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Thema: Lasst die Briefmarke sterben !
Frankenjogger Am: 25.10.2023 22:14:00 Gelesen: 1933# 1 @  
Hallo,

anlässlich der gerade schwebenden Debatte über Kryptomarken, wollte ich dieses Thema mal anstoßen!

Ist die Briefmarke noch ein postalisch sinnvolles Produkt?

Was würde geschehen, wenn die Post entscheiden würde, dass keine Briefmarken mehr notwendig sein würden (Macht sie so schnell nicht, da ja noch viel zahlendes Klientel vorhanden ist, obwohl sie keine Briefmarken mehr bräuchte)?

Ich persönlich fände das nicht schlimm.

Ein, seiner Zeit, bekannter Briefmarken- und Briefehändler (leider verstorben) sagte mir vor etwa 20 Jahren folgende Worte:

"Es gibt mehr Briefmarken, als Geld!"

Das mag sich vielleicht mal ändern, aber der Satz war wahr! Es gibt genügend Briefmarken auf der Welt.

Wir brauche keine weiteren neuen Briefmarken. Wofür?

Wer sich für Postgeschichte interessiert, wird auch in neuen Abrechnungsverfahren der Post seine wahre Freude finden. Wer nur Briefmarken sammelt, um ein Sammelgebiet vollkommen zu bekommen, kann endlich sein Ziel erreichen. Philatelist ist er dadurch nicht, er ist und bleibt weiter ein Briefmarkensammler.

Letztendlich werden in weiteren Jahren nur Philatelisten dieses Hobby weiter pflegen. Wie viele das dann sind, das wird man sehen. Neue Briefmarken brauchen die nicht!

So, jetzt habe ich viel geschwafelt und bin auf Reaktionen gespannt.

Viele Grüße,
Klemens
 
10Parale Am: 25.10.2023 23:20:54 Gelesen: 1895# 2 @  
@ Frankenjogger [#1]

Ist die Briefmarke noch ein postalisch sinnvolles Produkt?

Ja, aber sie hat leider keine Zukunft mehr.

Seit 16 Jahren beschäftige ich mich mit Fahrkarten bei der Eisenbahn und sonstigen öffentlichen Verkehrsmitteln. Wer up to date ist weiß, dass man heute seine Fahrkarte auf die elektronische Armbanduhr laden und bei Bedarf vorzeigen kann.

Früher gab es Fahrkarten aus und auf dickem Karton, schön anzusehen, ausführlich im Text und für jedes Kind und jeden alten Menschen einfach zu lesen, farbenfroh und irgendwie mit Liebe gemacht, so wie die Briefmarken der guten alten Zeit.

Ich bin nicht gegen neue Erfindungen, bin auch nicht gegen Fahrkarten auf der digitalen Anzeige der Uhr oder des Smartphones, auch nicht gegen Kryptomarken. Das wird auch nicht die letzte Erfindung sein und von ewiger Dauer. Jemand hat sich bestimmt auch mit viel Liebe Gedanken darüber gemacht. Es ist spannend und en vogue.

Was mich nur stört ist, dass wir CODES nicht mehr mit eigenen Augen auslesen können. Und fast schon zwanghaft verlagern wir all unsere Welt in die kleinen elektrischen Geräte und jammern, wenn in Taiwan mal was Wichtiges nicht produziert werden sollte. Wir benötigen praktisch Maschinen, die ihre eigene Sprache lesen. Wir tragen die Maschinen nur noch spazieren und vor unseren Gesichtern leuchtet es.

Frankenjogger hat Recht: "Neue Briefmarken brauchen wir nicht!" - wir haben ja genug und von den Raritäten immer die gleiche Anzahl.

Viel Grüße

10Parale
 
TeeKay Am: 25.10.2023 23:42:35 Gelesen: 1886# 3 @  
Einen QR Code kannst du genauso mit eigenen Augen lesen wie den Strichcode der Briefcodieranlagen. Du musst dich nur damit befassen, wie der Code aufgebaut ist.
 
wajdz Am: 26.10.2023 00:08:14 Gelesen: 1875# 4 @  
@ TeeKay [#3]

Gibt es dafür eine Anleitung, der so ein alter Mann wie ich noch begreifen kann und die kein IT-Studium voraussetzt ?

Wäre ja erfreulich, wenn es nicht nur Bildungseliten vorbehalten bliebe, solche Fertigkeiten zu erlangen.

