer einer derartigen Fehleinschätzung unterliegen können.



Verschiedene Nachstempelungen auf Bogenecken der 70 Kreuzer-Marken.
Bedarfsgestempelte Marken mit größeren Bogenrändern sind Seltenheiten, große
Bogenecken sind unbekannt.


Ein weiteres, sehr deutliches Indiz für die Nachstempelungen liegt in der Verwendung der 2 Mark gelb, ebenfalls eine Innendienstmarke, die nicht an das Publikum abgegeben werden durfte. [19] Briefe mit dieser Marke sind mir, ebenso wie solche der 70 Kreuzer, nicht bekannt, sondern nur Paketkarten. Diese Marke kommt häufig wegen des hohen Paketaufkommens am Postamt IV auch mit dem grünen Fahrpost-Fächerstempel bedarfs- und zeitgerecht vor.

Wäre der Briefpost-Datumsbrückenstempel gelegentlich bei der Fahrpost eingesetzt worden, wie von Prüferseite fälschlicherweise angenommen, müssten zwangsläufig in weit größerem Umfange als bei der 70 Kreuzer aus der Zeit von Mitte 1875 bis Ende 1879 Marken zu 2 Mark gelb mit dem grünen Datumsbrückenstempel vorkommen. Mir selbst sind allerdings keine Belegstücke dieser Marke mit dem grünen Datumsbrückenstempel bekannt.

Von Prüferseite wird ferner argumentiert, dass der Stempel „immer mal wieder“ vom Briefpost- an den sicherlich in anderen Räumlichkeiten befindlichen Fahrpostschalter gewechselt hat und fügt als Beleg dafür einen Nachnahmebrief aus der Verwendungszeit der 70 Kreuzer an. Bei diesem Brief und einigen wenigen anderen bekannten Belegen aus der Pfennigzeit (siehe die Abbildung) handelt es sich um sog. „Postwechselbriefe“, die versehentlich am Briefpostschalter aufgegeben und dann an den Fahrpostschalter zur weiteren Bearbeitung abgegeben wurden. Die Beförderung von Nachnahmebriefen oblag der Fahrpost. Eine Weitergabe des Briefpoststempels an den Fahrpostschalter kann in diesem Fall ausgeschlossen werden:

Der Briefpostschalter hätte dann keinen Tagesstempel mehr zur Verfügung gehabt, und das ist schlechterdings undenkbar. Die Aufgabe von Paketen am Briefpostschalter war natürlich unmöglich.

Ferner verweisen die Prüfer zur Stützung ihrer Position auf den Umstand, dass der Datumsbrückenstempel des Postamtes IV auf 70 Kreuzer-Marken, was den Zustand der Stege anbetrifft, sich mit eindeutig zeitgemäßen Abschlägen deckt und die Vielfalt an Stempeldaten und entsprechend viele Abnutzungserscheinungen des Stempels für eine zeitgerechte Verwendung sprechen. Letzteres ist keinesfalls schlüssig.

Der Stempel wurde bedarfsmäßig und zeitgerecht in der Kreuzerzeit etwa 19 Monate verwendet, aber für die Nachstempelungen wohl fast 10 Jahre benutzt. Entsprechend groß ist die Vielfalt an Stempeldaten und Abnutzungserscheinungen während der Nachstempelzeit ca. 1880 bis 1889.

Es ist richtig, dass die Stempelabschläge aus der regulären Verwendungszeit denen aus der Nachstempelaera ähneln bzw. mit ihnen identisch sind. Ich kann nur vermuten, dass hier mechanische Besonderheiten des Datumseinsatzes eine Rolle spielen und keine der üblichen Abnutzungserscheinungen durch langen Gebrauch.

Üblicherweise müssten die zwischen den Stegen eingesetzten Ziffern und Buchstaben des Datumsbrückenstempels, der bereits über eine Walze zur Datumseinstellung verfügte, völlig plan liegen, um einwandfreie Abschläge zu erzeugen. Wird jetzt beim Wechsel eines neuen Datums, einmal angenommen vom 30. November auf den 1. Dezember, eine Ziffer wie die zweite „I“ in „XII“ so eingestellt, dass sie auch nur minimal erhöht aus den anderen Ziffern
und Buchstaben herausragt, dann druckt an dieser Stelle ein Teil des Steges nicht mehr ab. Das gleiche Phänomen könnte auch bei der Umstellung der Jahreszahl „74“ auf „75“ entstehen. Mit der Zeit kann die ganze Datumszeile so durcheinander geraten, dass kein Planum mehr vorhanden ist und die Darstellung der Stege immer mehr verlustig geht. In unserem Fall war dieser Zustand bereits 1876 im Wesentlichen eingetreten und dauerte bis zur Aussonderung des Stempels Ende 1879 an. Andere Datumsbrückenstempel zeigen die gleichen Phänomene im Stegbereich.

Nach der in meinen Augen als sicher geltenden Grundüberholung und Reparatur des Datumsbrückenstempel wohl Ende 1879 befand sich der Stempel, wie bei seiner Einführung, in einem einwandfreien Zustand. Die Stege waren vollständig sichtbar. [20] Da der vorhandene Stempeleinsatz und auch die grüne Stempelfarbe weiterbenutzt wurden, könnten die gleichen Abnutzungserscheinungen bei bestimmten Daten auch bei den Nachstempelungen in den 1880er-Jahren entstanden sein und den Eindruck einer zeitgerechten Entwertung hinterlassen.

Die Häufung von gleichen Stempeldaten auf bestens erhaltenen 70 Kreuzer ist ebenfalls bemerkenswert. Mir liegen Abbildungen von einigen Dutzend 70 Kreuzer-Marken mit dem grünem Datumsbrückenstempel vor. Davon tragen 5 Einzelstücke und zwei Paare das Datum 1. XII. 74 (siehe die Abbildungen). Auch dies ist ein Hinweis auf Nachstempelungen.

Die Prüfer sind der Meinung, dass die Häufung von Marken mit gleichem Stempeldatum auch auf die Aufteilung von Einheiten zurückzuführen ist. Ich sehe keinen Widerspruch zu meinen Ausführungen: Beim Postamt IV wurden vor dem Verkauf der 70 Kreuzer-Marken die Stempel offenbar nicht einzeln, sondern bogenweise angebracht. Darauf deuten die zahlreichen Eckstempel hin.

Es gibt neben der Tatsache, dass der Datumsbrückenstempel des Postamtes IV ab ca. 1890 am Sammlerschalter vorhanden war, weitere deutliche Indizien für die Nachstempelungen auf 70 Kreuzer. So sind mir Doppelentwertungen mit dem grünen Datums- und Fächerstempel in drei Fällen bekannt (siehe die Abbildungen), vermutlich gibt es mehr davon. Eine häufigere bedarfsmäßige Nachstempelung von bereits mit dem Fächerstempel entwerteten Marken in der regulären Gebrauchszeit der 70 Kreuzer kann man getrost ausschließen. Der Charakter der Abstempelungen spricht eindeutig für eine Nachstempelung am Sammlerschalter in den 1880er-Jahren. Die genannten drei Doppelentwertungen belegen auch eindeutig die gleichzeitige Verwendung beider Stempel am Sammlerschalter.

Die Prüferseite ist der erstaunlichen Auffassung, dass über das Zustandekommen dieser Doppelentwertungen nur spekuliert werden kann. Keinesfalls seien sie jedoch ein Hinweis auf Nachentwertungen am Sammlerschalter!



