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Thema: Unstimmige Literatur- und Internetbewertungen von Exponaten bei der IBRA 2023
Richard Am: 30.08.2023 09:35:37 Gelesen: 939# 1 @  
Der nachfolgende Beitrag unseres Mitglieds Wolfgang Maassen ist als Erstveröffentlichung erschienen in der AIJP Mitgliederzeitschrift The Philatelic Journalist 171 [1], Juli 2023, Seite 15-16. Wir danken für die freundliche Überlassung.


Persönliche Gedanken zur Literaturbewertung bei der IBRA 2023

Wolfgang Maassen (AIJP)

Ari Muhonen, Mitglied des AIJP-Vorstandes, früherer Sekretär der FIP-Literaturkommission und selbst erfahrener Juror hat zu diesem Thema bereits Grundsätzliches ausgeführt, was auch in dieser neuen Ausgabe des „Philatelic Journalist“ veröffentlicht wird. Dem ist nichts hinzuzufügen. Wohl aber lohnt es, einen näheren Blick auf die IBRA 2023, und hier auf die Literatur-Wettbewerbsklasse und deren Ergebnisse, zu werfen, um diese Aussagen zu verifizieren.

In Essen waren fünf Juroren tätig, die neben der Literatur auch für jeweils mindestens eine weitere Wettbewerbsklasse tätig waren. Die Juroren waren: Tay Peng Hian als sog. Teamleader, Aldo Samame, Yigal Nathaniel, Jiro Sedlak und Reinaldo Macedo. Um die über 220 Exponate in der zur Verfügung stehenden Zeit bewerten zu können, reisten diese Juroren zwei Tage früher an als die anderen, da sie während der eigentlichen IBRA-Öffnungszeit in anderen Klassen arbeiteten. Soweit dem Autor bekannt, ist nur der Tscheche Jiri Sedlak der deutschen Sprache mächtig. Es waren aber allein 105 deutsche Exponate zu bewerten, dazu kamen noch einige Exponate aus der Schweiz!

Schauen wir nun in den Medaillenspiegel, dann ergibt sich folgendes Bild: Sieben Großgoldmedaillen wurden verteilt (dabei an zwei Exponate mit Glückwünschen der Jury), 43 Goldmedaillen, 66 Großvermeil-Medaillen, 55 Vermeil-, 29 jeweils Großsilber- und 29 Silber-, fünf Silberbronze und vier Bronzemedaillen. Zwei Exponate erhielten eine Teilnahmeurkunde. Damit liegt deren Gesamtzahl bei 240. Auf den ersten Blick sieht das Ergebnis unter dem Strich recht gut aus. Aber es gibt Auffälligkeiten. Weniger bei den (Groß-) + Goldrängen, aber einige möchte ich einmal nennen:

1) Warum Michael Bockischs Exponat der Bildpostkarten (Nr. 15A.138) der Amerikas nur Großsilber erhielt, seine beiden anderen (15A.18 / 15 A.138) Kataloge Großvermeil (und nicht Gold) erschließt sich mir nicht. Im Vergleich dazu schneidet ein MICHEL-Kompakt-Katalog („Der neue Junior“, 15C.9) gerade sensationell gut mit Großvermeil und fast gleicher Punktzahl ab. Dabei sind Bockischs Werke keine Neuaufgüsse oder nur minimale Fortschreibungen vorhergehender Ausgaben, sondern teils echte Neuerscheinungen, die eine ungeheure Kenntnis verraten und langjährige Untersuchungen beinhalten.

2) Fritz Heimbüchler schnitt mit seinem Buch zur klassischen Philatelie Brasiliens unerwartet schlecht ab (15A.50). Es erreichte gerade einmal Großsilber. Im Vergleich zu anderen Werken dieser Art, wurde auch dieses deutlich unterbewertet (wie seine eigene Brasiliensammlung auch!).

3) Die Gruppe der „Publications of promotional and documentation nature“ wurde generell – ähnlich wie philateliegeschichtliche Werke diverser Art – deutlich zu niedrig bewertet, dafür die Gruppe der Kataloge meines Erachtens zu hoch.

Um dies etwas zu belegen, sei einmal auf eine Neuankündigung eines der zahlreichen Bänder der MICHEL-Katalogreihe verweisen. Dort heißt es verlagsseitig zum neuen Michel Europa-Katalog „Südlicher Balknan“ u.a.:

„… Die redaktionellen Verbesserungen verteilen sich über das gesamte Werk. In Bulgarien unterzog die Redaktion die Bogenformate der 1940er Jahre einer genaueren Überprüfung. Zudem wurden fünf neue Abarten entdeckt, wie fehlende Farben oder Teilzähnungen. In Griechenland finden Sammler nun auch Falzpreise für die Aufdruckausgabe von 1923. Ostrumelien konnte um drei neue Abbildungen erweitert werden. Auf die aktuelle Außerkurssetzung bulgarischer Marken zum 1. März 2023 wird bei den betroffenen Ausgaben hingewiesen.