MfG Jürgen -wajdz-
 
Cantus Am: 26.10.2023 00:48:34 Gelesen: 1867# 5 @  
@ TeeKay [#3]

Hallo Teekay,

ich lebe weitestgehend ohne Handy, denn ich brauche es nur, wenn ich weitab jeder Ortschaft eine Panne im Wald habe; und das Handy, das ich nutze, ist ein Seniorenhandy mit großen Tasten, mit dem ich nur telefonieren, aber weder fotografieren noch ins Internet gehen kann. Meine Augen sind so, dass ich mit Schriftgröße 14 schreiben muss, um das Geschriebene am Bildschirm so einigermaßen lesen zu können. Und da sollen Leute wie Jürgen oder ich am Bildschirm Code lesen können? Das ist weitab von jeder Realität. Sicher, wenn man jung ist und gesunde Augen hat, dann mag das für Fachkräfte möglich sein, ich sehe aber keinen Grund, warum sich Einer von uns noch damit abquälen sollte.

Vielleicht warst du schon einmal in einem Konzert mit klassischer Musik und hast dir eine Sinfonie aus dem 19.Jahrhundert angehört. Da steht vorne einer am Pult und hat meistens vor sich die entsprechende Partitur liegen, in der geregelt ist, wer wann was zu spielen hat. Da sind dann zum Beispiel zehn verschiedene Instrumente mit ihren unterschiedlichen Spielanteilen genau übereinander aufgedruckt und der, der das Orchester leitet, kann alle Stimmen gleichzeitig lesen und dabei die jeweilige Kernmelodie herauslesen, aber auch den jeweiligen Einsatz einzelner Instrumente. Kannst du das auch? Ich kann das, wenn auch nicht mehr so gut wie früher, denn ich bin ein wenig aus der Übung, aber ich halte diese Fähigkeit für ungleich wichtiger als die Interpretation irgendwelcher Datenreihen, die für das Lesen durch ein technisches Instrument irgendwo aufgedruckt sind.

Viele Grüße
Ingo
 
TeeKay Am: 26.10.2023 11:07:03 Gelesen: 1555# 6 @  
Kein Mensch dekodiert QR Codes manuell. Es wäre aber möglich. Ein QR Code ist barrierefreier, als die Informationen als Text zu schreiben. Denn den QR Codes können eingeschränkte Menschen mit technischen Hilfsmitteln in Sekundenbruchteilen dekodieren und in der für sie verständlichen Form die Informationen ausgeben lassen. Bei einem Text ist das ungleich schwieriger.
 
opti53 Am: 26.10.2023 19:09:28 Gelesen: 1414# 7 @  
Hallo,

ich habe gerade kürzlich gehört, dass es in Island keine Briefmarken mehr gibt. Ich hoffe, dass das stimmt. Verschiedene Privatpost-Betreiber drucken auch keine Briefmarken, befördern aber Briefe.

Für den logistischen Vorgang der Briefversendung sind tatsächlich keine Briefmarken mehr erforderlich. Maschinelle Verarbeitung geht auch viel schneller mit maschinenlesbaren Codes. Die muss man ohne Maschine aber auch nicht lesen können.

Cantus hat in [#5] die Partitur als Beispiel angeführt. Er wird aber auch kaum aus den winzig kleinen Vertiefungen einer CD oder nicht mal aus den Rillen einer alten Schallplatte das Musikstück erkennen können. Für die Wiedergabe braucht man ein entsprechendes Gerät.

Dass es überhaupt noch Briefmarken gibt, kann mit der zusätzlichen Einnahmequelle zusammenhängen, obwohl es für Länder wie Deutschland immer wieder bestritten wird, dass es nennenswerte Erträge bringt. Ein anderer Grund mag sein, dass die Briefmarke als Kulturträger benutzt wird, um an historische Ereignisse oder Personen zu erinnern. Vielleicht gibt es noch andere Gründe.

So gesehen müssen wir uns irgendwann damit abfinden, dass neue Briefmarken überflüssig sind. Es sind aber dennoch bisher viele Briefmarken produziert worden, die zu sammeln sich lohnt, auch wenn vielleicht nichts Neues mehr dazukommt. Das einzige Problem ist das Gewinnen neuer Sammler. Denn ich habe noch viele Postsendungen mit aufgeklebten Marken erlebt. Das wird nun immer weniger häufig auftreten. Und damit ist die zufällige Begegnung mit der Briefmarke im täglichen Leben immer seltener gegeben.

Die bisher verausgabten Marken bieten mir immer noch reichliche Beschäftigung. So sollte man es vielleicht sehen, oder?