Diese doppelt nachgestempelten 70 Kreuzer belegen die gleichzeitige Verwendung des grünen Datumsbrücken- und Fächerstempels in den 1880er-Jahren.



Am 14.11.1874 war der grüne Datumsbrückenstempel des Postamtes IV noch in einem perfekten Zustand, ab dem 1.12. wurde der obere Stegteil in Mitleidenschaft gezogen.

Mit dem Datumsbrückenstempel wurden während seiner Verwendung am Sammlerschalter in größerem Umfang weitere Stempelspielereien vorgenommen. Die Abbildungen zeigen 70 Kreuzer-Marken mit einem, zwei, drei oder sogar vier Eckstempeln. Es bestand die Vorschrift zur zentrischen Entwertung der Marken, die während der Laufzeit der 70 Kreuzer nur gelegentlich bei paarweisen zentrischen Entwertungen übergangen wurde. Grund war u. a., dass das Datum, ggf. mit der Tageszeitangabe, lesbar sein sollte, um bei etwaigen Rückfragen und Reklamationen den zuständigen diensthabenden Postbeamten ausfindig machen zu können. Bei einem Großteil der Gefälligkeitsentwertungen mit dem Datumsbrückenstempel auf 70 Kreuzer ist das Datum nicht oder nur teilweise erkennbar. Typische Briefpost-Bedarfsmarken wie 1 und 3 Kreuzer mit diesem Stempel sind meinen Beobachtungen zufolge ganz überwiegend ordentlich zentrisch gestempelt.

Die hier gezeigten Stempelspielereien vom Sammlerschalter wären in der regulären Laufzeit der 70 Kreuzer niemals von der Postverwaltung geduldet worden, erst recht nicht über einen längeren Zeitraum. Sie sind ein ganz eindeutiges Indiz für die Nachstempelungen aus den 1880er-Jahren am Sammlerschalter des Postamtes IV, das von Prüfern und Prüferverband unmöglich negiert werden kann.

Auch die Aussagen der Prüferseite zum Thema Stempelspielereien können nicht nachvollzogen werden:

Es gibt weder eine Stempelspielerei am Sammlerschalter noch eine Vorschrift, die 70 Kr.-Marken zentrisch zu entwerten. Weder ein Sammler noch ein Postbeamter würden je auf die Idee kommen, Marken derart zu verstempeln. Solche Verstempelungen geben eher einen Hinweis auf Stücke aus dem Bedarf.(!).

Die Prüfer müssten die Vorschrift vom 8.11.1851 betr. Einführung der Freimarken kennen:

...werden die Poststellen darauf aufmerksam gemacht, dass die Stempelung der Briefe nicht, wie mitunter geschehen, mit der Entwertung der Freimarken dergestalt zu verbinden ist, dass der Abdruck des Orts- und Datumsstempels zur Hälfte neben denselben auf der Adresse des Briefes erscheint. Der Orts- und Datumsstempel ist vielmehr jedesmal mitten auf die Marke abzudrucken. [21]

Der Erlass wurde nicht aufgehoben und galt selbstverständlich auch für die 70 Kreuzer!



Derartige Stempelspielereien vom Sammlerschalter des Postamtes IV mit einem, zwei, drei oder gar vier Eckstempeln aus den 1880er-Jahren wären in der regulären Verwendungszeit der 70 Kreuzer (1874 und 1875) niemals ohne Sanktionen möglich gewesen. Sie sind ein ganz eindeutiges Indiz für die Nachstempelungen.

Es könnte eine dreistellige Anzahl mit diesem Stempel entwerteter 70 Kreuzer-Marken existieren. Alle Abstempelungen mit dem grünen Datumsbrückenstempel des Postamtes IV sind Nachstempelungen aus den 1880er-Jahren, also weit außerhalb der Kurszeit der 70 Kreuzer. Sie müssen nach den Regeln des Prüferverbandes als falsch gelten. In Zukunft dürfen sie keinesfalls mehr als zeitgerechte Entwertungen auf 70 Kreuzer-Marken befundet und attestiert werden. Frühere Befunde und Atteste, in denen eine zeitgerechte Entwertung bescheinigt wird, können in diesem Punkt keinen Bestand mehr haben.

Auch hierzu folgt die übliche irrige, längst widerlegte Ansicht der Prüferseite:

Stücke mit dem grünen Datumsbrückenstempel des Postamtes IV stammen entweder von einem höhergewichtigen Auslandsbrief oder von einer zeitweisen Verwendung des Datumsbrückenstempels am Fahrpostschalter. Alle Atteste der letzten Jahre sind auch heute noch zutreffend.


[15] Spalink, Deutsche Hufeisenstempel; von Garnier/Zirz, Katalog der Franco-Stempel 1864–1880

[16]/[17] Schreiben der Verbandsprüfstelle vom 4.5.2021 an mich

[18] Winkler/Klinkhammer, S. 466

[19] Köhler/Sieger, S. 121 ff.

[20] Vgl. Dreierstreifen 42b aus der 2. Trostauktion.

[21] Köhler/Sieger, S. 19 mit dem kpl. Erlass
 
Richard Am: 30.04.2022 09:09:19 Gelesen: 1510# 8 @  
Der grüne Fächerstempel des Postamtes IV

Hier liegt ein Sonderfall vor. Die vorher erwähnten Stempel gehören zur Briefpost und sind als Aufgabestempel auf Paketkarten technisch nicht möglich und auch nicht belegt (Zeitraum 1874 bis etwa 1880). Sie müssen alleine deshalb auf 70 Kreuzer-Marken als Nachstempelungen gelten, die Datumsbrückenstempel haben rückdatierte Jahreszahlen.

Der Fächerstempel hingegen wurde regulär bei der Fahrpost verwendet. In zahlreichen Fällen wurde der Stempel auch zur zeitgerechten Entwertung von 70 Kreuzer-Marken benutzt. Dies wird u. a. durch einen Paketkartenabschnitt mit einem Sechserblock und einem Paar der 70 Kreuzer belegt. Der Stempel war nach seiner Einführung am 15.12.1873 bis Ende 1879 regulär wohl tagtäglich am Fahrpostschalter in Gebrauch, bis er für die Nachstempelungen am
Sammlerschalter des Postamtes IV ausgesondert wurde. Karl Köhler schreibt hierzu 1940:

Richtig ist lediglich, dass die an die Druckmaterialverwaltung zurückgelieferten 70 Kreuzermarken mit den dort noch vorhanden gewesenen Vorräten beim Postamt IV zu Stuttgart im Verlauf vieler Jahre zum Nennwert von 2 Mark zu Sammlerzwecken verkauft und dort sogar, auf Wunsch des Käufers, entwertet wurden (nachträgliche Gefälligkeitsentwertung mit echten Stempeln). [22] Mit Vorliebe wurde dazu der Fächerstempel des Postamtes IV, in grüner Farbe aufgedrückt, verwendet. [23] Wie groß die Restbestände gewesen sind, ist wegen der Vernichtung der Akten nicht mehr zu ermitteln. Zurückbehalten wurde nichts, sondern sämtliche Marken wurden verkauft.

Warum bei diesem Sachstand nach meinen Beobachtungen alle grünen Fächerstempel von den zuständigen Prüfern in Befunden und Attesten als echt und zeitgerecht verwendet kategorisiert werden, erschließt sich mir nicht.

