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Thema: Schweiz: Die Kocher-Marken
merkuria Am: 24.10.2022 16:53:00 Gelesen: 1501# 1 @  
Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts machten sich manche Unternehmen und Institutionen Gedanken, wie man die immer zahlreicher aufkommende Briefpost für Werbezwecke nutzen könnte. Zuerst kam man auf die Idee von oft briefmarkenähnlichen Werbeaufklebern, die neben die Frankaturen von Poststücken geklebt werden konnten. Einen Schritt weiter gingen einige Unternehmen, die auffallend bunte Werbeaufkleber mit einem Leerfeld zum Anbringen der Frankatur entwarfen.



Die Umsetzung dieser Idee war jedoch zeitaufwändig, musste doch erst die Vignette und dann zusätzlich die Briefmarke aufgeklebt werden.

1909 kam dem Unternehmer A. Kocher aus La Chaux-de-Fonds die Idee, die Briefmarke könnte doch direkt auf die Werbevignette gedruckt werden. Am 24. Mai 1909 stellte er eine diesbezügliche Anfrage an die Wertzeichenkontrolle in Bern, welche bereits am 28. Mai 1909 positiv beantwortet wurde. Diese schnelle Genehmigung verdankt Kocher einer irrtümlich ausgelegten Verfügung der Oberpostdirektion vom September 1907, welche der Wertzeichenkontrollstelle den unentgeltlichen Aufdruck von Frankatur-Wertzeichen auf gebrauchsfähige und mit Angabe der Absenderfirma versehene Briefumschläge, Postkarten, offene Drucksachenkarten und Streifbändern gestattete.

Am 7. Juni 1909 bestellte Kocher bereits die ersten 6000 Exemplare mit 3 verschiedenen Wertzeicheneindrucken zu 2, 5 und 10 Rappen. Jede Wertstufe wurde auf 4 verschiedenfarbigen Vignetten (violett, blau, grün,rot) in einer Auflage von je 500 Exemplaren ausgeliefert. Der Wertzeicheneindruck erfolgte auf die angelieferten Vignetten-Bogen à 20 Marken (5 Reihen à 4 Marken), die Bogenränder waren ungezähnt.





Bereits Ende Juni 1909 bestellte Kocher nochmals 10‘000 Exemplare des meist gebrauchten Wertzeicheneindrucks zu 5 Rappen. Diese wurden wieder auf 4 verschiedenfarbigen Vignetten (violett, blau, grün,rot) in einer Auflage von je 2‘500 Exemplaren ausgeliefert. Der Wertzeicheneindruck erfolgte auf angelieferte Vignetten-Grossbogen mit allseitig gezähnten Vignetten.

Am 13. Juli 1909 wollte Kocher weitere Vignetten bedrucken lassen, was ihm aber von der Oberpostdirektion verwehrt wurde:

„Die Verwendung der Reklameaufkleber, auf welche Sie in letzter Zeit durch die Wertzeichenkontrolle Briefmarken aufdrucken liessen, hat zu Unzulänglichkeiten geführt und bei den Postämtern Verwirrung gestiftet. Wir sehen uns daher gezwungen, der Wertzeichenkontrolle zu untersagen, weitere Reklameaufkleber zum Aufdruck von Wertzeichen entgegenzunehmen…“

Die Oberpostdirektion erlaubt Kocher das Aufbrauchen der noch vorhandenen Marken bis 31. Dezember 1942 (Gültigkeitsende der eingedruckten Wertzeichen). Eine Schadenersatzforderung Kochers (dieser hatte bereits weitere 60‘000 leere Vignetten drucken lassen!) wird abgelehnt.

Die gesamthaft 16‘000 gedruckten Exemplare (2‘000 Ex der 2 Rappen, 12‘000 Ex der 5 Rappen, 2‘000 Ex der 10 Rappen Wertstufen) haben uns natürlich auch zahlreiche schöne Bedarfsbelege beschert!



Brief bis 250g vom 8. Februar 1910 von Locle nach La Chaux-de-Fonds im Lokalrayon bis 10 Km. Korrekte Frankatur von 5 Rappen gemäss Gebührenverordnung vom 1.12.1891-31.12.1917.

Verkauft an der 234.-243. Corinphila Auktion im Juni 2019 in Zürich für CHF 440 + Aufgeld.



Brief bis 250 g vom 4. Juni 1921 von St. Jmier nach Montreux. Korrekte Frankatur von 20 Rappen gemäss Gebührenverordnung vom 1.1.1921-30.6.1925.

Verkauft an der 234.-243. Corinphila Auktion im Juni 2019 in Zürich für CHF 440 + Aufgeld.



Brief bis 250g vom 12. Juli 1909 von Moutier nach Chaux-de-Fonds. Korrekte Frankatur von 10 Rappen gemäss Gebührenverordnung vom 1.12.1891-31.12.1917.

Verkauft an der 234.-243. Corinphila Auktion im Juni 2019 in Zürich für CHF 850 + Aufgeld.