Viele Grüße

Thomas
 
Vernian Am: 27.10.2023 00:09:29 Gelesen: 1325# 8 @  
Da seit langer Zeit alle Beiträge wieder komplett lesbar sind habe ich mich mal wieder eingeloggt und siehe da - ich kann sogar wieder schreiben? Irgendwie habe ich da was nicht mitbekommen. Aber zum Thema:

Einerseits vollkommen richtig, Briefmarken sind in unserer digitalisierten Welt keine Notwendigkeit mehr. Mein Sohn, wenn er mal einen Brief zu versenden hat, kauft sich online einen Code, den er statt Marke aufkleben, auf den Brief schreibt (ich glaube das heißt "Handyporto"?) und auch sonst gibt es entsprechende Möglichkeiten mit Internetmarke etc etc.

Trotzdem gibt es, abseits Sammlern, Menschen, die ihre Post mit Briefmarken frankieren, mit denen sie sich bevorratet haben, um nicht wegen jedem Brief erst ein digitales Gerät oder eine Verkäuferin an einer Poststelle bemühen zu müssen, und unkompliziert einen Postkasten nutzen. Und wie an anderer Stelle hier kürzlich mehrfach erwähnt, viele klein- und mittelständische Betriebe nutzen Briefmarken aus gleichen Gründen. Dies bedeutet, ein gewisser Grundbedarf an Briefmarken und dieser Form der Postsendungsfrankatur besteht weiterhin. Zumindest hierzulande. In Island (ja, soweit ich weiß, werden dort keine Marken mehr verausgabt) mag dies anders sein.

Eine Notwendigkeit, die aber hierbei nicht wirklich besteht, das ist die Flut von Briefmarkenausgaben. Denn den meisten Nutzern reicht eine Briefmarke in entsprechender Frankaturwertstufe für ihre Zwecke, ob dies ein Dauerwert oder eine Sondermarke ist, das ist hierbei den allermeisten reichlich egal - den Marken nutzenden Betrieben wahrscheinlich ohnehin, aber wohl auch den allermeisten privaten Nutzern, sofern es nicht Sammler sind. Da inzwischen Dank DMC Briefmarken auch genauso digital verarbeitbar sind wie andere moderne Frankaturformen besteht hier für den effizienten Arbeitsablauf auch kein Problem mehr - die Ungültigkeitserklärung von Marken ohne DMC wird über kurz oder lang kommen. Nur diese handschriftliche Handy-Frankatur, da habe ich meine Zweifel, ob die Technik wirklich alle Handschriften problemlos auslesen kann.

In Bezug auf die aufgeworfene Fragestellung bedeutet dies (zumindest bei uns) jedoch: Ja, Briefmarken sind noch eine sinnvolle Frankaturform (in entsprechend digital auslesbarer Form wie mit DMC), aber eine Notwendigkeit für die Unmengen an Neuausgaben besteht in der Praxis nicht. Eine Beschränkung auf eine entsprechend gestaltete Dauermarken-Reihe mit allen erforderlichen Frankaturwerten ist vollkommen ausreichend, und wenn zur Erheiterung des Ein- oder anderen, zur Bewerbung national-kultureller besonderer Anlässe gelegentlich mal eine Sondermarke herausgegeben wird, dann tut das der Sache sicherlich auch keinen Abbruch. Sowohl Betriebe wie Privatpersonen dürften nicht gänzlich uninteressiert sein an Sondermarken zu Ostern oder Weihnachten, oder wenn lokale Jubiläen (bspw. Sondermarke zu 1000 Jahre Stadtrechte der Stadt XY) oder touristisch wirksame Bewerbung des Naturschutzgebietes YZ u.ä.m. gelegentlich gäbe, dann dürfte - landesweit oder lokal begrenzt - ein gewisses Interesse bestehen können. Aber Serien wie Zuschlagsmarken zu irgendwelchen wohltätigen Zwecken, Deutsche Fernsehgeschichtserfolge, Comicserien vergangener Jugend, Würdigung des xyten Geburts- oder Todesjahres irgendeiner (mehr oder weniger) bekannten Persönlichkeit, gar Blockausgaben - wozu? - außer für Sammler.