Es gibt bei zahlreichen Prüfstücken deutliche Anzeichen für eine Nachstempelung, das gilt auch – das ist sehr traurig, aber wahr – für den bekannten Dreierstreifen der 42a aus der 2. Trostauktion mit Stempeldatum 17. NOV. (1874). Dieses Datum kommt wiederholt auf einheitlich breitrandigen und schön gestempelten Einzelstücken und Paaren vor (siehe die Abbildungen). Wer soll glauben, dass sich diese Marken jemals zeitgerecht auf Paketkarten befunden haben?

Die Prüfer betonen auch hier, dass die Datenhäufung sich durch aufgeteilte Einheiten erklären lässt.



Die Häufung von gleichen Stempeldaten (hier der 17. November) bei gleichzeitiger bester Schnitt- und Stempelqualität sind ein deutliches Indiz für die Nachstempelungen am Sammlerschalter des Postamtes IV [28]

Befunde und Atteste müssten nach den Normen des Prüferverbandes in allen Fällen auf die Tatsache hinweisen, dass der grüne Fächerstempel des Postamtes IV für Nachstempelungen benutzt wurde und die Bestätigung einer zeitgerechten Entwertung nur bei Vorliegen von eindeutigen Bedarfsmerkmalen erfolgen kann. Mir ist rätselhaft, warum der BPP in diesem Fall nicht auf der Einhaltung seiner eigenen Regeln besteht. Es dürfte eine dreistellige Anzahl in den 1880er-Jahren nachgestempelter 70 Kreuzer-Marken mit dem grünen Fächerstempel existieren, die nach den Regeln des BPP als falsch gelten müssen.


[22] Köhler/Sieger, S. 118

[23] Implizit bestätigt Karl Köhler mit dieser Aussage den Gebrauch des grünen Datumsbrückenstempels am Sammlerschalter des Postamtes IV.

[28] Die rechte Einzelmarke war Bestandteil meiner 94. Auktion. Trotz mehrerer Atteste habe ich das Los aufgrund meiner Recherchen gewonnenen neuen Erkenntnisse zurückgezogen. Die Häufung von gleichen Stempeldaten (hier der 17. November) bei gleichzeitiger bester Schnitt- und Stempelqualität sind ein deutliches Indiz für die Nachstempelungen am Sammlerschalter des Postamtes IV.
 
Richard Am: 01.05.2022 09:52:54 Gelesen: 1377# 9 @  
Prüfer, Prüferverband und die ArGe Württemberg

Intensive interne Versuche, die m.E. grob fehlerhafte Prüfpraxis im Zusammenhang mit den Stuttgarter Briefpoststempeln und dem grünen Fächerstempel des Postamtes IV auf 70 Kreuzer für die Zukunft zu verändern, sind am Widerstand der zuständigen Prüfer und ganz erstaunlicherweise auch am Widerstand des Prüferverbandes BPP gescheitert. Eine Kommunikation zwischen den betroffenen Prüfern und mir ist schnell zusammengebrochen.

Der BPP-Vorstand hat eine Änderung der bestehenden fehlerhaften Prüfpraxis abgelehnt, u. a. mit den Hinweisen, dass diese Prüfpraxis über Jahrzehnte von verschiedenen Prüfern als richtig angesehen wurde und noch wird, und dass meine vorgetragene Indizienkette keine Beweise für die Nachstempelungen erbringen würde.

Mit Wissen der Prüfer habe ich eine Untersuchung durch die Verbandsprüfstelle des BPP, die aus drei Altdeutschland-Prüfern besteht, veranlassen können. Die Verbandsprüfstelle schreibt:

Allein die Tatsache, dass es sich um Millionenwerte handelt, die in Frage gestellt werden, gebietet es doch, hier keinem übereiltem Aktionismus zu folgen, und schon gar nicht auf der Grundlage eines nur grob skizzierten Argumentationsgebäudes. Nach einer kurzen Rücksprache mit den betroffenen Prüferkollegen sahen auch diese keinen sofortigen Handlungsbedarf, da die angeführten ‚Fakten‘ für sich alle hinlänglich bekannt waren.

Das erstaunt außerordentlich, wurde doch von mir in einem sehr ausführlichen und aufwändig recherchierten Schriftsatz mit 10 Seiten Text und einigen Dutzend Abbildungsseiten eine durchaus beweiskräftige Indizienkette vorgetragen. Wenn alle dort aufgeführten Tatsachen bereits hinlänglich bekannt waren, dann hätte die bisherige jahrzehntelange Prüfpraxis längst geändert werden müssen. Die Gegendarstellung der Fachprüfer trägt irrationale Züge, in keinem einzigen Fall führt sie zu einer Widerlegung der von mir geäußerten Ansichten.

Auch die Forderung nach einer Beweislastumkehr ist natürlich unzulässig. Es gehört zu den elementaren Grundlagen des Prüfwesens, dass der Prüfer seine Entscheidung, dass eine Marke echt ist bzw. ein Stempel echt und zeitgerecht verwendet wurde, beweiskräftig glaubhaft machen muss. Sonst darf er keine Prüfung mit dem Ergebnis „echt“ bzw. „Stempel echt und zeitgerecht verwendet“ vornehmen. Bei Zweifeln muss er die Prüfung ablehnen. Der Prüfer ist nicht verpflichtet, eine Fälschung nachzuweisen.

In unserem Fall wurde gegen diese Regel eklatant verstoßen. Es ist im Falle der Stuttgarter Briefpoststempel nicht möglich, von Seiten der Prüfer beleghaft die Entwertungen auf 70 Kreuzer in deren regulärer Verwendungszeit nachzuweisen. Hingegen gibt es eine Vielzahl von beweiskräftigen Indizien, die für die Nachstempelungen mit den Originalstempeln, teils weit außerhalb der Kurszeit, sprechen. Es ist mir völlig unverständlich, dass Prüfer und Prüferverband
diese Indizien ignorieren und sich weigern, sich mit ihnen auseinanderzusetzen
und sie ggf. zu widerlegen versuchen.

Das Brühl/Thoma Handbuch schreibt:

„Wie bei den Inflationsmarken ist daher nicht „in dubio pro reo“ zu entscheiden, wie Müller-Mark so schön meint, sondern der echte Gebrauch der Marke ist nachzuweisen... Es hilft nichts: nur die nachweisbar echt gebrauchte Marke verdient einen wesentlich höheren Preis als die ungebrauchte.“ [24]


Der BPP hingegen schreibt:

[i]„Der Nachweis, dass die bisherige Prüfpraxis falsch ist, muss EINDEUTIGE und für jedermann nachvollziehbare Beweise bringen. Eine Aufforderung an die Prüfer, sie mögen doch bitte Ihre nun vorgebrachten Darlegungen mit Beweisen ‚entkräften‘, reicht da nicht aus. SIE zweifeln die bisherige Prüfpraxis an, die nicht von den jetzigen Prüfern ‚erfunden‘ oder nur eingeführt wurde, sondern seit Jahrzehnten Bestand hat.

Wir können nur solche ‚harten Fakten‘ letztendlich anerkennen, um die Kollegen zu einer anderen Prüfpraxis zu verpflichten, es geht eben nicht gerade um Peanuts. Nur durchschlagende Beweise anhand des philatelistischen Materials oder Auszüge aus den Akten zu den Vorgängen, die eine entsprechende Stempelpraxis nahelegen, können diesen Ansprüchen genügen.“ [25]


und weiter:

Der Prüfer hat, anders als Sie es darstellen, grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Briefmarke echt gestempelt ist. Gibt es also keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Falschstempel vorliegt, oder ist der Abschlag schlicht nicht klärbar, so dass nicht genügend Kriterien für diese Annahme vorliegen („nicht prüfbar“), wird er den Stempel nicht beanstanden. Es geht hier also gar nicht um eine Beweislastumkehr, sondern immer nur um die Fälschung – dieser juristische Grundsatz gilt selbst bei den Infla-Marken! Wenn es also keine Anhaltspunkte für eine Fälschung gibt, darf der Prüfer davon ausgehen, dass eine Marke echt gestempelt ist.

