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Thema: Telefonauskunft der Post wird am 1. Dezember 2024 eingestellt
drmoeller_neuss Am: 08.05.2024 13:44:02 Gelesen: 240# 1 @  
Und wieder ein Stück Postgeschichte: das Frollein vom Amt und Urinproben

Und eine weitere Posttradition wird am 1. Dezember 2024 Geschichte sein: Das "Frollein vom Amt" oder einfach gesagt, die Telefonauskunft wird abgeschafft. Zu Zeiten des staatlichen Monopols der Deutschen Bundespost hatte die Auskunft die Nummer 118. Der Anruf kostete eine Gesprächseinheit. In den Telefonzentralen grosser Firmen gab es zwar alle deutschen Telefonbücher wie auf jedem Postamt, doch für 20 Pfennig machte sich aus der Privatwirtschaft keiner die Arbeit, um die Nummer selbst heraussuchen. Ich kann mich selbst noch gut an die Ansage "Auskunft Mönchengladbach - bitte warten" erinnern, und wenn man dran kam, hatte man einen leibhaftigen Menschen an der Strippe, mit dem man auch ein paar private Worte wechseln konnte. Und natürlich hat man sich am Ende des Gespräches bedankt und einen schönen Tag gewünscht. Meine Oma hat das übrigens auch bei der Zeitansage getan, aber die kam damals schon vom Band. Meine Großeltern waren sparsame Menschen, und wollten vor einem längeren Ferngespräches wissen, was es kostet. Auch dafür war die Telefonauskunft zuständig. "Was kostet das Gespräch von A nach B?". Nur dumm, wenn es sich dabei um zwei kleine Orte handelte, und die Vorwahlen nicht zur Hand waren. Auf den Hinweis von meinem Opa, wieviele Zentimeter die Entfernung im Dirke-Schulatlas beträgt, haben beide Gesprächsteilnehmer herzhaft gelacht. Ja, es hat damals noch gemenschelt.

Seit der Privatisierung der Fernsprechdienste vor etwa 30 Jahren gab es mehrere Anbieter von Auskunftsdiensten. Anders als zu Staatszeiten war nun die Reverssuche erlaubt, das heisst, der Anrufer bekam die Adresse und den Namen des Teilnehmers zu einer gegebenen Telefonnummer, und es durften Gespräche direkt weitervermittelt werden.

Trotz dieser Mehrwerte hat die Auskunft im Internetzeitalter keinen Platz mehr. „Das Angebot ist aus der Zeit gefallen”, sagt der bei der Telekom zuständige Mann Thomas Zähringer. Und wer sich mit der Abschaffung der Telefonauskunft nicht abfinden möchte, dem stellt Zähringer die Fangfrage: „Wann haben Sie zuletzt bei der Auskunft angerufen?” [1].

Die Zahlen sprechen für die Abschaltung. Waren es zu Spitzenzeiten eine halbe Milliarde Anrufe, sind es heute nur noch zwei Millionen pro Jahr. Und Ende des Jahres wird niemand mehr folgende Fragen am Telefon beantworten können: "Ich möchte bitte eine Telefonnummer in Stanton." Der Anrufer wollte eigentlich nach St. Anton am Arlberg telefonieren, hat aber offenbar den entscheidendenden Punkt übersehen. Und es ging ja nicht immer nur um das einfache Heraussuchen von Telefonnummern. Manchmal musste das nette Fräulein vom Amt echte Lebenshilfe leisten, wie bei dieser Frage: "Guten Tag. Ich habe gestern eine Urinprobe bei ihnen abgegeben …“. Mit einer geschickten Fragetechnik hatte die Mitarbeiterin bei der Auskunft dem Anrufer alle weiteren Angaben entlockt, um am Ende die Telefonnummer des Hausarztes herauszusuchen. [1]

[1] https://www.telekom.com/de/blog/konzern/artikel/telekom-stellt-auskunftsdienste-ein-1065536
 
Baber Am: 08.05.2024 14:29:40 Gelesen: 215# 2 @  
@ drmoeller_neuss [#1]

Telefonauskunft für "Stanton".

Dazu kann ich auch eine Geschichte erzählen. Es war in den frühen 1970-Jahren, als wir im Sommer in München mit der Hausgemenschaft zusammen im Garten saßen. Als Österreicher fragte ich, welche Tiroler Orte bei den englischen Urlaubern am bekanntesten sind. Es waren dies Stenton (St. Anton), Siefeld (Seefeld) und Keitsbeikel (Kitzbühel).

Die Tocher der Nachberin arbeitete damals gerade in den Ferien bei der Telefonauskunft in München und sagte mir am nächsten Tag ganz aufgeregt: Gut dass du das erzählt hast, heute wollte jemand von mir die Vorwahl von Stenton wissen und da habe ich gleich richtig antworten können.

Gruß
Bernd
 
drmoeller_neuss Am: 08.05.2024 15:31:57 Gelesen: 181# 3 @  
Eine nette Geschichte hat sogar den Einzug in die juristischen Lehrbücher geschafft. Die allerersten Jura-Vorlesungen befassen sich mit der Wirksamkeit von Willenserklärungen und genau darüber musste in diesem Fall entschieden werden.

Eine Kundin aus dem tiefsten Sachsen wollte einen Flug nach Porto in Portugal buchen. Dumm aber auch, dass in sächsischer Sprache Porto wie das französische Bordeaux ausgesprochen wird. Genau das hatte die Mitarbeiterin des Reisebüros als Flugziel verstanden. Sie fragte noch "Bordeaux?" und bekam als Antwort, ja "Bordöo".

Im schnöden Juristendeutsch heisst das "Versteht der Empfänger eine undeutlich gesprochene Erklärung falsch, so geht dies grundsätzlich zu Lasten des Erklärenden, der das Risiko dafür trägt, dass der Empfänger seine Worte auch erfassen kann. (Beck-​OK/Wendtland, § 130 Rn. 28)." [3]

Noch mehr off-topic, aber ich sollte noch hinzufügen, dass eine Anfechtung wegen Inhaltsirrtums möglich gewesen wäre (§ 119 Satz 1 BGB). In der Paxis hätte das der Urlauberin nichts gebracht, da sie den sogenannten "Vertrauensschaden" hätte ersetzen und das falsche Flugticket hätte bezahlen müssen (§ 122 Satz 1 BGB).

Eigentlich sollten die Rechtsgelehrten der verhinderten Portugal-Urlauberin dankbar sind, ergänzt doch ihr aktueller "Bordöo-Fall" den bereits über 100 Jahre alten Haakjöringsköd-Fall. [2]

Zukünftig dürften sich die Juristen mit Fehlinterpretationen von KI herumschlagen. Die Fehlerquelle Mensch wie das "Frollein vom Amt" stirbt langsam aus. Nehmen wir an, die Urlauberin bucht über einen Sprachcomputer und will wirklich nach Bordeaux. Dann sagt die künstliche Intelligenz, Anruferin ist Sächsin und die spricht das nur falsch aus und bucht "Porto". Dumm gelaufen.

Aber es gibt auch in der Philatelie genügend Beispiele von Fehlleitungen, weil Postler zu viel gedacht hatten. Da ging die Urlaubspostkarte nach Australien anstatt nach Österreich (Austria).

[1] https://www.juraexamen.info/wo-liegt-eigentlich-bordo-irrtum-bei-der-reisebuchung/
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Haakj%C3%B6ringsk%C3%B6d-Fall
[3] AG Stuttgart-Bad Cannstatt v. 16.3.2012 - 12 C 3261/11
 
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