Würde sich also die Ausgabe von Marken auf eine notwendige Anzahl an Frankaturwerten als Dauerserie und einige wenige Sondermarken zu deutschlandweit oder ggf. auch lokal einzugrenzende Anlässe zur "werbewirksamen" Aufmerksamkeitsmachung begrenzen, dann wäre dies, so meine Ansicht, durchaus noch "sinnvoll". Und damit würde die zu verausgabende Markenzahl sich auch auf eine überschaubare Menge begrenzen. Im Abstand von 5-10 Jahren eine entsprechend den erforderlichen Portostufen umfassende Dauerserie, plus vielleicht 5-10 Sondermarken pro Jahr, die Themen würdigen oder präsentieren, die sich auch der kleine Gewerbetreibende oder die ansonsten nicht interessierte Privatperson dann doch für "verklebenswert" erachtet, das würde reichen.

Und dann vor allem: Warum haben selbstklebende Marken seit langem eine "Hochkonjunktur"? Weil es - es mag uns als Sammlern oder Philatelisten befremdlich vorkommen - den meisten "Normalnutzern" das Abschlecken von Marken aus allerlei Gründen meist zu wider ist - folglich müssen die für den nötigen "Bedarf" zur Verfügung gestellten (erscheinenden) neuen Marken ausschließlich selbstklebend sein.

Kurzum: Briefmarken weiterhin ja, aber in den modernen postalischen Erfordernissen mit DMC und selbstklebend, und nur in einer der potenziell anzunehmenden Nachfrageform, also passende Portostufe und Sondermarken nur sehr begrenzt auf möglichst landesweit interessierende Themata, in besonderen Fällen mal mit lokaler Begrenzung.

Meint

Vernian
 
Hornblower Am: 28.10.2023 12:39:04 Gelesen: 1005# 9 @  
Hallo zusammen,

das Thema wird schon lange diskutiert. Der früheste Fachartikel, den ich zu diesem Thema gefunden habe, stammt aus dem Jahr 1892.

Der Leitartikel der DBZ vom 1. September 1892 (II. Jahrgang Nr. 12) befasste sich nämlich mit genau damit: „Die Zukunft der Philatelie.“ hieß der Titel und dem Verfasser (Stil und Ausdruck deuten auf Carl Lindenberg hin, obwohl der Beitrag nicht signiert ist) war das Thema wichtig genug, ihm fast drei volle Seiten zu widmen.

„Herr Oberlandesgerichtsrat Suppantschitsch1 regt am Schlusse des ersten Teils seiner im Erscheinen begriffenen „Bibliographie“ die Frage an, welche Zukunft der Philatelie beschieden sein würde. Er meint, nichts auf Erden währe ewig, das Bessere trete an die Stelle des Guten und es müsse die Zeit kommen, wo es auch keine Postwertzeichen und somit auch keine Philatelie mehr gebe und wo die großartigen Sammlungen nur mehr in den Museen ruhen würden. Diese Ansicht scheint uns nicht recht schlüssig. Beim Anfang des Satzes könnte man an die ferneren Jahrhunderte denken, wo die Postwertzeichen vermöge ihrer leicht zerstörbaren und dem Zahn der Zeit eher als manches Andere verfallenden Natur überhaupt verschwunden sein werden, aber der Schluss, dass die Sammlungen alsdann nur noch in den Museen vorhanden sein würden, widerspricht dieser Auslegung. Man muss also an die allerdings wohl kaum allzu ferne Zeit denken, wo die Fortschritte des Verkehrswesens das Freimachen bzw. Austaxiren der Sendungen mittels besonderer Wertzeichen überflüssig gemacht haben werden, und wo die Staaten die Marken etc. abschaffen. Dass alsdann aber die Philatelie als Sammelzweig aufhören wird, bestreiten wir entschieden. Möglich, sogar wahrscheinlich ist es zwar, dass ein großer Teil der Sammler abfallen wird. Wer es schon erfahren, wie die Einziehung der Marken der einzelnen deutschen Staaten im Jahre 1868 zusammen mit der Einführung des Einheitsportos hemmend auf die Philatelie gewirkt hat, weil die rote norddeutsche Groschenmarke mit einem Male Universalmarke wurde und den Sammlern dadurch die Gelegenheit genommen wurde, überall her die Marken verschiedener Staaten und somit Anregung zum Sammeln zu erhalten, - der wird es sicher einsehen, dass das Aufhören des postalischen Gebrauchs der Marken ein empfindlicher Schlag für die Philatelie sein wird; aber aufhören wird die Philatelie damit noch lange nicht. Sind heut noch Hellebarden, Streitäxte und Rüstungen in Gebrauch? Fertigt man noch Urnen, präparirt man noch Mumien? Und wie viele Hunderte, ja Tausende von Privatleuten sammeln dergleichen Zeugen vergangener Zeiten! Gerade der Umstand, dass diese Dinge einer vergangenen Epoche angehören, dass ihr Gebrauch aufgehört hat, giebt ihnen einen besonderen Wert, macht sie zum gesuchten Sammelobjekt. Finden sich auch die besten und vollständigsten Sammlungen in den Museen, so giebt es doch auch zahllose Privatleute, die in dem Besitze eines alten Schwerts, eines venetianischen Glases, einer Zusammenstellung von Feuersteinwaffen u. a. ihre Befriedigung finden.