Der guten Ordnung halber: Marken und Stempel sind in unserem Falle echt, sie wurden nach Ablauf der Kurszeit entwertet und teilweise auch rückdatiert. Nach der Prüfordnung werden derartige Abstempelungen mit Falschstempeln gleichgesetzt. Die jetzt vorgetragene Auslegung der Prüfordnung erscheint eigenwillig und neu, aber auch nach dieser Auslegung dürfte eine Kategorisierung der Stuttgarter Briefpoststempel als „echt und zeitgerecht gebraucht“ wegen der bekannten schwerwiegenden Bedenken niemals stattfinden. Es gibt mehr als ein
Dutzend Parameter, die für die Nachstempelungen sprechen! Mir ist völlig rätselhaft, warum hierüber überhaupt diskutiert werden muss.

Forennutzer Jürgen Herbst schreibt zum Thema im stampsX-Forum:

Die Antwort der Verbandsprüfstelle bedeutet, daß ein Prüfergebnis dann, wenn es‚ langjähriger Prüfpraxis‘ entspricht, nur durch ‚harte Fakten‘ erschüttert werden kann. Man setzt sich dann also gar nicht erst mit begründeten Zweifeln auseinander, sondern betrachtet ein Prüfergebnis bereits deshalb als zutreffend, weil es in der Vergangenheit immer schon so ausfiel.

Der BPP verlangt vom Opfer der Beweislastumkehr im übrigen Unmögliches, wenn er Aktenauszüge einfordert. Prüfer und damit auch der Prüferverband wissen bzw. müssten wissen, dass alle Akten im Zusammenhang mit den Verkauf der Restbestände der 70 Kreuzer-Marken vernichtet wurden und man auf Spekulationen angewiesen ist.

Karl Köhler schreibt dazu:

Es wird kaum mehr gelingen, hier Tatsächliches festzustellen, da die Akten sowie die Nachweisungen der Restbestände beim Postamt 4 vernichtet worden sind. [26]


Die Argumente des BPP für seine Nichtintervention machen mich fassungslos. Der Prüferverband billigt die Weiterführung einer äußerst bedenklichen Prüfpraxis und macht sich damit angreifbar. Es soll alles bleiben wie gehabt, es sei denn:

Sie können aber davon ausgehen, dass die Kollegen Ihre Argumente allein aus Vorsicht im Hinterkopf behalten und reagieren werden, sobald sich wesentliche Voraussetzungen ändern.

Das ist sehr tröstlich zu wissen, ändert aber nichts an der Tatsache, dass eine äußerst fragwürdige Prüfpraxis mit hohem Schadenspotential zur Zeit mit ausdrücklicher Billigung des Prüferverbandes fortgeführt werden darf.

Das Verhalten des BPP-Vorstandes ist unbegreiflich, unverantwortlich und skandalös. Der Verband muss mit einem erheblichen Reputationsverlust
rechnen.

Die Verbandsprüftstelle hat nicht objektiv nach sachlichen Erwägungen entschieden, sondern nach sachfremden Kriterien. Sie hätte meinen unwiderlegbaren Hauptargumenten folgen und den betroffenen Prüfern eine Änderung ihrer Prüfpraxis empfehlen müssen. Meine Angebote für persönliche Gespräche wurden ignoriert.

Ich habe den BPP dringend ersucht, eine öffentliche Diskussion über die 70 Kreuzer-Nachstempelungen im allseitigen Interesse vermeiden zu helfen und dazu Vorschläge gemacht, die unbeachtet blieben. Ich empfinde es deshalb als besondere Zumutung, dass ich zur öffentlichen Thematisierung der Problematik gezwungen bin.

Wenn der BPP hier zu keiner Intervention bereit ist, dann ist aufgrund des sehr hohen Schadenspotentials diese öffentliche Diskussion notwendig, um eine Weiterführung der bisherigen fehlerhaften Prüfpraxis zu unterbinden.

Auch der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Württemberg hat sich im Rundbrief Nr. 202 (11/2021) zur Problematik geäußert. Der Vorsitzende Marc Klinkhammer schreibt:

Der Vorstand und die zuständigen Fachgebietsleiter der ArGe haben sich intensiv mit den angeblich falschen Briefpoststempeln auf Mi. Nr. 42 beschäftigt. Im Ergebnis folgt der Vorstand vollumfänglich der Meinung des BPP. Sämtliche Atteste zu diesem Sachverhalt besitzen uneingeschränkte Gültigkeit.

Dieses Statement ist in seiner absoluten Aussage völlig unbegreiflich. Die Ansicht über die Gültigkeit sämtlicher betroffenen Atteste kann als Empfehlung an die Arbeitsgemeinschaftsmitglieder missverstanden werden, die mit Stuttgarter Briefpoststempeln nachentwerteten 70 Kreuzer-Marken zu erwerben.

Es ist schon befremdlich genug, wenn der BPP die weitgehend irrationale Gegendarstellung der Fachprüfer veröffentlicht und sie als bare Münze verkauft, ohne sie vorher auf Plausibilität überprüft zu haben.

Noch erschreckender ist angesichts der klaren Sachlage das Verhalten
des ArGe-Vorstandes. Natürlich haben sich alle Württemberg-Prüfer große Verdienste um die Arbeitsgemeinschaft erworben und können Respekt erwarten, müssen sich aber der berechtigten und sachlich vorgetragenen Kritik an fragwürdigen Prüfentscheidungen stellen und die unbedingt notwendigen Konsequenzen ziehen. Vorstand und Fachgruppe Kreuzerzeit befinden sich in einem offenkundigen Interessenkonflikt, der eine objektive und sachliche
Beurteilung der Thematik verhindert. Der Vorstand sollte sich verpflichtet fühlen, die Interessen aller Mitglieder zu vertreten und seine Haltung in der Frage der Stuttgarter Briefpoststempel auf 70 Kreuzer überdenken.

[24] Brühl/Thoma, Handbuch der Württemberg-Philatelie, Kreuzerzeit 1851–1875, S. 87

[25] Schreiben der Verbandsprüfstelle vom 4.5.2021 an mich.

[26] Köhler/Sieger, S. 129
 
Richard Am: 02.05.2022 09:36:50 Gelesen: 1268# 10 @  
Bereits am 04.11.2021 veröffentlichte der BPP auf seiner Internetseite folgende Stellungnahme. Sie ist heute dort noch zu finden:


Stellungnahme der Verbandsprüfstelle sowie der zuständigen Prüfer – Württemberg 70 Kr.

BPP 04.11.2021 - Die Verbandsprüfstelle des BPP sowie die zuständigen Fachprüfer haben sich intensiv mit den Theorien von Herrn Feuser auseinandergesetzt und kommen zu nachstehendem Ergebnis:

Unsere heutige Antwort wird zweigeteilt sein: im 1. Teil möchten wir als Verbandsprüfstelle auf einige von Ihnen angesprochene Punkte antworten, im 2. Teil werden sich die Kollegen sehr detailreich mit Ihren Äußerungen beschäftigten und einen Punkt nach dem anderen mit Fakten abarbeiten.