Ein weiterer Schwerpunkt lag in der Überprüfung und Aktualisierung der Preisnotierungen. Im gesamten Sammelgebiet Griechenland registrieren wir Bewegungen, zumeist nach oben. Eine Hermes-Freimarke aus dem Jahr 1911 fällt hier besonders auf. Bei Bulgarien und Albanien konzentrieren sich Bewertungssteigerungen auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die ungezähnten Abarten der albanischen „Adria Aero-Lloyd“-Ausgabe mussten hingegen Federn lassen. …“

Ja und ansonsten werden nur jeweils die Neuheiten eingefügt. All dies ist Arbeit, aber die eigentliche Forschung stammt überwiegend von Dritten und schlägt sich in solchen Standardkatalogen kaum nieder. Solche Werke mit Großvermeil zu bewerten (siehe den Kompaktkatalog) ist meines Erachtens zu hoch gegriffen. Die Standardkataloge sind Auskoppelungen aus einer Datenbank, die gleich mehrere Katalogtypen mit Informationen versorgt. Der Anteil eigener Forschung und deren Darstellung ist sehr gering.

Bei „periodicals“ (Zeitschriften) ist das Missverhältnis noch deutlicher. Da erhält der DASV (Deutscher Altbrief Sammler Verein) für seine Rundbriefe gerade einmal knappe 80 Punkte (Vermeil, 15D.8), während das „Posthorn-Magazin“ und „Cursores“ jeweils zehn Punkte mehr, also Gold erhielten. Dabei bietet der DASV in seiner Zeitschrift primär nur Erstveröffentlichungen, pure Forschung, die Zeitschrift ist professionell gemacht. Was fehlt den Juroren denn noch?

Apropos DASV. Dieser wurde regelrecht abgestraft. Denn er stellte auch seine Webseite aus, die auch nur Vermeil (82 Punkte, 15F.10) erreichte. Man könnte fast lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Denn diese Webseite wurde vor kurzem von der FEPA als beste europäische philatelistische Internetseite gekürt und preisgekrönt. Passt das zusammen? Es wurden nur zwei Goldmedaillen in dieser Gruppe vergeben, der DASV hätte sicherlich auch eine verdient gehabt. Nur, man hätte sich die Mühe machen müssen, die Vielfalt der Seiten und Angebote aufmerksam und rechtzeitig durchzuschauen. Dafür hatten die Juroren genügend Zeit, denn die Exponate auch dieser Klasse waren ihnen frühzeitig bekannt und zugänglich.

So bleibt alles in allem ein leichter Nachgeschmack. Meines Erachtens hat sich die Literaturjury nicht mit Ruhm bekleckert, da waren andere in den vergangenen Jahren deutlich besser. Ari Muhonen lässt es in seinen Beiträgen bereits anklingen: Es mangelt an der Ausbildung und am Training befähigter Literaturjuroren.

Statt ständig und endlos über Reglements zu diskutieren, sollten Profis den Amateuren erst einmal beibringen, auf was sie achten sollten. Es mag sein, dass meine offenen Worte mir in diesen Kreisen keine Freunde machen. Das ist aber auch nicht wichtig, denn es geht um die Autoren und Sammler. Und wenn wir diese – wie mit solchen Bewertungen – vergraulen, wird dies Folgen haben. Folgen, die wir uns nicht wünschen.

Ich selbst stelle schon seit langer Zeit nicht mehr wegen irgendwelcher Medaillen aus, sondern um für meine Literatur und meine Gebiete zu werben. Werke, die in meinen Augen vielfach zu niedrig bewertet wurden, stelle ich kein zweites Mal aus. Warum? Weil so mancher Literaturjuror sich die Arbeit einfach macht und einfach auf vorhandene Vorergebnisse, die bei der FIP gesammelt werden, schaut. Frei nach dem Motto: Da kann ich mit meiner Bewertung ja kaum falsch liegen.

Dieses System ist schon im Ansatz falsch. Juroren sollten nie Vorergebnisse bekannt sein, dann wären die Resultate zumindest ehrlicher.

Ein letztes: Was den Juroren fehlt, sind Rückkoppelungen. Gespräche mit den Literaturausstellern. Zu selten ziehen sie auch andere Experten zu Rate. Dabei könnten sie gerade davon viel lernen und sich fortbilden, wenn es denn schon keine Seminare (aus Kostengründen) gibt. Wenn sie nämlich selbst einmal Rede und Antwort stehen müssen, dann zeigt sich schnell, welch Geistes Kind sie sind. Meine Meinung ist, die FIP und die FEPA haben hier noch viel zu tun.


Hervorhebungen durch die Redaktion Philaseiten.

[1] https://aijp.org/de/neue-ausgabe/
 
ArGe Baltikum Am: 30.08.2023 10:56:50 Gelesen: 887# 2 @  
Die fehlende Rückkopplung zwischen Literaturjuroren und -ausstellern wurde bereits beim Thema IBRA (1) ab Beitrag #285 thematisiert. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird darauf verwiesen. Oder sollte dieser Beitrag hier besser zum Thema IBRA verschoben werden?

Gruss
Friedhelm

(1) https://www.philaseiten.de/cgi-bin/index.pl?ST=11836
 
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