So wird es auch der Philatelie ergehen. Sie wird aus einer modernen Sammelliebhaberei eine Antiquitätenliebhaberei werden, aber dadurch an innerem Werte und an äusserer Achtung nicht verlieren. Jetzt schon werfen sich mit Vorliebe viele, besonders gereifte Sammler auf die Wertzeichen derjenigen Staaten, die mit Ausgabe neuer Marken völlig abgeschlossen haben. Man bevorzugt die sogenannten altdeutschen, die italienischen Staaten, man vernachlässigt die Staaten, die uns mit neuen Ausgaben überschwemmen. Der Grund hierfür liegt hauptsächlich darin, dass wir bei ersteren ein abgeschlossenes Gebiet vor uns haben, dass wir genau wissen, was und wieviel wir zu sammeln haben. Jeder auch nur einigermassen systematische Kopf sehnt sich danach, das Gebiet seines Denkens, seiner Arbeit, und seines Strebens nicht tagtäglich ins Unermessliche hinein erweitert zu sehen. Für den Plan- und Ziellosen ist es ja ganz nett, gegen den Horizont hin zu wandern, diesen niemals zu erreichen, sondern stets neue Bilder auftauchen zu sehen, neue Gegenden zu durchstreifen; aber derjenige, der vorwärtsstrebt, in der Absicht etwas zu erreichen, ermüdet, wenn ihm das Ziel immer ferner gerückt wird, wenn er von Staffel zu Staffel vorstrebend erfährt, dass er immer noch nicht am Ende angelangt sei. Wer, um in unserer Philatelie auf der Höhe zu bleiben, von Monat zu Monat die zahllosen neu erschienenen Wertzeichen seinem Gedächtnis einprägen und auch sammeln muss, der wird wohl den Zeitpunkt herbeisehnen, in welchem diese Hochflut aufhört. Man denke daran, wie eine Sammlung der Marken der französischen Kolonien oder von Nicaragua auch nur nach 10 Jahren angeschwollen sein wird. Erscheint es da nicht besser, die Neuausgaben der Marken hörten ganz auf? Wir können uns kaum eine glücklichere Zeit vergegenwärtigen, als die, wo nicht mehr „Neuheitenlisten“ die Spalten unserer Zeitschriften füllen, wo wir nicht mehr genötigt sind, hinter den Monopolhändlern herzulaufen, um ein von ihnen aufgekauftes Provisorium, ehe es „alle wird“, wird 1000% über den Nominalwert zu bezahlen, wo wir mit Ruhe und Behagen ein Permanent-Album kaufen können, ohne nach einem halben Jahre einzusehen, dass es mit der Permanenz wieder nichts ist. Dann erst wird es sich ermöglichen lassen, die Philatelie wissenschaftlich auszubauen, dann erst wird sie eine ruhige und behagliche Liebhaberei werden, während sie jetzt eine nervöse und sich abhetzende ist...."

Soweit Lindenberg (nehmen wir einfach an, dass er es war!) im Jahr 1892. Vieles von dem, was er hier schreibt, klingt, als ob es letzten Monat in der DBZ oder der „philatelie“ gestanden hätte.

Sehen wir aber auch die positiven Aspekte, die schon Lindenberg durchaus erkannte – die Philatelie wird ebenso wenig aussterben wie die Numismatik oder die Liebhaber von Kunst oder alten Büchern. Es wird immer Menschen geben, die eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung suchen und dafür auch bereit sind, Geld auszugeben. In vielen Bereichen sind wir bereits eine „Antiquitätenliebhaberei“, die Zuschläge auf den Auktionen – nicht nur bei ERIVAN – zeigen dies deutlich. Ist die Philatelie bereits auf dem Weg des „wissenschaftlichen Ausbaus“, um eine „ruhige und behagliche Liebhaberei“ zu werden? Für mich kann ich Frage mit einem klaren „Ja“ beantworten.