Teil 1

Sie schreiben: Die Verbandsprüfstelle „hätte meinen unwiderlegbaren Hauptargumenten folgen und den betroffenen Prüfern eine Änderung ihrer Prüfpraxis empfehlen müssen. Meine Angebote für persönliche Gespräche wurden ignoriert.

Wie stellen Sie sich eine sachbezogene und ernsthafte Prüfung der von Ihnen seinerzeit vorgetragenen Argumente vor? Bedenken gegenüber einer Prüfpraxis werden in einer schmalen Stellungnahme der Verbandsprüfstelle vorgelegt, und diese stoppt per Weisung eine jahrzehntelange Prüfpraxis?

Allein die Tatsache, dass es sich um Millionenwerte handelt, die in Frage gestellt werden, gebietet es doch, hier keinem übereilten Aktionismus zu folgen, und schon gar nicht auf der Grundlage eines nur grob skizzierten Argumentationsgebäudes.

Nach einer kurzen Rücksprache mit den betroffenen Prüferkollegen sahen auch diese keinen sofortigen Handlungsbedarf, da die angeführten „Fakten“ für sich alle hinlänglich bekannt waren.

Woraufhin Sie beim Kollegen Stegmüller mit einem Aktenordner voller Unterlagen erschienen, den er sich gerne mal durchsehen, aber nicht behalten könne.

Soll die Verbandsprüfstelle auf der Grundlage eines solchen „persönlichen Gesprächs“ tatsächlich eine solch weitreichende Entscheidung treffen?

Die Verbandsprüfstelle hat sich, da sie ohne die fachliche Unterstützung der Kollegen die Thematik gar nicht allein beantworten kann, deshalb erlaubt, Sie um mehr Hintergrundinformationen zu bitten, um alle Ihre Feststellungen und Schlussfolgerungen in einer zusammenhängenden Ausarbeitung erfassen zu können, und damit sich die Prüferkollegen mit der Thematik Punkt für Punkt, aber auch im Zusammenhang befassen können.

Diese Mindestanforderungen sollten – angesichts ihrer Maximalforderung nach einer sofortigen Änderung der Prüfpraxis – erlaubt sein.

Dies ist aus unserer Sicht also weder eine Zumutung noch unhöflich, sondern gängige Praxis. Und es hat auch nichts damit zu tun, „vom Opfer der Beweislastumkehr Unmögliches“ zu verlangen.

Der Prüfer hat, anders als Sie es darstellen, grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Briefmarke echt gestempelt ist. Gibt es also keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Falschstempel vorliegt, oder ist der Abschlag schlicht nicht klärbar, so dass nicht genügend Kriterien für diese Annahme vorliegen („nicht prüfbar“), wird er den Stempel nicht beanstanden. Es geht hier also gar nicht um eine Beweislastumkehr, sondern immer nur um die Fälschung – dieser juristische Grundsatz gilt selbst bei den Infla-Marken! Der Jurist sagt: „in dubio pro reo“ – wenn es also keine Anhaltspunkte für eine Fälschung gibt, darf der Prüfer davon ausgehen, dass die Marke echt gestempelt ist.

Es geht hier aber gar nicht um die Prüfung eines Einzelstücks, sondern um Zweifel an der bisherigen Prüfpraxis im Umgang mit möglichen Rückdatierungen. Und wenn Sie die Grundlagen der Beurteilung anzweifeln, müssen Sie auch schlüssige Argumente vorlegen, auf deren Basis diese bisherige Praxis als nachweislich unzutreffend anzusehen ist.

Die Prüfpraxis hat sich über Jahrzehnte und über Prüfergenerationen weiterentwickelt. Auch wenn jeder Prüfer nur aus dem Kenntnisstand seiner Zeit prüfen kann und die Forschung nie stehen bleibt, garantiert dies eine gewisse Kontinuität und Stabilität, die für einen Markt essenziell sind. Glauben Sie denn wirklich, dass sich nicht jede Prüfergeneration ein eigenes Bild von den Umständen macht und viele Dinge kritisch hinterfragt? Allein schon aus haftungsrechtlichen Gründen wird sie dies tun.

„Harte Fakten“ zu fordern, ist deshalb auch kein Selbstzweck, um Sie zu quälen, sondern Notwendigkeit, um eine zu ändernde Prüfpraxis auch „gerichtsfest“ zu untermauern, denn mit einer solchen Auseinandersetzung als Folge der Änderung ist ja angesichts der Werte durchaus zu rechnen.

Und Sekundärliteratur (wie Köhler-Sieger, die Sie erwähnen) kann Indizien liefern, jedoch kein Amtsblatt, Aktenauszüge oder zwingende Schlussfolgerungen aufgrund des philatelistischen Materials ersetzen. Jeder forschende Philatelist kennt die Probleme mit diesen zwar zeitnahen, aber oft nur wiedergegebenen Fakten aus oft nicht näher bezeichneten oder nicht mehr vorhandenen Quellen.

Zu Ihrer Ausarbeitung schreiben Sie einleitend: Meine Aussagen zur Problematik sind eine unmaßgebliche Meinungsäußerung. Sie enthalten neben Tatsachen auch durch Indizien unterlegte Vermutungen und Spekulationen.

Und genau dies scheint uns – bei allem Respekt – auch die Crux zu sein. Sie führen zwar eine ganze Reihe von (bekannten) Fakten an, weben aber im Grunde nur ein mehr oder weniger selbstreferentielles Netz auf der Grundlage von Vermutungen, Indizien, Behauptungen und Annahmen, in das sie diese Feststellungen und/oder Fakten einsetzen um am Ende zu einem Ergebnis zu kommen, dass von vornherein feststeht.

Denn aus unserer Sicht basieren schon Ihre grundlegenden Feststellungen nur auf Annahmen, auf denen Sie dann weitere persönliche Überzeugungen und Behauptungen aufbauen – vermischt mit bekannten Fakten.

Diese Annahmen sind jedoch für sich schon entweder falsch, unbewiesen oder eher unwahrscheinlich:

Die Verausgabung des 70 Kr-Wertes erfolgte lt. Amtsblatt (Verfügung 17.896 vom 24.12.1872) AUSDRÜCKLICH für die Verwendung bei der Briefpost, die von Ihnen angenommene ausschließliche Verwendung am Paketpostschalter ist somit nicht korrekt.

Bei einer Menge von 2.850 Werten an 70 Kr- UND 2 Mark-Werten (wobei der Anteil der Mi-Nr. 52 an dieser Aufstellung zwar nicht geklärt ist, anhand der bisher registrierten Mengen an ungebrauchten Werten aber eher gering sein dürfte), die über einen fast 14 Jahre währenden Zeitraum verkauft wurde, ging statistisch etwa jeden zweiten Tag eine Marke über den Schalter. Hieraus – wenn auch nur für das Stuttgarter Hauptpostamt – eine Behinderung des „laufenden Betrieb(s) in nicht unerheblichem Ausmaß“ abzuleiten, erscheint uns nicht nur übertrieben, sondern im Gegenteil wenig wahrscheinlich.

Sie schreiben, dass „rund 600 bis 900 Exemplare nachträglich mit Gefälligkeitsstempeln versehen wurden, wohl ganz überwiegend im Zusammenhang mit dem Kauf der Marken an den beiden genannten Stuttgarter Postämtern. Der größte Teil der nachgestempelten Exemplare dürfte sich noch im Handel und bei Sammlern befinden“.