Seltener Einschreibe-Ausland-Brief bis 20g vom 18. März 1911 von St. Imier nach Gaud/Belgien. Korrekte Frankatur von 50 Rappen gemäss Gebührenverordnung vom 1.10.1907-31.1.1921 (Porto 25 Rp) und 1.4.1879-31.12.1921 (Einschreibegebühr 25 Rp).

Verkauft an der Chiani-Auktion von März 2013 in Gossau für CHF 23‘200 inkl. Aufgeld.

Grüsse aus der Schweiz
Jacques
 
merkuria Am: 01.11.2022 08:39:39 Gelesen: 1358# 2 @  


Hier noch ein besonderer Beleg für die zeitgenössische Werbung anfangs des 20. Jahrhunderts : Ein auf Briefformat zusammenlegbarer Bogen wurde mit unzähligen Werbeanzeigen von Basler Unternehmen sowie eines Anbieters aus München bedruckt. Die Frankatur erfolgte mittels zwei 10 Rappen Kocher-Marken und einer losen Freimarke zu 5 Rappen.



Korrespondenzbrief eines Basler Werbe-Verlegers vom 18. November 1909 von Chaux-de-Fonds nach Paris. Korrekte Frankatur von 25 Rappen gemäss Gebührenverordnung vom 1.10.1907-31.1.1921 (Porto 25 Rp).

Verkauft an der 54. Christoph Gärtner Auktion von 18. Oktober 2022 unter Los Nr. 4332 für € 1‘150 + Aufgeld.

Grüsse aus der Schweiz
Jacques
 
merkuria Am: 05.11.2022 22:40:57 Gelesen: 1279# 3 @  
Die drei nachfolgenden Belege zeigen uns, dass die Schweizer Post vermutlich schon 1909 bei der Erschaffung von „Abarten“ Hand geboten hat. Anders kann ich mir den Umstand nicht erklären, dass beim Bedrucken der Vignetten gleich bei drei Farben das Druckklischee für einen Werteindruck fehlt. Die entsprechenden Bogenteile wurden danach durch den Auftraggeber zur Schaffung von attraktiven Belegen verwendet!

Als korrekte Frankatur für diese Belege hätten jedoch gemäss Gebührenverordnung vom 1.12.1891-31.12.1917 total 15 Rappen (5 Rappen für das Porto im Lokalbereich und zusätzlichen 10 Rappen für die Einschreibegebühr) ausgereicht. Leider wurden aber alle drei Belege mit 10 Rappen überfrankiert.



Einschreibebrief im Ortsverkehr La Chaux-de-Fonds, Aufgabe 25. Oktober 1909, Tellknabe 5 Rappen im violetten Rahmen (SBK Nr. 2a).

Verkauft an der 234.-243. Corinphila Auktion im Juni 2019 in Zürich unter Los Nr. 9249 für CHF 1‘300 + Aufgeld.



Einschreibebrief im Ortsverkehr La Chaux-de-Fonds, Aufgabe 25. Oktober 1909, Tellknabe 5 Rappen im blauen Rahmen (SBK Nr. 2b).

Verkauft an der 234.-243. Corinphila Auktion im Juni 2019 in Zürich unter Los Nr. 9247 für CHF 1‘100 + Aufgeld.



Einschreibebrief im Ortsverkehr La Chaux-de-Fonds, Aufgabe 14. Oktober 1909, Tellknabe 5 Rappen im grünen Rahmen (SBK Nr. 2c).

Verkauft an der 234.-243. Corinphila Auktion im Juni 2019 in Zürich unter Los Nr. 9255 für CHF 900 + Aufgeld.

Grüsse aus der Schweiz
Jacques
 
merkuria Am: 16.02.2023 09:46:06 Gelesen: 904# 4 @  
In der Einleitung [#1] lesen wir:

Zuerst kam man auf die Idee von oft briefmarkenähnlichen Werbeaufklebern, die neben die Frankaturen von Poststücken geklebt werden konnten. Einen Schritt weiter gingen einige Unternehmen, die auffallend bunte Werbeaufkleber mit einem Leerfeld zum Anbringen der Frankatur entwarfen. Die Umsetzung dieser Idee war jedoch zeitaufwändig, musste doch erst die Vignette und dann zusätzlich die Briefmarke aufgeklebt werden.

Genau diese Methode wurde vom Hotel „Bahnhof“ in Baden angewandt: Inlandbrief von Baden nach Burgdorf, Aufgabe 16. November 1910 mit korrekter Frankatur von 10 Rappen gemäss Gebührenverordnung vom 1.12.1891 - 31.12.1917.

Die Frankatur mit Mi Nr. 114 wurde dabei auf einer extra dafür geschaffenen, bunt gestalteten Werbevignette des Hotels angebracht. Solche Belege sind nicht häufig und erzielen oft höhere Preise als die traditionellen Kocher-Belege.



Dieser Brief wurde an der 71. Rölli Auktion vom 11. Februar 2023 für 3‘400 CHF (ca. 3‘450 €) + Aufgeld verkauft.

Grüsse aus der Schweiz
Jacques
 
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