Ein schönes Wochenende wünscht
Michael, der seine Bund-Sammlung schon 2000 abgeschlossen hat und sich auf die Ausgaben davor konzentriert. Dazu ein spannendes Thematik-Thema wie "100 Jahre Briefmarken" und Literatur - ich könnte 200 Jahre alt werden, ohne dass Philatelie langweilig werden würde...
 
10Parale Am: 29.10.2023 19:08:58 Gelesen: 841# 10 @  
@ Hornblower [#9]

Hallo Michael,

ein wunderbarer Artikel, den du uns hier passend zum Thema präsentierst. Ja, leider ist uns kein biblisches Alter gewiss, denn wahrscheinlich haben wir nie soviel Zeit, wie wir für unsere Leidenschaft benötigen.

Ein Satz aus o.g. Leitartikel in der DBZ vom 01. September 1892 finde ich sehr interessant und erhellend:

Wer es schon erfahren, wie die Einziehung der Marken der einzelnen deutschen Staaten im Jahre 1868 zusammen mit der Einführung des Einheitsportos hemmend auf die Philatelie gewirkt hat, weil die rote norddeutsche Groschenmarke mit einem Male Universalmarke wurde und den Sammlern dadurch die Gelegenheit genommen wurde, überall her die Marken verschiedener Staaten und somit Anregung zum Sammeln zu erhalten, - der wird es sicher einsehen, dass das Aufhören des postalischen Gebrauchs der Marken ein empfindlicher Schlag für die Philatelie sein wird; aber aufhören wird die Philatelie damit noch lange nicht.

Mit dem Begriff "Universalmarke" komme ich nicht ganz zurecht. Auf welches "Universum" spielt der Autor an? Meint er den Norddeutschen Bund (Norddeutscher Postbezirk), bzw. die Markenausgaben ab dem 01. Januar 1868? Wie grenzt sich das Gebiet von Süddeutschland und dem später auftretenden "Deutschen Reich" ab? Wurden alle altdeutschen Staaten gezwungen, ihre Markenhoheit einzustellen?

Ja, ab und an brauche auch ich mal postalischen Geschichtsunterricht.

Liebe Grüße

10Parale
 
Hornblower Am: 31.10.2023 12:01:21 Gelesen: 675# 11 @  
Hallo 10Parale,

besten Dank für die Antwort. Mit "Universalmarke" meinte man um die Jahrhundertwende eine Marke, die überall und in jedem Land verwendet werden konnte. Aufgrund der Währungsunterschiede war das natürlich nicht so einfach umsetzbar, trotzdem diskutierte man das damals in vielen Zeitschriften. Nach meiner Erinnerung gabe es sowohl in der "Illustrierten Briefmarken Zeitung" als auch im "Illustrierten Briefmarken Journal" Beiträge dazu. Die Diskussion endete dann mit der Einführung des Internationalen Antwortscheins 1906.

Ich finde gerade das Lesen dieser alten Zeitschriften faszinierend und staune immer wieder, welch profundes Wissen schon vor über 100 Jahren dort zu finden ist.

Beste Grüße
Michael
 
Baber Am: 31.10.2023 21:56:17 Gelesen: 561# 12 @  
Laßt die Briefmarke sterben aber nicht die Philatelie.

Die Briefmarke in der heutigen Form stirbt ganz von selbst, da müssen wir gar nicht nachhelfen.

Kopiert aus "Filialnetz der Postbank wird immer dünner":

Man kann also folgern, dass bis zum Jahr 2026, nach Ende des Schließungsprogrammes die klassische Postfiliale Geschichte ist. Keine altgedienten Postler mit Erfahrung mehr, keine Stempelvielfalt mehr und auch eine rapide Verschlechterung des Services für die Bevölkerung.Ein riesiger Fehler, dass die Post privatisiert und alles verscherbelt wurde.

Gruß
Bernd
 
Mi1068 Am: 08.11.2023 16:32:44 Gelesen: 363# 13 @  
@ Frankenjogger [#1]

Hallo,

auch in den 1980-ern wurde schon vom Tod der Briefmarke geschwafelt, mit Einführung der Automaten - Marken.

Erst recht mit Einführung der Versandstellen + Schalter - Drucker, die 1995 verschiedene ATM von 5 bis 9995 Pfennig abgaben.



Zugegeben, bei der Stempelvorlage handelt es sich um die Werbung eines Frankiermaschinen Herstellers.



Aber auch das haben die Briefmarken bis heute überlebt.

Viele Grüße
Heinz
 
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