Bei einer überhaupt nur registrierten Menge von gut 1.000 Exemplaren der Mi-Nr. 42 legt dies nahe, dass nur 100 bis 400 Exemplare davon echt und zeitgerecht entwertet sein können, da die nachgestempelten Stücke den Hauptteil im heutigen Handel ausmachen sollen.

Wenn der größte Teil davon (nämlich über 500 Werte) jedoch nicht einmal die inkriminierten Stuttgarter Stempel zeigen und weitere gut 400 Exemplare bei der Stuttgarter Fahrpost verwendet wurden, wird offensichtlich, dass Ihre Schätzungen erheblich (!) übertrieben sind.

Die Angaben der Kollegen von gut 140 rückdatierten oder fraglichen Stücken sollten im Verhältnis zu den Gesamtzahlen dagegen deutlich wahrscheinlicher sein.

Auch Ihre Annahme eines zweimal identisch gebrochenen Stempels erscheint sehr fragwürdig. Selbst bei den INFLA-Stempeln, die ja in einem erheblich stärkeren Umfang täglichen Belastungen ausgesetzt waren und überarbeitet/ausgetauscht werden mussten, gibt es unseres Wissens keinen Stempel, der zweimal identisch – also nach einer Reparatur/Überarbeitung an der gleichen Stelle erneut – gebrochen ist. Nach menschlichem Ermessen sollte es doch viel wahrscheinlicher sein, dass der Stempel die ganze Zeit (an)gebrochen war und je nach Stärke oder Abschlag der Bruch mal mehr, mal weniger deutlich zu sehen ist.

Soweit eine vorgezogene Stellungnahme zu den wichtigsten Annahmen Ihrer Ausarbeitung. Zu allen weiteren Punkten finden Sie in der Antwort der Kollegen im zweiten Teil eine detailreiche, sach- und faktenbezogene und aus unserer Sicht auch überzeugende „Gegendarstellung“.

Mit dieser umfassenden Antwort sollte auch für Außenstehende klar werden, dass nicht nur die wesentlichen Annahmen, die als Eckpfeiler ihres Argumentationsgebäudes dienen, alles andere als zwingend sind – im Gegenteil: teils nicht einmal zutreffend –, sondern auch eine Vielzahl der von Ihnen daraus abgeleiteten Behauptungen.

Dass Sie sich im Rahmen dieser Diskussion über das Verhalten des BPP und der Verbandsprüfstelle geärgert haben, tut uns leid. Dass aber auf Sie „eingedroschen“ worden sei, wie Sie schreiben, hört sich jetzt zwar “markig” an, scheint aber doch maßlos übertrieben. Die Verbandsprüfstelle und auch die Fachkollegen haben sich mit dieser Antwort jedenfalls nur sachbezogen geäußert und werden das in der notwendigen Art auch weiterhin tun.

In der Hoffnung, auch Sie davon überzeugt zu haben, dass eine Änderung der Prüfpraxis nach den vorliegenden Antworten nicht vorgenommen werden kann, können wir Ihnen versichern, dass die Fachkollegen Ihre Zweifel dennoch im Auge behalten und bei Vorliegen belastbarer neuer Fakten auf jeden Fall noch einmal über die Problematik diskutieren werden.

Mit freundlichen Grüßen

Tobias Huylmans
Michael Jäschke-Lantelme
Franz Stegmüller



Teil 2 – Antwort der Fachprüfer

Seite 1

Normale Auslands- oder Chargébriefe mit der 70 Kreuzermarke sind bis jetzt keine bekannt geworden und auch nicht wahrscheinlich. Möglicherweise wurden die für 1873 genannte Anzahl der Marke zu Verrechnungszwecken im Bereich Telegrafie oder Zeitungsüberweisungen u. ä. verwendet.

Es gab konkreten Bedarf für diese Marke im Rahmen der Briefpost (höhergewichtige Auslandsbriefe), dies war im Übrigen der alleinige Grund die Marke auszugeben (s. a. amtliche Verfügung bei Brühl/Thoma wiedergegeben auf S. 81). Leider ist keiner dieser Briefe erhalten geblieben. Dass die Marke für Verrechnungszwecke genutzt wurde, ist reine Spekulation und u. E. abwegig. Es gibt keine Verlautbarungen hierzu seitens der Postverwaltung.

Seite 3

Nach jetzigem Erkenntnisstand wurden die Marken ab dem 1.2.1874 ausschließlich auf Paketkarten verwendet, andere Fahrpostverwendungen sind wohl nur theoretisch möglich.

Es gab stets konkreten Bedarf für diese Marke im Rahmen der Briefpost (höhergewichtige Auslandsbriefe). Eine Verwendung ausschließlich bei der Fahrpost zu unterstellen ist falsch. So forderte bereits im März 1873 Wildbad 70 Kr. Marken für eine Briefpostverwendung während der Badesaison an:



Die These von Peter Feuser, dass 70 Kr. nur auf Paketkarten echt und zeitgerecht entwertet vorkommen können, ist eine Fehleinschätzung mit gravierenden Folgen. Daraus erwachsen letztlich weitere Fehlannahmen und Theorien.

3. Die bekannten Wertbriefe mit 70 Kreuzer haben sich als Fälschungen herausgestellt.

Dies ist korrekt. Ein aktueller BPP-Prüfer hat sich dem Urteil seines Vorgängers nicht angeschlossen und beide Kronjuwelen der Württemberg-Philatelie als Fälschungen entlarvt. Das ist ein schlagkräftiger Beweis dafür, dass bei neuen Erkenntnissen von der Prüfpraxis abgewichen wird.

4. Aufgrund vieler Anfragen von Sammlern und Händlern wurden die Restbestände der Marke zum Nennwert von 2 Mark zunächst ab ca. 1876 am Postamt Stuttgart I (vermutlich an zwei Schaltern) und anschließend ab ca. 1880 an einem speziell eingerichteten „Sammlerschalter“ am Postamt Stuttgart IV verkauft.

Im Postamt I gab es keine Sammlerschalter. Diese entspringen der Fantasie des Verfassers, um später seine Theorien über angebliche Gefälligkeitsabstempelungen zu rechtfertigen. Den Sammlerschalter im Postamt IV soll es laut Handbuch von Köhler/Sieger (1940) gegeben haben. Eine amtliche Verlautbarung zu Sammlerschaltern oder zu der Genehmigung von Gefälligkeitsabstempelungen gibt es nicht. Alle Aussagen hierzu seitens Peter Feuser, auch zu den Jahreszahlen, sind reine Spekulation und u. E. nicht haltbar.

5. Wegen des verstärkten Wunsches der Sammler- und Händlerschaft nach gestempelten Exemplaren erklärte sich die Postverwaltung beim Kauf der Marken zu nachträglichen Gefälligkeitsabstempelungen bereit.

