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Thema: Deutsches Reich Briefe erzählen Geschichten
EdgarR Am: 12.12.2015 16:57:37 Gelesen: 5655# 1 @  
Es ist nur ein ziemlich unscheinbarer Brief - Markensammler würden die Nase rümpfen über den beschädigten "Knochen" (Mi.-Nr. 33).



Vorderseite

Am 28.9.1885 mittags (12 - 1 am Nachmittag) von Allendorf im Regierungsbezirk Cassel (heute: Bad Sooden-Allendorf, PLZ 37242) nach Bettenhausen (seit 1906 einem Stadtteil von Kassel).



Rückseite

Dort angekommen abends (8 - 12 N). So weit, so unscheinbar. Doch was ist das da im orangeroten Oval?



Da lugt doch eine Marke mit Stempel hervor? Vorsichtiges Beäugen der Innenseite zeigt: Das Kuvert war bereits einmal verwendet worden, für einen Brief von Nürnberg (ab am 25.9.1885 um 7 - 8 vormittags) nach - natürlich! - Allendorf (bzw. Bad Sooden-Allendorf). Ein dreizeiliger Rechteckstempel (Allendorf?) als Ankunftstempel wurde rückseitig auch abgeschlagen, dieser ist aber fast völlig überklebt worden als der Empfänger den Umschlag - man warf nichts irgend brauchbares weg, damals, sondern verwendete weiter! - auf links wendete und neu zusammenklebte.

Die Marke ist eine 10 Pfennig Bayern (Mi.-Nr. 49), der Stempel ist ein Kreisstempel "NÜRNBERG II". Doch nicht genug mit diesem "Recycling" gut 90 Jahre BEVOR dieser Begriff überhaupt erfunden wurde: Schließlich wurde die Kuvert-Rückseite (siehe grüne Ovale) noch als Notizzettel benutzt



Bevor der Umschlag schließlich in einem Buch als Lesezeichen eingelegt wurde und dort vergessen ging, für viele Jahrzehnte.

Wie gesagt, nichts Spektakuläres, aber eine ganze Geschichte.

Gruß
EdgarR
 
bayern klassisch Am: 12.12.2015 17:58:20 Gelesen: 5637# 2 @  
@ EdgarR [#1]

Hallo Edgar,

Besonderheiten müssen nicht immer schön sein - das hier ist eine Besonderheit und ich freue mich mit dir, dass du solch ein Rosinchen gefunden hast. Hinten zu schauen lohnt sich halt doch hin und wieder.

Liebe Grüsse,
Ralph
 
mausbach1 (RIP) Am: 13.12.2015 08:52:52 Gelesen: 5582# 3 @  
Einfach toll! Großen Glückwunsch!

Schönen 3. Advent
Claus
 
Max78 Am: 15.12.2015 08:29:26 Gelesen: 5524# 4 @  
Ein schönes Thema, EdgarR, danke schön.

Auch ich finde Belege mit ungewöhnlichem Gebrauch/ Postwegen interessant. Sind Sie hauptsächlich aus den Zeiten bekannt, als Papier Mangelware war, wie z.B. gegen Ende des 3. Reiches oder der alliierten Besetzung, so habe ich eine wie oben gezeigte "Zweifachverwendung" aus einer Zeit vor 1900 inklusive "Bastelkunst" noch nicht gesehen.

Um beim Thema zu bleiben möchte ich eine Postsache aus dem Jahre 1941 zeigen. Anfang/Mitte 1941 machte sich der Papiermangel im öffentlichen Leben spürbar bemerkbar. Es werden erstmals kirchliche Druckaufträge verweigert, zahlreiche deutsche Rundfunkzeitschriften und andere Presseerzeugnisse werden eingestellt, einige Tageszeitungen müssen ihren Umfang verringern (darunter auch der Springer Verlag). In der Zeitschrift "Der Vierjahresplan" heisst es schließlich am 13. Dezember 1941:

"Rohstoffmangel ist Problem Nr.1. Die Zeitschrift stellt mit Besorgnis fest, dass der für die Herstellung von Lebensmittelkarten pro Monat notwendige Papierbedarf 2000 bis 3000 Tonnen beträge. Angesichts der zunehmenden Verknappung von Rohstoffen vor allem in den Bereichen Edelmetalle, Leder, Papier, Kautschuk, Wolle und Energie wird versucht, durch den verstärkten Einsatz von Ersatzstoffen sowie durch umfangreiche Sammelaktionen Abhilfe zu schaffen... Auf Grund des herrschenden Papiermangels wurde bereits die zugeteilte Papiermenge für Zeitungsverlage um 25 % herabgesetzt. Viele Zeitungen haben ihr Kultur- und Lokalbeiträge auf ein Minimum reduziert, um in ihren zwei- bis vierseitigen Ausgaben Platz für politische Meldungen zu schaffen."