Der Verkauf von 2.850 St. 70 Kr.-Marken dauerte angeblich bis Herbst 1889 (Köhler/Sieger S. 129) also rund 14 Jahre. Täglich wurde also nicht einmal eine 70 Kr.-Marke verkauft. Aber: „Köhler/Sieger“ ist, wenn überhaupt, als „halbamtliche“ Quelle anzusehen. Denn der ehemalige Kurator der staatlichen Wertzeichensammlung, Karl Köhler, der Zugang zu den Akten hatte, war bei Erscheinen des Buches 1940 bereits tot. Konsul H. E. Sieger hat auf Basis von Manuskripten das Buch überarbeitet und ergänzt. Sieger schreibt auf S. 129 einen zentralen Satz, der leider mehr oder weniger für das ganze Thema von zentraler Bedeutung ist: „Es wird kaum mehr gelingen, hier Tatsächliches festzustellen, da die Akten sowie die Nachweisungen über die Verkäufe der Restbestände beim Postamt 4 vernichtet sind.“

6. Hierzu wurden beim Postamt Stuttgart I ein kleiner Einkreisstempel und ein kleiner Datumbrückenstempel verwendet. Im Zusammenhang mit der Errichtung des Sammlerschalters (wohl Ende 1879/Anfang 1880) wurden die beiden beim Postamt IV bis dahin in Gebrauch befindlichen Stempel (ein großer Datumbrückenstempel der Briefpost und ein Fächerstempel der Fahrpost) eigens für den Gebrauch beim Sammlerschalter ausgesondert.

Der ganze obige Absatz ist frei erfunden. Kein einziger Punkt ist belegbar oder kann anhand der überlieferten gestempelten Marken nachvollzogen werden.

7. Nach Außerkurssetzung bis zum Ende der Verkaufszeit Mitte 1889 wurden Karl Köhler zufolge 2.850 Exemplare der 70 Kreuzer an Liebhaber verkauft. Ich schätze, dass mindestens 20 bis 30 % davon, also rund 600 bis 900 Exemplare, nachträglich mit Gefälligkeitsstempeln versehen wurden…

Wir schätzen, dass etwa 50 bis 100 Marken der am Sammlerschalter Postamt IV verkauften Marken mit Gefälligkeitsstempel von verschiedenen württembergischen Orten versehen wurden. Nachweisbare Nachstempelungen von 70 Kr. kommen selten vor.

8. Die Nachstempelungen mit den vier verschiedenen Stempeln der Postämter Stuttgart I und IV werden hingegen bis auf ganz wenige Ausnahmen von den Verbandsprüfern in den Befunden und Attesten als „echt und zeitgerecht verwendet“ anerkannt. Dies ist natürlich ein Unding, weil die nachträglich gestempelten und im Falle der Datumbrückenstempel rückdatierten Exemplare der 70 Kreuzer nach den Normen des BPP als falsche Entwertungen angesehen werden müssen.

Im Stuttgarter Postamt I wurde kein Stempel für Nachstempelungen benutzt. Vom Postamt IV wurde die Datumbrücke in Schwarz für Nachstempelungen benutzt, dies wird auch seit Jahrzehnten entsprechend geprüft.

9. Wenn die 70 Kreuzer-Marken ab 1.2.1874 ausschließlich auf Paketkarten verwendet wurden, was ja festzustehen scheint, dann ist eine Entwertung mit den drei Briefpoststempeln der Postämter Stuttgart I und IV als Aufgabestempel auf Paketkarten technisch ausgeschlossen.

Dies ist eine gravierende Fehleinschätzung, 70 Kr. Marken wurden stets auch für die Briefpost verwendet (vgl. Ziff. 2).

10. Es war unmöglich, an einem Briefpostschalter der großen Stuttgarter Postämter ein Paket aufzugeben.

Das stimmt, aber höhergewichtige Auslandsbriefe wurden am Briefpostschalter aufgegeben, mit 70 Kr.-Marken versehen und mit Stempeln der Briefpost entwertet (vgl. u. a. Ziff. 2).

11. Neben der 70 Kreuzer wurde der Haupterlös wohl durch den Verkauf einer weiteren Innendienstmarke erzielt: der 2 Mark gelb (Michel-Nr. 50).

Falsch. Die Restbestände der Michel-Nr. 50 wurden verbrannt und nicht verkauft (vgl. Köhler/Sieger S. 128).

12. Die Postverwaltung genehmigte offenbar bereitwillig die Gefälligkeitsabstempelung von verkauften 70 Kreuzer. Die Marken hatten ja keine Gültigkeit und die Poststempel damit keinen urkundlichen Charakter mehr. Es wurden scheinbar auch Sonderwünsche erfüllt, wie beispielsweise wappenfreie Abstempelungen u. ä.. Beim Postamt I wurden die 70 Kreuzer-Marken an offenbar zwei Schaltern verkauft. An dem einen bediente man sich für die nachträglichen Abstempelungen des Einkreisstempels STUTTGART, am anderen des kleinen Datumbrückenstempels STUTTGART POSTAMT I.

Alles frei erfunden. Es gibt keinerlei Verlautbarungen der Post hierzu. Die angeblichen Gefälligkeits-Abstempelungen des Postamtes I sind bedarfs- und zeitgerechte Briefpostentwertungen. Die Abstempelung auf der Bogenecke S. 9 (unten Mitte) wurde von Heinz Thoma im Attest angezweifelt. Eine aktuelle Einschätzung eines amtierenden BPP-Prüfers zu diesem Stück gibt es u. W. nicht.

13. Der kleine Datumbrückenstempel des Postamtes I ist als Briefpoststempel bei der Aufgabe von Paketkarten ebenfalls nicht möglich. Bis ca. 1880 sind keine Paketkarten mit dem Stempel bei der Aufgabe bekannt. Es handelt sich ebenfalls in allen Fällen einer Entwertung auf 70 Kreuzer um Nachstempelungen aus dem Zeitraum von 1876 bis Ende 1879, evtl. in ganz wenigen Fällen auch zu einem späteren Zeitpunkt.

Die angeblichen Gefälligkeits-Abstempelungen des Postamtes I mit der Datumbrücke sind bedarfs- und zeitgerechte Briefpostentwertungen.

14. Der Verkauf der 70 Kreuzer-Marken im Stuttgarter Hauptpostamt behinderte dort den laufenden Betrieb in nicht unerheblichem Ausmaß.

Im Stuttgarter Hauptpostamt gab es keine Sammlerschalter. Es wurden dort keine 70 Kr. verkauft. Es gibt keine amtliche Verlautbarung der Post hierzu.

15. Die Postverwaltung entschloss sich 1879 daher, den Verkauf der 70 Kreuzer-Marken an einen speziellen „Sammlerschalter“ im Postamt IV zu verlagern. Wegen des immer noch vorhandenen Bedürfnisses der Interessenten nach gestempelten Exemplaren (mittlerweile waren wohl auch von den Paketkarten abgelöste Bedarfsstücke im Handel) wurden sowohl der bei der Briefpost eingesetzte Datumbrückenstempel und der bei der Fahrpost benutzte Fächerstempel des Postamtes IV ausgesondert und ab da während der Verkaufszeit der 70 Kreuzer wohl ausschließlich am Sammlerschalter weiterverwendet. Die vorhandenen Stempelkissen mitsamt ihrer kräftiggrünen Farbe wurden ebenfalls weiterbenutzt.

Alles frei erfunden. Es gibt keinerlei Verlautbarungen der Post hierzu, und der Fußnotenhinweis auf die Literaturstelle Winkler/Klinkhammer: „Postalische Stempel Württembergs“ ist unlauter, die Errichtung eines Sammlerschalters 1879 beim Postamt IV wird dort nicht erwähnt. Vom Postamt IV wurde die Datumbrücke in Schwarz für Nachstempelungen benutzt, dies wird auch seit Jahrzehnten entsprechend geprüft.

16. Der Datumbrückenstempel befand sich 1879 in einem relativ schlechten Zustand. Die ursprünglich vorhandenen Stege der Datumszeile waren verschwunden. Ganz offenbar wurden deshalb beide Stempel einer Generalüberholung unterzogen, gereinigt und möglicherweise nachgraviert.