Hier nun die Postsache, die gleich 2 mal wiederverwendet wurde, sprich 3 Tagesstempel aufweist (Tagesstempel, Poststellenstempel und Gelegenheitsstempel):



Auf den ersten Blick ein ganz normale Postsache abgesendet vom Postamt Velten (Mark) nach Berlin



Auf den zweiten Blick schon ein wenig mehr auf dem Kerbholz: Am 21.08.41 vom Postamt Fraustadt nach Vehlefanz gesendet, wurde dort der Tagesstempel + Postamt Fraustadt-Vermerk durchgestrichen und nach Velten weitergeleitet (mit schönem Poststellenstempel vom 11.10.1941). Dort angekommen wurde das ganze überklebt und ging schließlich auf die letzten Kilometer nach Berlin.

Vorerst der Beleg mit der häufigsten "Wiederverwendung" in meiner Sammlung, bald noch ein Beispiel aus der alliierten Besetzung,

mit besten Grüßen Max
 
Heinrich3 Am: 15.12.2015 13:13:51 Gelesen: 5488# 5 @  
Selbst Briefstücke geben noch manches preis, wie man sehen kann:



Im Dezember 1922 erhielt das Herbaria-Kräuterparadies eine Bestellung - da kostete der Brief noch 12 Mark Porto. Im Juli 1923 versandte das Kräuterparadies Ware oder auch nur einen Zwischenbescheid - das kostete 300 Mark. Offensichtlich mußte auch zu Zeiten der damaligen Inflation gespart werden.

Gruß
Heinrich
 
10Parale Am: 21.08.2016 14:39:49 Gelesen: 4915# 6 @  
Dieses Einschreiben am 10. April 1938 in Dresden wurde unter anderem mit der nur 2 Tage vorher erschienen Marke Michel Nr. 662/63 "Anschluß Österreichs an das Dritte Reich" freigemacht. Das Gesamtporto des Briefes beträgt 55 Pfennig, darunter noch der Satz "5. Jahrestag der Machtergreifung Hitlers" Auf dieser Marke sieht man im Hintergrund das Motiv Brandenburger Tor in Berlin. Die 1 Pfennig Marke Hindenburg schwarz rundet das Porto ab.

Karl Robertson, Konzertsänger und Gesanglehrer aus Dresden, schickte den Brief nach New Iberia im Bundesstaat Louisiana. Der Brief ist jeweils auf der Vorder- bzw. Rückseite versehen mit dem Aufruf "Am 10. April dem Führer Dein "Ja"."

Das historische Ereignis und die scheinbaren Wahlen werden als der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich in die Geschichte eingehen. Man kann das unter https://de.wikipedia.org/wiki/Anschluss_%C3%96sterreichs nachlesen und studieren.

Was diesen Brief in meinen Augen so einmalig macht, ist die Kongruenz zwischen historischen Ereignissen und Philatelie. Der Empfänger war wohl Mitarbeiter der amerikanischen Eisenbahngesellschaft "Southern Pacific Line".

Die Rückseite des Briefes ist sehr schön anzusehen, nicht nur durch die Markenanordnung, auch durch die vielen Stempel die man dort sieht. Am 20. April, nach gut 10 Tagen Schiffsreise, erreichte der Brief Waschington D.C und wurde dort wunderschöne abgestempelt. 2 Tage später landet er in New Iberia.

Was dachte wohl der Empfänger über die geschichtlichen Ereignisse in Deutschland?

Was mich besonders interessiert ist der Stempel mit der 1, den man eigentlich nur aus der Frühzeit der amerikanischen Philatelie kennt. Meines Wissens ist dies doch der Stempel von New York, den man oft auf sehr alten Briefen aus dem 19. Jahrhundert sieht? War er 1938 noch in Gebrauch?

Mitte April 1945 beendet das Vorrücken der roten Armee in Wien die Vorherrschaft des Nationalsozialismus. Die Geschichte nahm ihren weiteren Lauf. Für mich sind solche Belege immer wieder ein wenig Erinnerung an meinen Schulunterricht und dokumentieren Zeitgeschichte unmißverständlich.

Liebe Grüße

10Parale


 
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