Weder der Datumbrückenstempel noch ein anderer Stuttgarter Stempel wurde für den Zweck von Nachstempelungen überarbeitet oder repariert. Dies ist völlig abwegig und frei erfunden.

17. Nachstempelungen mit dem schwarzen Datumbrückenstempel auf 70 Kreuzer sind in nur wenigen Exemplaren bekannt. Die Annahme, dass nur diese Abstempelungen in schwarzer Farbe als nachgestempelt zu gelten haben, ist völlig realitätsfern.

Tatsächlich sind nur diese schwarzen Abstempelungen nachgestempelt!

18. Da die anderen in Zusammenhang mit den Restbestandverkäufen an den Stuttgarter Postämtern I und IV erfolgten Gefälligkeitsabstempelungen bisher praktisch alle fälschlicherweise als echt und zeitgerecht verwendet geprüft wurden und werden, hätte der Anteil der nachgestempelten Exemplare an den „Sammlerschaltern“ nur im Promillebereich gelegen, anstatt den von mir angenommenen mindestens 20 bis 30 % (ca. 600 bis 900 Exemplare) aller verkauften 70 Kreuzer. Mir ist rätselhaft, wie ansonsten hochkarätigste Spezialprüfer einer derartigen Fehleinschätzung unterliegen können.

U.E. ließen tatsächlich nur die wenigsten Sammler die teure Marke abstempeln, da ungebrauchte Marken nicht verfügbar waren. Gestempelte Marken kamen zu dieser Zeit schon auf den Markt.

19. Ein weiteres, sehr deutliches Indiz für die Nachstempelungen liegt in der Verwendung der 2 Mark gelb, ebenfalls eine Innendienstmarke, die nicht an das Publikum abgegeben werden durfte. Briefe mit dieser Marke sind mir, ebenso wie solche der 70 Kreuzer, nicht bekannt, sondern nur Paketkarten.

Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Ab 1.7.1875 trat der Weltpostvertrag in Kraft. Auslandstarife verbilligten sich dadurch dramatisch. Die Nachfolgemarke der 70 Kr.-Marke, die 2 M. gelb, wurde tatsächlich ganz überwiegend nur noch auf Paketkarten verwendet.

20. Nach der Grundüberholung und Reparatur des Datumbrückenstempel wohl Ende 1879 befand sich der Stempel, wie bei seiner Einführung, in einem einwandfreien Zustand. Die Stege waren vollständig sichtbar. Da der vorhandene Stempeleinsatz und auch die grüne Stempelfarbe weiterbenutzt wurden, könnten die gleichen Abnutzungserscheinungen auch bei den Nachstempelungen in den 1880er-Jahren entstanden sein und den Eindruck einer zeitgerechten Entwertung hinterlassen.

Eine zeitgleiche Abnutzung eines reparierten Stempels, die mit dem Originalstempel und den verwendeten Stempeldaten korrespondiert, kann ausgeschlossen werden. Diese These ist abenteuerlich, da dieser Stempel mit den typischen Beschädigungen noch nach 1890 bekannt ist.

21. Die Häufung von gleichen Stempeldaten auf bestens erhaltenen 70 Kreuzer ist ebenfalls bemerkenswert. Mir liegen Abbildungen von einigen Dutzend 70 Kreuzer-Marken mit dem grünem Datumbrückenstempel vor. Davon tragen 4 Einzelstücke und zwei Paare das Datum 1. XII. 74 (siehe die Abbildungen). Auch dies ist ein Hinweis auf Nachstempelungen.

70 Kr.-Marken mit gleichem Stempeldatum sind nur Hinweise darauf, dass Blockstücke aufgeteilt wurden. Einige Sechserblocks lassen sich rekonstruieren. Dies ist kein Hinweis auf Nachstempelungen.

22. So sind mir Doppelentwertungen mit dem grünen Datum- und Fächerstempel in drei Fällen bekannt (siehe die Abbildungen), vermutlich gibt es mehr davon. Eine häufigere bedarfsmäßige Nachstempelung von bereits mit dem Fächerstempel entwerteten Marken in der regulären Gebrauchszeit der 70 Kreuzer kann man getrost ausschließen. Der Charakter der Abstempelungen spricht eindeutig für eine Nachstempelung am Sammlerschalter in den 1880er-Jahren. Die genannten drei Doppelentwertungen belegen auch eindeutig die gleichzeitige Verwendung beider Stempel am Sammlerschalter.

Über das Zustandekommen dieser Doppelentwertungen kann nur spekuliert werden. Keinesfalls sind sie jedoch ein Hinweis auf Nachentwertungen am Sammlerschalter.

23. Mit dem Datumbrückenstempel wurden während seiner Verwendung am Sammlerschalter in größerem Umfang weitere Stempelspielereien vorgenommen. Die Abbildungen zeigen 70 Kreuzer-Marken mit einem, zwei, drei oder sogar vier Eckstempeln. Es bestand die Vorschrift zur zentrischen Entwertung der Marken, die während der Laufzeit der 70 Kreuzer nur gelegentlich bei paarweisen zentrischen Entwertungen übergangen wurde.

Es gibt weder eine Stempelspielerei am Sammlerschalter noch eine Vorschrift, die 70 Kr.-Marken zentrisch zu entwerten. Weder ein Sammler noch ein Postbeamter würden je auf die Idee kommen, Marken derart zu verstempeln. Solche Verstempelungen geben eher Hinweis auf Stücke aus dem Bedarf.

24. Es könnte eine dreistellige Anzahl mit diesem Stempel entwerteter 70 Kreuzer-Marken existieren. Alle Abstempelungen mit dem grünen Datumbrückenstempel des Postamtes IV sind Nachstempelungen aus den 1880er-Jahren, also weit außerhalb der Kurszeit der 70 Kreuzer. Sie müssen nach den Regeln des Prüferverbandes als falsch gelten. In Zukunft dürfen sie keinesfalls mehr als zeitgerechte Entwertungen auf 70 Kreuzer-Marken befundet und attestiert werden. Frühere Befunde und Atteste, in denen eine zeitgerechte Entwertung bescheinigt wird, können in diesem Punkt keinen Bestand mehr haben.

Stücke mit dem grünen Datumbrückenstempel des Postamtes IV stammen entweder von einem höhergewichtigen Auslandsbrief oder von einer zeitweiligen Verwendung des Datumbrücken-stempels am Fahrpost-Schalter. Alle Atteste der letzten Jahre sind auch heute noch zutreffend.

25 Die Häufung von gleichen Stempeldaten (hier der 17. November) bei gleichzeitiger bester Schnitt und Stempelqualität ist ein deutliches Indiz für die Nachstempelungen am Postamt IV. Es gibt bei zahlreichen Prüfstücken deutliche Anzeichen für eine Nachstempelung, das gilt auch– das ist sehr traurig, aber wahr – für den bekannten Dreierstreifen der 42a aus der 2. Trostauktion mit Stempeldatum 17. NOV. (1874). Dieses Datum kommt wiederholt auf einheitlich breitrandigen und schön gestempelten Einzelstücken und Paaren vor (siehe die Abbildungen). Wer soll glauben, dass sich diese Marken jemals zeitgerecht auf Paketkarten befunden haben?

70 Kr.-Marken mit gleichem Stempeldatum sind nur Hinweise darauf, dass Blockstücke aufgeteilt wurden. Einige Sechserblocks lassen sich rekonstruieren. Dies ist kein Hinweis auf Nachstempelungen.
 
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